Die Entführung der MS Hansa Stavanger. Frederik Euskirchen
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Читать онлайн книгу Die Entführung der MS Hansa Stavanger - Frederik Euskirchen страница 19
Regelmäßig reden Kapitän und ich mit der Reederei und mit zu Hause.
Unsere Ziele scheinen die gleichen zu sein, aber unsere Wege unterscheiden sich leider sehr, was nicht gerade förderlich ist.
Wenn ich mit der Reederei telefoniere, gehe ich anfangs zwar auch davon aus, dass ihnen noch nicht ganz klar ist, wie die Piraten verhandeln und was hier an Bord los ist, aber ich versuche, es ihnen in Ruhe mitzuteilen und so viel Nützliches wie möglich mitzuteilen.
Jedes Mal verwundert es mich allerdings, wenn ich Herrn Kotiuk schreien höre, mit Zynismus und Ironie flucht er des Öfteren und hängt dann unvermittelt auf. Warum denn so? Es bringt doch nichts, im Gegenteil.
Die Reederei hält uns bald für unzurechnungsfähig, außerdem bekommt sie von dem Gezeter auch kein klareres Bild. Die Kommunikationsecke ist nicht weit von der Mannschaft weg - muss sie das Geschreie mitbekommen, die Verzweiflung hören? Sie bekommen schon genug mit, was für Gerüchte und noch mehr Ängste sorgt. Die Piraten sehen es außerdem auch und wissen damit, wie es in uns aussieht, sehen uns ohne Deckung und wissen, wo sie zu bohren haben, um uns gefügig zu machen.
Auch Abdi nutzt es aus, was mir zugutekommt. Wenn er mit der Reederei spricht oder ihnen E-Mails schickt, ruft er mich. “Officero, Officero come here…!”
Dann telefoniert er entweder mit dem Unterhändler der Reederei, schreibt ihnen eine E-Mail oder ich muss zu Hause anrufen. Mit der Zeit bekomme ich einen immer besseren Einblick in die Vorgänge und fange langsam an zu begreifen.
Um die Lage zu begreifen, habe ich viel Zeit, denn lediglich zwischen zehn und zwölf Uhr Ortszeit wird verhandelt. Den Rest des Tages gibt es nichts Besonderes zu tun auf der Brücke, außer irgendwie zu versuchen, den Stress abzuwettern.
Es ist sehr heiß, wir liegen nachts eng zusammen. Knapp zwölf Leute sind wir auf der Brücke. Auf unserer Seite der Brücke ist nicht besonders viel Platz.
Nachts müssen wir gucken, dass wir uns nicht überrollen, was nicht einfach ist, da sich das Schiff in dem aufkommenden Monsun immer mehr bewegt und wir nicht lange auf einer Position liegen bleiben können.
Die meisten von uns haben Ohrstöpsel und legen sich ein Tuch über die Augen. Manchmal hat das etwas Perfides, es sieht aus wie eine zugedeckte Leiche.
Ich schlafe morgens immer am längsten, was vor allem an meiner Nachtwache liegt. Am Morgen ist Abzählen, die ganze Mannschaft soll hoch auf die Brücke und man kontrolliert unsere Vollzähligkeit. Meist liege ich da noch im Halbschlaf und werde eben einfach mitgezählt. Nach dem Abzählen muss ich aber aufstehen. Die Jungs fangen mit dem Aufräumen an. Der Kapitän schimpft immer, wie dreckig es ist, das geht mir auf die Nerven.
Wir wissen das auch … vor allem, da wir auf dem Boden schlafen und er nicht. Aber was können wir tun, wenn die Piraten alles volldrecken, mit Tee, Khat und Zigaretten.
Unsere Ecke dürfen wir nur einmal am Tag wischen, ihre Seite der Brücke lassen die Piraten von unseren Jungs sogar nur alle zwei bis drei Tage reinigen. Ich habe aus dem Hospital verschiedene Desinfektionsmittel bereitgestellt, zumindest können wir so einen gewissen Grad der Reinlichkeit halten, um uns keinen Krätze oder Ähnliches einzufangen.
Ich bin die erste Zeit morgens immer was schlecht gelaunt. Erst mal Kaffee und Zigarette. Das Rauchen habe ich am Tag der Kaperung angefangen. Ich wusste, dass wir viel rumsitzen werden müssen und das ist nichts für mich, dann rauch ich eben zur Ablenkung.
So sitze ich morgens da und frage mich immer wieder, wieso wir nicht abends sauber machen, dann müssten wir nicht im Dreck des Tages schlafen. Hauptsache der Kapitän ist zufrieden, nur dass er auf dem einzigen Sofa der Brücke schläft und von dem Dreck, der einem da unten auf dem Boden begegnet, nicht viel mitbekommt.
Der Kaffee und ein paar Gespräche lassen mich wieder in Fahrt kommen. Frühstück lasse ich ausfallen und warte auf das Mittagessen. Wenn die Verhandlungen davor was ergeben haben, hab ich Appetit, wenn nicht, kriege ich nicht viel runter.
Noch können wir regelmäßig zu den Mahlzeiten runter und uns unten duschen. Die ersten Wochen müssen tagsüber nur die Offiziere oben bleiben, der Rest der Mannschaft kann sich in den Aufbauten mehr oder weniger frei bewegen.
Immer wieder während der Gefangenschaft kommt es zu Umverteilungen der Geiseln. Mal dürfen die einen am Tage nach unten, mal sollen alle oben bleiben, mal so, mal so. Außer in der Nacht, da sind in der Regel immer um die zehn Personen auf der Brücke.
Es hängt viel von der Lage der Verhandlungen ab. Verhandlungen, Stand der Lösegeldforderungen und das Tempo, mit dem sich Reederei und Piraten aufeinander zubewegen, beeinflusst, wie es den Geiseln ergeht, wie sie behandelt werden und welcher Bewegungsfreiraum ihnen gestattet wird.
Auf der Brücke kommt mich Christian, der technische Offiziersassistent, immer häufiger besuchen. Wir tauschen uns aus, was weiß ich über die Verhandlungen, was gibt es Neues aus der Maschine. Wir sitzen zusammen, rauchen, erzählen und überlegen.
Von Christian, der schon einige Erfahrungen vor Ostafrika und um das Horn von Afrika hat, schaue ich mir eine typische Geste für die Gegend hier ab: rechte Hand aufs Herz, kurz nicken und “Salam” sagen. Auch er hat sich das angewöhnt. Damit er sich ohne Probleme an Bord bewegen kann, hat er außerdem immer seinen Arbeitsoverall an, sein Klemmbrett und seine Taschenlampe. Das ist gut, er kann auf die Brücke gehen, unten in der Maschine arbeiten und sich in den Aufbauten bewegen, wo er die restliche Mannschaft zusammenhält, mit Neuigkeiten von oben versorgt und auch was für die Sauberkeit tut.
Wenn jemand unten ein medizinisches Problem hat und ich nicht runter kann, Christian kann hochkommen, den Schlüssel zum Hospital nehmen oder das entsprechende Medikament aus einem meiner Verstecke holen.
Er ist verlässlich und ich freue mich immer, wenn er kommt. Wir sind ein Team, die ganze Zeit über.
2.8 Das erste Fax aus Hamburg
Die Mitte des Aprils kommt, die zweite Woche unter den Piraten bricht an. Mittlerweile ist Abdi mit dem Preis immer weiter runter gegangen und mein Eindruck bestätigt sich, dass man in Hamburg wohl auf den richtigen Moment wartet, die Verhandlungen zu beginnen. Dennoch bleibt es nach wie vor schwer, den ganzen Eindrücken entgegen ein klares Bild über die Situation zu haben.
Die Reederei behält ihren Kurs bei, wir warten.
Durch Telefonate mit zu Hause erfahre ich, dass auch mein Vater sich im Moment noch nicht sicher ist, was wirklich los ist. Die Polizisten, von denen sie betreut werden, haben erklärt, dass so eine Verhandlung Zeit brauche und man erstmal den Einstieg finden müsse. Dabei darf die Reederei nicht allzu großes Interesse zeigen. Zwar verstehe ich das, aber in der Situation hier an Bord, die noch so neu und äußerst gewöhnungsbedürftig ist, kann ich es schwer nachvollziehen. Vor allem wenn man die ganzen Waffen vor sich sieht, die düsteren Typen mit ihren kranken Blicken die sie besitzen, den ganzen Dreck und 24 h am Tag diesem enormen Geräuschpegel aus Handymusik, somalischer Schreierei und Telefoniererei ausgesetzt ist. Dann fragt man sich, warum macht ihr nicht alles, dass wir sofort hier rauskommen? Man glaubt, dass niemand da draußen nachvollziehen kann, was man hier gerade durchmacht. Aber wenn man innehält und sich zur Raison zwingt, dann weiß man, dass dies nicht das erste