Giuseppe Verdi. Leben, Werke, Interpreten. Christian Springer
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In ein paar Tagen bekommt ihr den vierten Akt. Morgen oder übermorgen schreibe ich Euch alle meine Intentionen für diesen Akt. Wenn Herr Carvalho im letzten Chor [des Schlußaktes] hundert Choristen [auf die Bühne] bringen will, umso besser; ich würde es vorziehen, wenn er den Hexenchor ganz allgemein verstärkte, besonders bei den Altstimmen, die immer schwach sind. Ich wiederhole Euch, daß der Hexenchor von allergrößter Wichtigkeit ist: er ist eine [eigene] Figur. Man darf nicht vergessen, daß sie sowohl in der musikalischen Ausführung als bei der Darstellung am Anfang brutal und grob sein müssen, bis zu dem Moment im dritten Akt, in dem sie Macbeth gegenüberstehen. Von diesem Augenblick an sind sie erhaben und prophetisch. Ihr habt mir einmal geschrieben, Ihr wolltet während des Hexenchors im ersten Akt tanzen lassen. Tut es nicht; es ist ein Fehler. Es beraubt das Ballett im dritten Akt seiner Wirkung; und außerdem ist dieser Chor so, wie er ist, gut. Ne cherchons pas midi à quatre heures. Manchmal, wenn man Wirkungen verstärken will, zerstört man am Ende eine mit der anderen.[349]
Noch knapp vor der Uraufführung der Revision am Théâtre Lyrique in Paris erteilt Verdi essentielle Anweisungen.
Jetzt zur Nachtwandelszene, die immer noch das Kernstück der Oper ist. Wer die Ristori[350] gesehen hat, weiß, daß man nur ganz wenige Gesten machen darf; sie beschränkt sich sogar auf eine einzige Geste, nämlich, den Blutfleck wegzuwischen, den sie auf ihrer Hand glaubt. Die Bewegungen müssen langsam sein, und man darf die Schritte nicht sehen; die Füße müssen über den Boden gleiten, so als ob es eine Statue oder ein Schatten wäre, der geht. Die Augen starr, die Erscheinung totengleich; sie befindet sich in Agonie und stirbt gleich danach. Die Ristori gab ein Röcheln von sich: ein Todesröcheln. In der Oper darf und kann man das nicht machen; ebenso, wie man im letzten Akt der Traviata nicht husten darf; und wie man bei scherzo od è follia im Maskenball nicht lachen darf. Dafür gibt es die Klage des Englischhorns, die das Röcheln bestens ersetzt und poetischer ist. Man muß [die Szene] mit größter Einfachheit und mit hohler Stimme singen (es handelt sich um eine Sterbende), ohne daß die Stimme jedoch jemals wie bei einem Bauchredner klingt. Es gibt einige Stellen, an denen die Stimme voll ertönen kann, aber das darf nur für ganz kurze Augenblicke sein, die in der Partitur angegeben sind. Für den Effekt und den Schrecken, die das Stück erzeugen soll, braucht man „eine totengleiche Erscheinung, wenige Gesten, langsame Bewegungen, eine hohle Stimme“ Ausdruck etc. etc.[351]
Der Uraufführung der revidierten Fassung am 19. April 1865 im Pariser Théâtre Lyrique ist ein geteilter Erfolg beschieden. Carvalho und Escudier berichten in Telegrammen von „immensem Erfolg, bewundernswerter Aufführung, herrlicher Inszenierung, allgemeiner Begeisterung“. Doch die Realität sieht anders aus: Die hochgestochenen Erwartungen des Pariser Publikums und der Kritiker werden nicht erfüllt, vieles erscheint den Franzosen zu trivial. Verdi selbst ist mit dem Resultat seiner Arbeit zufrieden (wie bei fast allen Revisionen seiner Opern sind die Änderungen stets Verbesserungen der musikalischen und dramaturgischen Qualität des Stücks) und von der Aufnahme enttäuscht. Erbost reagiert er auf Zeitungskritiken[352], in denen seine Kenntnis Shakespeares in Zweifel gezogen wird.
Oh, darin haben sie ganz unrecht. Es mag sein, daß ich den Macbet nicht richtig wiedergegeben habe, aber daß ich Shachespeare nicht kenne, nicht verstehe und nicht empfinde, nein; bei Gott, nein. Er ist einer meiner Lieblingsdichter, den ich seit meiner frühesten Jugend in der Hand gehabt habe und den ich ständig lese und immer wieder aufs neue lese.[353]
Die Erstfassung der Oper von 1847 hatte eine Sonderstellung unter den Risorgimento-Opern eingenommen. Mit der gelungenen Umsetzung der Absicht, „mehr dem Dichter als dem Komponisten [zu] dienen“ und dabei die Psychologie der handelnden Personen herauszuarbeiten, stellt diese Oper in Verdis Œuvre einen Wendepunkt auf seinem Weg vom romantischen melodramma herkömmlichen Stils zum realistischen (jedoch nicht veristischen) Musikdrama italienischer Prägung dar.
Die Revision 1865 mußte bis zu ihrer Erstaufführung am 28. Jänner 1874 an der Mailänder Scala auf einen Erfolg warten. Hier war das Protagonistenpaar Francesco Pandolfini (Macbeth) und Antonietta Fricci (Lady), das Ballett wurde komplett aufgeführt. Danach findet es sich bis zur Verdi-Renaissance der 1920er Jahre kaum mehr auf den Spielplänen, nimmt ab dann aber rasch und dauerhaft den ihm zustehenden Platz im Repertoire ein.
I masnadieri
B
evor Verdi den Macbeth in Angriff nahm, hat er, wie erinnerlich, mit der Arbeit an den Masnadieri begonnen. Er hat eine Prosafassung des Librettos entworfen und Andrea Maffei mit dessen Umformung in Verse beauftragt und einen Teil der Komposition fertiggestellt. Mit dem Impresario Benjamin Lumley wurde vereinbart, daß er die Oper im Frühjahr oder Frühsommer 1847 selbst einstudieren würde.
Verdi kehrt sofort nach der Premiere des Macbeth nach Mailand zurück und stellt die Komposition der Masnadieri beinahe fertig. Die Instrumentation wird er, wie gewohnt, erst an Ort und Stelle vornehmen. Ende Mai 1847 bricht Verdi mit Muzio von Mailand über Paris nach London auf. Die Reise nach Paris ist umständlich und erfolgt mit verschiedenen Verkehrsmitteln wie Eisenbahn, Pferdewagen und Dampfschiff (auf dem Vierwaldstätter See und dem Rhein); sie nimmt mehr als neunzig Reisestunden in Anspruch.
Verdi bleibt einige Tage in Paris: Er nimmt den Kontakt zu Giuseppina Strepponi wieder auf, die hier lebt und Gesang unterrichtet. Hier wird ihm mitgeteilt, daß die berühmte Jenny Lind, die die Amalia in den Masnadieri singen soll, sich angeblich weigere, neue Opern zu studieren. In diesem Fall würde Verdi, wie Muzio berichtet, einen Protest gegen die Impresa einlegen und nicht nach London fahren.[354] Er schickt deshalb (den der englischen Sprache unkundigen) Muzio zur Erkundung der Situation und zum Quartiermachen nach London voraus. Dort erfährt Muzio, daß, wie so oft bei Theatergerede, gerade das Gegenteil der Gerüchte wahr ist: Jenny Lind kann es kaum erwarten, ihre Rolle in Händen zu halten, um sie studieren zu können, und Verdi endlich persönlich kennenzulernen.[355] Muzio ist von London überaus beeindruckt: „Mailand ist nichts; Paris ist schon etwas im Vergleich zu London; aber London ist einzigartig auf der Welt; man braucht sich nur fast zwei Millionen Einwohner vorzustellen; da kann man sich vorstellen, welch immense Stadt das ist. Um von einem Ende der Stadt zum anderen zu gelangen, muß man drei Poststationen passieren und drei Mal die Pferde wechseln.“[356] Muzio findet eine Wohnung, nicht ohne Schwierigkeiten:
Hier bezahlt man nicht in Francs, [sondern] alles in Sterling; das Geld, das ich hier an einem Tag ausgegeben habe, reicht mir in Mailand für 10 Tage, und das ist nicht übertrieben. [...] Für drei Zimmer, die ich nehmen wollte, wollte man 5 Pfund Sterling die Woche, und ein halbes Pfund für die Aufwartung. Ich habe nur zwei Zimmer genommen; und im Salon habe ich für mich ein Bett aufstellen lassen, das tagsüber wie ein wunderschöner Diwan aussieht und in der Nacht zum Bett wird; wenn es Verdi so gefällt, gut; wenn es ihm nicht gefällt, wird er drei [Zimmer] nehmen und 5 Pfund bezahlen, denn so wie es jetzt ist, würde er nur 3 zahlen, und es ist ganz nahe beim Theater.[357]
Verdi will aber doch die Dreizimmerwohnung. Muzio beklagt sich ausführlich über die kleinen Zimmer, „in denen man erstickt“ sowie über die englischen Dienstboten, die „nur Englisch sprechen“ und überdies mürrisch sind. Er berichtet im selben Brief aber