3000 Plattenkritiken. Matthias Wagner

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3000 Plattenkritiken - Matthias Wagner

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er schrieb, hat mir gezeigt, dass ich richtig liege mit dem, was ich tue.

       Jan Plewka Hamburg, im Oktober 2016

      Jan Plewka (geb. 1970) gilt als einer der besten Rocksänger Deutschlands. Er wurde berühmt als Frontmann der Hamburger Band Selig

Bob Dylan

       http://bit.ly/2fLww8q

Bob Dylan

      1989

      „Wären da nur nicht diese Sonntagsschulentexte, die plagen bis zum letzten Song. I wonder why, Van.“

      aus der Rezension zu „Avalon Sunset“ von Van Morrison

      Bob Dylan

      „Oh Mercy” (1989)

      Bob Dylan war immer eine schillernde Figur. Bei den Fans hat er auf der langen Skala der Gefühle zwischen Entzücken und Empörung kaum eine Position ausgelassen. „Don’t follow leaders“ hieß die prägnante Essenz seiner Jahre als Kultfigur der Bürgerrechtsbewegung der 60er. Die, die ihn verehrten, haben sich in seinem Fall nie daran gehalten. Klar, das er sie vor den Kopf stoßen musste. 1965 griff er auf dem Wellenkamm der Folkprotestbewegung zur E·Gitarre, ließ surrealistische Wortgebilde von schwerem Rock umwogen und hatte ein Genre geschaffen: den Folkrock. Er hängte sich nie an Zeitgeistströmungen an – er schuf sie. Bis in die späten 70er hat uns der Poet aus Minnesota mit Alben beglückt, die in der Mehrzahl zum Grundstock der Populärmusik gehören, darunter Klangunikate wie „Desire“ oder das brillante Album „Blood on the Tracks“. Legendär auch seine Zusammenarbeit mit The Band oder die berühmte Konzertkarawane „Rolling Thunder Revue“ mit Größen wie Mick Ronson oder Roger McGuinn. In diesem Jahrzehnt aber ging es bergab mit dem einstigen Superstar. Der früher als „größter Dichter Amerikas“ Gefeierte verfiel missionarischem Eifer, ließ seinen Sound auf Mainstream trimmen. Flache Keyboards, süßliche Engelschöre und der einstmals originelle, inzwischen aber zur universal einsetzbaren Unverbindlichkeit verkommene Stil eines Mark Knopfler vergraulten die Fans. Man grämte sich nicht mehr über Dylans avantgardistischen Schritt voraus, sondern beklagte nun seine widerstandslose Vereinnahmung durch einen gehobenen Einheitssound. Zwar hat Dylan seinen Mut zur Veränderung oft genug bewiesen, doch warfen die letzten Platten ernste Zweifel auf. „Oh Mercy“ aber wischt sie beiseite – dank Daniel Lanois. Der Produzent aus New Orleans hat Dylans Musik zu den Wurzeln zurückgeführt, hat die introvertierten Songs in eine wohltuend erdige, sehr gitarrenlastige Instrumentierung gepackt, die „Oh Mercy“ zu einem unverwechselbaren Sound verhilft. Dylan selbst ist zwar noch immer vom Gauben beseelt, doch kehrt er ihn nur noch selten so plakativ heraus wie in „Ring them bells“. Ob Gospel oder Blues, ob schwelgerisch-elegisch („Most of the Time“) oder schwerblütig-rhythmisch („What was it you wanted?“): Die Musik des Teams Dylan/Lanois bleibt kraftvoll und erdverbunden. Die Platte präsentiert schnörkellos und direkt alle Qualitäten des Robert Allen Zinmermann: den hechelnden Gesang, die pointiert „falschen“ Betonungen, die spröde Schönheit seiner klagenden Mundharmonika. Und sie wartet auf mit einem der besten Dylan-Songs überhaupt: „Man in the long black Coat“, einer düsteren Geschichte um Liebe und Tod, beinah nekrophil und an Ambrose Bierce erinnernd. Lanois zaubert mit Grillengezirpe, hallenden Gitarreneffekten und Harmonika ein Wunder an Atmosphäre. „Courage is a thing of the past“, klagt Dylan im ersten Song dieser Platte, „Political World“. Ihn selbst muss man nach „Oh Mercy“ ausdrücklich davon ausnehmen. Ein erstaunliches Comeback eines ausgeruhten Künstlers, der anscheinend in jedem Jahrzehnt seinen Platz zu finden vermag.

      The Rolling Stones

      „Steel Wheels” (1989)

      Klar: Solche Rockfossilien kann man als Spättwen nicht nur mit den Ohren der 80er hören. Eine neue Stones-Scheibe aufzulegen heißt auch, gerührt der knisternden Klassiker im Regal zu gedenken. Schließlich war „Satisfaction“ einmal die Hymne aller Unbefriedigten und somit ungefähr das wichtigste Stück der Welt – auch wenn man’s, wie ich, erst spät kennenlernte, weil bei der Erstveröffentlichung noch in dumpfer Kindheit musik- und ahnungslos dahindämmernd. Aber als pubertierender Teenager zu „Angie“ den Klammerblues getanzt zu haben, prägt fürs ganze Leben. Genau das jedoch macht es so schwer, „Steel Wheels“ gerecht zu bewerten: Man hat einfach zu viel im Kopf. Dennoch, selbst unter Berücksichtigung und anschließender Eliminierung dieses Faktums, klingt die Platte ziemlich fad. Das fängt beim leblos-nichtssagenden Außencover an, wird von einem brüllend erstarrten Mick Jagger auf der Innenhülle kurz revidiert, ehe die durchweg mittelmäßigen Tanzliedchen im immergleichen Takt den Eindruck bestätigen. Zwischendurch ein paar Balladen: mal angereichert mit Klassikgitarre („Almost hear you sigh“), mal mit juchzendem Hintergrundchor, dem man jedoch eine gewisse Selbstironie zugestehen könnte („Blinded by Love“). Aber Gänsehäute? Ewige Wahrheiten? Weder noch. Allenfalls der in karger Viererbesetzung eingespielte Hardrocker „Hold on to your Hat“ lässt erahnen, welche Energie und Kraft den englischen Rotzlöffeln der 60er einmal eigen war. Das Problem ist: Die Jungs von einst sind alt geworden, wollen aber partout noch up to date sein. Alle Songs sind darum modisch aufbereitet, es findet sich gar ein ganz im Trend liegender Ausflug in den Ethnobeat (kaschiert als Hommage an den lang verstorbenen Rolling Stone Brian Jones). Mick Jagger, Keith Richards, Charlie Watts, Bill Wyman und Ron Wood bilden nunmehr eine Rentnerband am Rande des musikalischen Mittelmaßes, die sich mit perfekter Routine über die Zeit rettet. Und weil die Kreativität längst flöten ist, Richards die genialischen Riffs und Jagger die zeitlosen Melodien ausgegangen sind (was ihnen nach 30 Jahren auch zugestanden sei), fügen sie der schier endlosen Reihe ihrer Klassiker keinen neuen hinzu. „All I want is ecstasy“, singen sie auf „Shipping away“ und werden ihrer ebensowenig teilhaftig wie wir. Immerhin: Sie waren einsichtig genug, diesen Song, einen melancholischen Exkurs über Vergänglichkeit, ans Ende zu stellen.

      Tracy Chapman

      „Crossroads” (1989)

      Sie hatte eines der sensationellsten Plattendebüts der Popgeschichte: Rund zehn Millionen Exemplare ihrer schlicht „Tracy Chapman“ betitelten Scheibe wurden seit letzten Sommer verkauft – eine schier unerträgliche Hypothek für jedes Nachfolgewerk. Die junge Sängerin, die bis dahin in intimen Folkclubs die Saiten gezupft hatte, stand über Nacht im Rampenlicht, wurde herumgereicht, bestaunt, bewundert und beneidet. Plötzlich wollten sie alle, und wer Chapmans introvertierten Auftritt beim Mandela-Konzert in London gesehen hat, ahnt, wie fremd und unwirklich ihr dies vorkommen musste. Auf ihrer zweiten Platte „Crossroads“ tut sie darum das einzig Richtige: Sie thematisiert das Wunder ihres Erfolges, vor allem seine Schattenseiten. „Demons are on my Trail“ hat sie erkannt und meint all die Freundschaft nur heuchelnden Trittbrettfahrer des Ruhms. „Crossroads“ handelt von äußerer Bedrohung, von Verletztheit und von Verbitterung. Auf keinem der Coverfotos schaut Tracy Chapman uns an – als wolle sie so augenfällig machen, was sie im Song „Be careful of my Heart“ resigniert und trotzig zugleich bekundet: sich mehr Liebe für sich selber aufsparen zu wollen, statt sie an andere zu vergeuden. Natürlich fehlen auch die sozialkritischen Lieder im aufbegehrenden Duktus der 60er nicht: aggressionsgeladene Bestandsaufnahmen vom Leben in den Slums („Subcity“), Solidaritätsbekundungen für Nelson Mandela („Freedom now“) oder Attacken gegen Religion und weiße Dominanz („Material World“). Frappierend, wie sie zu zeitlos einfachen Melodien ganz schlicht nach „Gerechtigkeit“ verlangen kann, ohne sich je (wie etwa Sting, Simple Minds oder Bruce Springsteen) dem Verdacht eines modischen Betroffenheitsgestus auszusetzen.

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