Die Entführung der MS Hansa Stavanger. Frederik Euskirchen

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Die Entführung der MS Hansa Stavanger - Frederik Euskirchen

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Gefühl, als ich zum ersten Mal mit zu Hause, mit meinen Eltern spreche, ist schwer zu beschreiben. Zum einen ist der bekannte Klang der Stimme in dieser Lage schon eine Beruhigung, zum anderen jedoch ist da die Gewissheit, dass die Sicherheit, aus die diese Stimme zu mir kommt, tausende Meilen von mir entfernt ist.

      Nicht nur das. Selbst wenn sie im Nachbarort gewesen wäre, dann wären da immer noch diese Männer mit ihren Waffen gewesen.

      Ich spreche nicht mit einem Arbeitskollegen, mit dem es absehbar ist, dass wir irgendwann einen Sturm abwettern müssen oder eben mit Piraten zu tun haben. Ich rede mit meinen Eltern. Wenn ich mit ihnen von Bord aus spreche, dann geht es darum, wann ich wieder zu Hause bin, was es dort Neues gibt usw. Aber nicht darum, dass mich jemand mit einer Waffe bedroht und Geld für mein Leben haben will.

      Jede Familie hat ihre Höhen und Tiefen, aber so etwas liegt weit außer unserem Bereich. Es ist, als würde etwas Böses, Dreckiges unsere Familienidylle beschmutzen. Ich möchte nicht, dass meine Eltern so etwas mitmachen müssen und von so etwas belastet werden. Nicht, wenn es um den eigenen Sohn geht, den sie als Kleinkind im Arm hatten, den sie spielen, lachen und aufwachsen gesehen haben.

      Ich selber habe keine Kinder, aber ich kann mir vorstellen, was meine Eltern jetzt durchmachen müssen.

      Während ich rede, merke ich die ohnmächtige Wut in mir.

      Als mir ein Pirat bedeutet Schluss zu machen, ändert sich das selbstverständlich erst recht nicht.

      Aber ich weiß, dass das nichts bringt. Soweit bin ich auch schon, aber einfach nur ruhig bleiben, das geht nicht und das bin ich auch nicht.

      Während der ganzen Gefangenschaft habe ich regelmäßig, fast täglich, mit zu Hause telefoniert.

      Hauptsächlich ging es darum, Informationen auszutauschen. Ich spreche über die Lage an Bord, meine Einschätzung über die Piraten, ihren Forderungen etc., die sollten dann über meine Eltern und ihre polizeilichen Betreuer, die jede betroffene Familie hat, weitergeleitet und genutzt werden. Ich habe dafür Informationen über den Stand der Dinge in Deutschland erfahren, die ich selbstverständlich nicht mit den anderen teilen konnte, aber anhand derer ich z. B. nach den Infos suchen konnte, die wichtig sind oder die mir an Bord in irgendeiner Weise den Piraten gegenüber einen Vorsprung geben.

      Ein weiterer Effekt dieser Anrufe, den ich sehr zu schätzen weiß, ist, dass ich immer etwas Motivation und Aufmunterung bekommen habe, welche über mich indirekt auch bei der Mannschaft ankommen konnte. Ein kleines Privileg, durchaus. Aber es ist nicht zu vergessen, dass, wer jeden Tag zu Hause anruft, der erste am Galgen sein wird, wenn etwas “schief läuft”, im Sinne einer Militäraktion, oder, wenn die Verhandlungen anders verlaufen, als erhofft. Dann ist den Piraten klar, wer es war.

      Zu dem Thema “Kontakt mit zu Hause” schreibe ich so viel, weil es für mich prägend für diese vier Monate ist.

      Mit einer Entführung wird nicht nur die eigene Person entführt.

      Die Herzen ihrer Familie, Freunde und Bekannten gehen mit.

      Träume und Pläne für die Zukunft gehen mit und auch die Illusion, seine Familie und Freunde vor dem Unheil in dieser Welt zu schützen.

      Was ich damit sagen will, die Piraten gefährden vielleicht mein Leben, aber sie tun noch viel Schlimmeres, sie bedrängen meine Eltern - in dem sie ihren Sohn verschleppen, mich. Meine Mutter empfindet Trauer, mein Vater ist in höchster Sorge, beide sind in absolutem Stress und was kann ich tun?

      Ich kann mich nicht wehren, jedenfalls nicht so, dass wir morgen schon nach Hause könnten, das muss ich auf der Stavanger einsehen. Wenn ich irgendwas “Dummes” versuchen würde, dann käme ich vielleicht gar nicht mehr nach Hause, das absolute Gegenteil des Zieles.

      Außerdem bin ich nicht alleine hier und das ist ein Punkt, der mir, vor allem in meiner Funktion an Bord, genau so wichtig zu sein hat wie meine Familie. Das Wohl der Mannschaft, denn auch die haben Familie und machen gerade das Gleiche durch wie meine Familie und ich.

      In dieser Zeit wird mir klar, auch in so einer Situation muss man sein Ziel genau definieren: “Wir gehen alle zusammen gesund nach Hause“.

      Was dafür notwendig ist, wird getan.

      Wenn wir die Piraten nicht so schlagen können, dann mit unserem Willen durchzukommen, mit unserer Beobachtungsgabe und unserem Intellekt, denke ich mir.

      Es muss immer einen Weg geben.

      2.5 Abdi ist da

      Nach dem kleinen Zwischenstopp in Barawe geht es die Küste nordwärts, nach Haradere.

      Kaum haben wir dort den Anker geschmissen, kommen weitere Piraten an Bord. Es sind die Wachtruppen. Ihr Kommandant, Axaalo (Somali für Sonntag), den wir aber nicht gleich in seiner Funktion erkennen, fällt mir sofort auf. Als ich ihn sehe, denke ich nur ‘nein, nicht so einer’. Er sieht aus wie der letzte Durchgeknallte aus einem billigen Actionfilm. ‘Bitte mach, dass er wieder geht’, denk ich mir. Er macht einen gestörten Eindruck auf mich, ich kann nicht erklären warum, aber die erste Zeit sollte ich recht behalten, er ist teilweise sehr unangenehm. Doch, wie bei fast jedem Piraten änderte sich das nach den ersten zwei Monaten. Was mir jetzt aber nicht weiterhilft, im Moment liege ich auf dem Boden unter meiner Decke und beobachte die Neuankömmlinge. Finstere Gestalten, ich will, dass sie gehen und ich will gleich wieder was anderes tun, was ich jedoch lernen muss zu beherrschen, wenn ich nach Hause will.

      Wer da alles aus der Geisterbahn auf die Stavanger gekommen ist …

      Nun erst mal zu einer Person, die im Moment weitaus wichtiger ist.

      Abdi, unser Unterhändler.

      Er wird die Verhandlungen durchführen, nicht leiten!

      Ein wichtiger Unterschied, über den wir anfangs oft grübeln. Ist er vielleicht in Wahrheit derjenige mit der Entscheidungsgewalt, ist er eventuell der wahre Chef?

      Um im Laufe des Buches Missverständnisse zu verhindern. Nein, ist er nicht. Er spricht mit einem anderen Unterhändler von der Reederei, dabei versucht er einen Preis zu bekommen, der dem Anführer der Piraten zusagt. Vielleicht kann er sie beraten, was machbar ist, aber wenn sie einen Preis wollen, dann muss er für ihn sorgen.

      Eben das soll Abdi bei uns machen. Er stellt sich uns nur kurz vor, aber mit der Zeit kommen Abdi und ich immer mehr ins Gespräch und ich kann zumindest ein wenig sein Vertrauen gewinnen, wenigstens so, dass es nützlich ist und ich etwas über ihn erfahre.

      Hier schon mal eine kleine Zusammenfassung über Abdi vorab:

      Nach eigenen Angaben ist er 42 Jahre alt. Neben seinem Kinn- und Backenbart hat er eine Halbglatze. Im späteren Verlauf erfahre ich, dass Somalis Menschen mit Halbglatze nicht trauen, was unser leitender Ing. auch erfahren muss. Wieso aber vertrauen sie ihm dann die Verhandlungen an? Ist das vielleicht der Grund, warum er immer, aber auch immer und überall seine AK dabei hat? Diese trägt er wirklich ständig, selbst wenn er bei uns, auf der Seite der Geiseln ist. Dies ist eigentlich verboten laut den neuen Bordregeln, den Piratenregeln.

      Als wir ihn mal nach dem Grund für seinen ständigen, langläufigen Begleiter fragen, sagt er nur, dass ein Mann ohne Waffe in Somalia wenig zählt. Sie haben keine Gesetze, und wenn jetzt jemand kommt mit einer Waffe und ihm was wegnimmt, dann kann er nicht zur Polizei gehen oder sonst irgendwas,

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