Giuseppe Verdi. Leben, Werke, Interpreten. Christian Springer

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für die Nachrichten über die Alzira, noch mehr aber danke ich Dir dafür, daß Du Dich an Deinen armen Freund erinnerst, der ständig dazu verurteilt ist, Noten zu kritzeln, vor denen Gott die Ohren jedes guten Christenmenschen bewahren möge. Gottverdammte Noten! Wie es mir an Körper und Seele geht? Körperlich geht es mir gut, aber die Seele ist betrübt, immer betrübt, und es wird immer so sein, bis ich diese Karriere, die ich verabscheue, beendet haben werde. Und danach? Es ist unnütz, sich Illusionen zu machen. Sie wird immer so betrübt sein! Glück gibt es für mich nicht.[253]

      IV

      Attila – ANDREA MAFFEI – Macbeth – Napoleone Moriani – verdis präferenz für shakespeare – SHAKESPEARE IN ITALIEN – PAPA SHAKESPEARE – EIN WAGNIS UND EINE NEUERUNG: DAS LIBRETTO IN PROSA – DAS MEER IN EINEM LÖFFEL EINFANGEN – VOM SHAKESPEARE-TEXT ZUM OPERNLIBRETTO – DIE MUSICABILITÀ – KÜRZE UND ERHABENHEIT – Felice Varesi – Die Revision des MacbethI masnadieri – Jenny Lind – Luigi Lablache – Italo Gardoni – Jérusalem – Gilbert-Louis Duprez

      Attila

      W

      enige Tage nach der Uraufführung der Giovanna d’Arco am 15. Februar 1845 und bevor Verdi die Arbeit an Alzira aufnimmt, stellt er Überlegungen hinsichtlich einer Oper für Venedig an:

      Es ist Zeit, daß wir über die Oper für den kommenden Karneval reden. Ich brauche ein Sujet mit vier klar gezeichneten, kräftigen Figuren, alle mit kurzen Rollen. Loeve[254] als prima donna, Guasco[255], Costantini[256], Marini[257]. Alle sollen gleich lange Rollen erhalten. Bereite das Sujet vor und schicke es mir sofort; oder veranlasse, daß es vorbereitet ist, wenn ich nach Venedig komme.[258]

      Der Hinweis auf vier kurze, aber gleich lange Rollen bezieht sich auf den außergewöhnlichen Umstand, daß das Fenice in dieser Spielzeit vier Hauptrollensänger zur Verfügung hatte. Große Theater (mit Ausnahme der Mailänder Scala und des S. Carlo in Neapel) verfügten für die Saison für gewöhnlich über drei Protagonisten (prima donna assoluta, primo tenore assoluto, primo basso assoluto), manchmal auch nur über zwei (wie im Falle des Macbeth in Florenz). Mit „gleich langen Rollen“ verlangt Verdi, daß alle eine Arie, ein Duett und ein Aktfinale erhalten sollen, ohne daß jemand benachteiligt würde. Die Sujetauswahl für neue Opern ist also weitgehend von den zur Verfügung stehenden Sängern abhängig.

      Obwohl zu diesem Zeitpunkt noch von keinem bestimmten Stoff die Rede ist, entnehmen wir aus diesem Brief schon die von Lanari[259] für Venedig engagierte Truppe. Anstelle der früher in Betracht gezogenen Berühmtheiten Varesi, De Bassini, Colini oder Dérivis jetzt also der Bariton Natale Costantini. Er ist zu diesem Zeitpunkt weniger bekannt als seine Kollegen, aber gerade im Begriff, sich als Verdi-Bariton einen Namen zu machen: Er hat 1844 den Nabucco in Mantua, Fermo und Rovigo gesungen, die Lombardi in Parma, den Ernani in Rovigo, Genua, Ravenna und Fermo und dort auch die Foscari.

      I

      m März fährt Verdi auf einen Kurzbesuch nach Venedig, um die Proben der Foscari zu leiten, die am 30. März 1845 am Teatro San Benedetto aufgeführt werden. Die Sänger sind Gertrude Bortolotti (Lucrezia Contarini), Giovanni Pancani (Jacopo Foscari), Celestino Salvatori (Francesco Foscari) und Agostino Rodas (Jacopo Loredano). Es dirigiert Antonio Gallo, der nicht nur ein bekannter Buchhändler, sondern auch der Besitzer und Impresario des Teatro San Benedetto ist. Nach ihm wird das Theater auch als Teatro Gallo bezeichnet. Für den Bariton Salvatori paßt Verdi die Partie an.[260]

      Er kündigt Piave nach seiner Rückkehr nach Mailand brieflich Anfang April den Entwurf für die neue Oper an:

      Maffei wird mir den Entwurf des Attila machen und ich werde Dir das deutsche Drama schicken und das Ballett, das, wie ich glaube, von Viganò ist.[261]

      Es ist also wahrscheinlich Verdis Freund Maffei, der ihn auf das Sujet bringt. Graf Andrea Maffei (Molina di Ledro, Trento, 1798 – Mailand 1885) ist ein Literat, der zahlreiche Werke aus dem Englischen (Shakespeare, Milton, Moore) und aus dem Deutschen (Goethe, Gessner) ins Italienische übersetzte. Seit 1827 arbeitete er an der Übersetzung der Theaterstücke Schillers. 1843 veröffentlichte er einen Roman, Roberto. Verdi wurde von Maffei im Salon seiner Gattin Clarina Maffei eingeführt, mit der ihn in der Folge ein lebenslange enge Freunschaft verband. Abgesehen von seiner Mitarbeit am Macbeth schrieb er für Verdi das Libretto zu I masnadieri und drei Romanzen, die Verdi vertonte (Il tramonto, Ad una stella und Brindisi, 1845). Die Bedeutung des hochgebildeten Maffei für Verdi liegt vor allem darin, daß er mit seinem supranationalen Kulturverständnis in Verdi dauerhaftes Interesse für die großen Themen und Autoren der europäischen Literatur zu wecken verstand.[262]

      Abb. 25 – Graf Andrea Maffei (1798-1885), Literat, Übersetzer, Librettist. Portrait von Michele Gordigiani (1830-1903).

      Möglicherweise könnte Verdi aber auch durch Madame de Staëls De l’Allemagne (1810) auf Zacharias Werner und dessen Attila gestoßen sein. Er schickt Piave die angesprochenen Unterlagen und widmet sich der Arbeit an Alzira und deren Aufführung in Neapel. Im August 1845 kehrt er aus Neapel nach Mailand zurück. Er versucht, die Erinnerung an das Alzira-Erlebnis zu verdrängen und beschäftigt sich mit seinen nächsten Verpflichtungen. Schon seit einiger Zeit wird er von Giovannina Lucca, der Gattin des Verlegers Francesco Lucca, bestürmt: Sie will für den Verlag ihres Gatten unbedingt eine Oper von Verdi. Muzio hat schon ein Jahr zuvor darüber berichtet.

      Raten Sie ein wenig, mein Herr, an wieviele Theater Ricordi die Partitur des Ernani bereits geschickt hat?... an mehr als zwanzig. [...] Der Verleger Lucca ist bisweilen völlig von Sinnen, weil er nicht das Eigentum an einer Oper des signor Maestro erwerben kann, denn er sieht, daß Ricordi groß daran verdient, weil er allein für die Kopien der Partitur des Ernani (nicht inbegriffen die zahlreichen Klavierauszüge) schon mehr als dreißigtausend österreichische Lire eingenommen hat; und wenn der signor Maestro ihm eine Partitur verspricht, wird er gleich gesund werden; ich glaube es aber nicht, daß er [Verdi] das tun wird. Die Gattin des besagten Verlegers ist zum signor Maestro gekommen, um ihn anzuflehen, um ihn zu beschwören, daß er ihm das Eigentum an einer seiner Opern gibt, es wird ihm jeder Preis, den er will, bezahlt. Er will es ihm aber nicht geben. Diese Frau sagte, daß er auch, wenn sie im Bett liegen, nichts anders tut als seufzen. Der signor Maestro sagte zu ihr, wenn er sonst nichts tut als seufzen ..., zog so das Ganze ins Lächerliche und tat die Sache damit ab.[263]

      Anfang 1845 erreicht Lucca sein Ziel dennoch:

      Der Verleger Lucca hat endlich das Eigentum an einer Oper des signor Maestro erhalten, und zwar an der, die für Venedig für den nächsten Karneval gedacht ist. Er hat sie von Lanari für dreizehntausend österreichische Lire gekauft und sie ihm dann gratis für 8 Theater überlassen; so werden es also mehr als zwanzigtausend Lire sein. Der besagte Lanari möchte den signor Maestro auch noch für Rom verpflichten; und heute hat ihm der signor Maestro geschrieben, daß er sie nicht für einen halben Pfennig weniger als 900 Napoleondor schreibt.[264]

      Verdi hat noch die Unstimmigkeiten mit Ricordi im Gedächtnis, dies ist die Gelegenheit, ihm deutlich zu machen, daß er auch Konkurrenten hat. Seine Auftragslage ist zu dieser Zeit komplex, er hat mehrere Angebote vorliegen, darunter solche aus Paris und London, und muß Prioritäten setzen – die Galeerenjahre sind voll im Gange. Verdi komponiert vorerst sechs Lieder für Singstimme und Klavier[265] und gibt

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