Giuseppe Verdi. Leben, Werke, Interpreten. Christian Springer

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Giuseppe Verdi. Leben, Werke, Interpreten - Christian Springer

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wurde im 18. Jahrhundert in Italien Shakespeares Bedeutung kaum erkannt. Zu ersten Übersetzungen seiner Theaterstücke kam es, als italienische Dichter und Schriftsteller Dramen Shakespeares in England auf der Bühne sahen und dadurch zu Übersetzungen angeregt wurden. Paolo Rolli fertigte 1739 eine Übersetzung des Hamlet-Monologs „To be or not to be“ an. Sie war die erste in Italien veröffentlichte Shakespeare-Übersetzung. In weiterer Folge erschienen Übersetzungen vollständiger Dramen, darunter 1798 erstmals der Macbeth.

      Ein Wendepunkt in der Shakespeare-Rezeption in Italien war das Einsetzen der italienischen Romantik zu Beginn des 19. Jahrhunderts, wobei Autoren wie der von Verdi bewunderte Schriftsteller Alessandro Manzoni und der Freiheitskämpfer Giuseppe Mazzini mit ihren Schriften wesentlich zur Verbreitung und zum Verständnis des englischen Dramatikers beitrugen. Nun erschienen in kurzer Folge verschiedene Sammlungen wie Tragedie di Shakespeare von Michele Leoni (14 Bände, 1819-1822) sowie Übersetzungen einzelner Dramen, darunter die Prosaübersetzung des Macbeth von Virginio Soncini (1830). Erst 1838 erschien die erste Shakespeare-Gesamtausgabe von Carlo Rusconi. Auch sie bestand aus Prosaübersetzungen.

      Verdi ist zu dieser Zeit unter Italiens Musikern der beste und höchstwahrscheinlich einzige Shakespeare-Kenner. Trotz der allmählich einsetzenden Popularität Shakespeares hat in den 1840er und 1850er Jahren kein anderer italienischer Komponist ein Stück des Engländers als Vorlage für eine Oper in Betracht gezogen. Rossinis Otello kam dreißig Jahre zuvor heraus (1816), und die Shakespeare-Opern von Saverio Mercadante (Amleto, 1822), Nicola Vaccaj (Giulietta e Romeo, 1825) und Vincenzo Bellini (I Capuleti e i Montecchi, 1830) liegen ebenfalls schon länger zurück. Eine Ausnahme (Angelo Zanardinis Amleto, 1854) bestätigt die Regel.

      Papa Shakespeare

      D

      er Macbeth-Stoff kommt Verdis Intentionen entgegen: Er strebt eine von Shakespeares Kunst inspirierte, tiefergehende Figurenpsychologie und Darstellung des gesamten Spektrums menschlicher Gefühle und Schwächen sowie die Herausarbeitung des Gegensatzes zwischen Individualität und gesellschaftlichen Konventionen an, anders als das in den Opern seiner Kollegen Rossini, Bellini, Donizetti, Pacini oder Mercadante der Fall ist.

      Zwischen dem großen englischen Dramatiker, den Verdi „Papa Shakespeare“ nennt[298], und dem Komponisten besteht eine grundlegende psychologische Affinität: Beide bringen in ihren Arbeiten nicht ihre subjektiven Gefühle zum Ausdruck, sondern einzig und allein die Befindlichkeiten ihrer Figuren. Bei beiden ist es unmöglich, im Text und im Subtext die persönliche Haltung des Autors wiederzufinden. Und was die beiden Ausnahmekünstler darüber hinaus verbindet: Sie zielen auf eine realistische Darstellung ihrer Bühnengestalten ab.

      Die Macbeth-Tragödie, das bei weitestem kürzeste von Shakespeares Dramen, handelt von einer dominanten, ehrgeizigen, skrupellosen, ihrem Mann überlegenen, in Sigmund Freuds Sicht entgegen der der Shakespeare-Vorlage und der historischen Realität unfruchtbaren Frau[299] (Gruoch, die historische Lady Macbeth, hatte einen Sohn aus erster Ehe), und von ihrem Gatten, einem schwächlichen, unentschlossenen, seiner Frau hörigen Karrieristen. Der englische Dramatiker zeigt eine Ehe voll negativer Abhängigkeiten und seelischer Krankheitsbilder. Verdi, der die dem Wohlklang und der Virtuosität des Gesangs verbundenen Opernkonventionen und ästhetischen Ideale seiner erwähnten Kollegen überwinden, sie mit Wahrhaftigkeit durchsetzen und psychologisch glaubhaft machen will, sieht in dem Drama einen für realistische negative musikalische Farben und Tonfälle hervorragend geeigneten Stoff, und zwar aus mehreren Gründen:

      Erstens enthält er keine Liebesgeschichte mit der typischen Konstellation Sopran-Tenor und dem Bariton als Antagonisten oder Vater, was eine radikale Abkehr von der klassischen Dreieckssituation der italienischen Oper bedeutet, und zweitens entfernt er sich von den Prinzipien der italienischen Gesangsoper, die – selbst in vielen Fällen der dem beliebten Opernwahnsinn verfallenen Protagonistinnen – der musikalischen Gestaltung intakter Gefühle verpflichtet ist. Für die Darstellung der kranken Psyche ist für Verdi aber auf Virtuosität und Wohlklang ausgerichteter Gesang undenkbar. Er steht vor der Aufgabe, die Korrumpierung des Menschen durch hemmungsloses Machtstreben, die Pervertierung aller natürlichen Gefühle, die blutrünstige Skrupellosigkeit, die Zerstörung der Seele der Lady, die unbewältigten Schuldgefühle, all das, was mit den bisher in der italienischen Oper eingesetzten gesanglichen Mitteln kaum überzeugend darstellbar war, realistisch zu komponieren.

      Ein Wagnis und eine Neuerung: Das libretto in prosa

      M

      acbeth ist in diesem kulturellen Klima ein Unikum ebenso wie ein Wagnis. Ein Wagnis deshalb, weil Verdi, der Englisch nicht spricht oder liest, in seinem Bestreben, eine Erneuerung der Oper herbeizuführen, auf die sprachlich schwerfällige, nicht gerade erstklassige Prosa-Übertragung von Carlo Rusconi angewiesen ist. Sie ist zudem mehr eine Bearbeitung als eine Übersetzung: Rusconi hat nicht nur Szenen umgestellt, sondern den Shakespeare-Text eigenmächtig gekürzt und ergänzt.

      Um aus einem solchen Text ein gutes und für die Komposition geeignetes Libretto herzustellen, bedarf es einer erfahrenen Hand, die nicht nur die Vorstellungen des Komponisten, sondern auch die Erfordernisse und Möglichkeiten der Opernbühne genau kennt. Dabei kommt eine neue Lösung zum Tragen, denn es handelt sich um Verdis eigene, geschickt disponierende Hand. Beim Macbeth praktiziert der Komponist erstmals jene Vorgangsweise des libretto in prosa, die er bis zur Aida (1871) beibehalten und vervollkommnen wird. Er erstellt nicht etwa für seinen Librettisten nur ein Szenario der neuen Oper, sondern fertigt von eigener Hand ein komplett ausgearbeitetes Prosalibretto an, das sein Textdichter nur mehr entsprechend seinen metrischen Vorgaben und sonstigen Wünschen zu versifizieren hat.[300]

      Das Meer in einem Löffel einfangen

      A

      ls Librettisten für das Macbeth-Experiment zieht Verdi seinen Freund Francesco Maria Piave heran. Es ist dies seine dritte Zusammenarbeit mit ihm und die bis dahin unkonventionellste und bedeutendste. Verdi vertraut Piave, der einer seiner wenigen engen Freunde ist und mit dem er einen offeneren und freieren Umgang pflegt als beispielsweise in den 1880er und 1890er Jahren mit Arrigo Boito. Dazu kommt, daß der 1810 geborene venezianische Librettist fast gleich alt wie Verdi ist, mit ihm auf Augenhöhe verkehrt und ihn zweifellos besser versteht als der um fast dreißig Jahre jüngere Boito, der die Generationenbarriere zwischen ihm und Verdi nie recht überwinden kann.

      Von Piave wurde gesagt: „Er ist ein Meister im Verkürzen und Verkleinern. Er versteht es, das Meer in einem Löffel einzufangen“. Was damit gemeint ist, wird aus folgendem Beispiel ersichtlich. Wenn es bei Shakespeare in der Szene, in der Macbeth vom Tod seiner Frau erfährt (V,5), heißt:

      Life’s but a walking shadow; a poor player,

       That struts and frets his hour upon the stage,

       And then is heard no more: it is a tale

       Told by an idiot, full of sound and fury,

       Signifying nothing.

      und die deutsche Übersetzung von Schlegel/Tieck lautet:

      Leben ist nur ein wandelnd Schattenbild; ein armer Komödiant,

      Der spreizt und knirscht sein Stündchen auf der Bühn’,

      Und dann nicht mehr vernommen wird: ein Märchen ist’s,

      Erzählt von einem Dummkopf, voller Klang und Wut,

      Das

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