3000 Plattenkritiken. Matthias Wagner

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3000 Plattenkritiken - Matthias Wagner

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      An ihr sind die Jahre, musikalisch gesehen, weitgehend spurlos vorübergegangen. Kate Bush steht auch mit „The Sensual World“ noch immer in der Tradition jener Stilrichtung, die in den späten 60ern etabliert und später von Gruppen wie Genesis oder Renaissance fortgeführt worden war: dem Klassikrock, der sein Ideal im komplexen Aufbau sinfonischer Werke sah. Es passt ins Bild, dass die englische Sängerin von Pink Floyd entdeckt und protegiert wurde – und dass ausgerechnet Ex-Genesis·Chef Peter Gabriel sie für die Single „Don’t give up“ zum Duett nötigte. Ihre eigene Musik blieb stets solchen Vorbildern verhaftet, und einer zwischenzeitlichen vokalen Experimentierlust schwor Kate bald wieder ab. Heute verlässt sie sich, wie in den Tagen ihres raschen Aufstiegs anno 78, erneut völlig aufs Rezept orchestraler Breite und fast Wagner’scher Opulenz. Zugeständnisse an den Zeitgeist fehlen dennoch nicht. Die Zutat des bulgarischen Chors Trio Bulgarka huldigt der Geschmacksrichtung Ethnopop ebenso wie die exotisch-würzigen Einsätze je eines Flötenvirtuosen (Davey Spillane) und keltischen Harfenisten (Alan Stivell). Mut gehört heute gar nicht mehr dazu, solche Folkheroen mit einem Gitarrero wie David Gilmour in einen Topf zu werfen; dazu darf Eberhard Weber noch eine Prise Jazzbass beisteuern, und Peter Greenaways Filmkomponist Michael Nyman arrangiert das Violinquartett: viele Köche … In dieser gewaltigen eklektischen Soundsoße, die der legendäre Bombastproduzent Phil Spector gewiss mit Freude goutiert, verlöre sich Kate Bushs vor allem in hohen Lagen ungewöhnliche Stimme schnell, hätte sie sie in Backgroundvocals und Duetten mit sich selbst nicht verdoppelt und verdreifacht. Dergestalt singt sie von der „sinnlichen Welt“, konterkariert den Titelsong traurig und ironisch mit der Geschichte einer Frau, die vor lauter Einsamkeit und Frust beim verständnisvollen Computer Trost sucht („Deeper Understanding“), oder gesellt sich im Geschlechterkampf den Männern zur Seite („This Woman’s Work“). Leider sind ihr dazu kaum originelle Melodien eingefallen. Kein Refrain bleibt haften, nichts prägt sich ein. Man gewinnt den Eindruck, überbordende Arragements und sinfonische Klangtiefe sollten die bloß mittelmäßige Qualität der Songs übertünchen. Vielleicht ist dies der Grund für das seltsame Gefühl, das sich nach durchgängigem Hören der Platte beim Gourmet einstellt: zu viel und zu fett gegessen zu haben, ohne satt geworden zu sein.

      Klaus Doldinger’s Passport

      „Balance of Happiness” (1990)

      Klaus Doldinger versucht sich mit seiner Band Passport in den letzten Jahren erfolgreich an Filmmusik. Und auch sein neues Werk „Balance of Happiness“ scheint – obzwar kein Soundtrack – Bilder zu illustrieren. Instrumentaler Rockjazz, der in routinierter Glätte vorüberfließt, geprägt von Doldingers elegischem Saxofon, das oft in oboenhafte Höhen aufsteigt. Manches Stück blubbert in federleichter Big-Band-Beliebigkeit dahin, ein andermal webt die Band ein sanftes Geflecht aus lyrischer Sologitarre und butterweichem Background – funktionale Hintergrundmusik für den anspruchsvoll sich gebenden Germanistikstudenten im siebten Semester, der einer jungen Kommilitonin seine Diskettensammlung zeigen will.

      M. Walking On The Water

      „Pluto“ (1990)

      Auf ihr Konto gehen bereits eine ganze Reihe skurriler Sachen. Eine Single von 1987 war in ein Cover mit echtem Wasser eingepackt, und im Jahr darauf lieferten sie, gar nicht trendy, eine Mini-LP mit lauter Walzern ab. Dazwischen lag die erste Langrille, die schlicht den (seltsamen) Namen der Band trug: M. Walking On The Water – eine wilde Mischung aus Folk und Punk, auf der Akkordeon und E-Gitarren sich aufs Trefflichste vertrugen. Dieses Klanggerüst ist geblieben. „Pluto“ ist, um es vorweg zu sagen, die bisher beste Platte der Ruhrpottband, die sich mit schier diebischer Freude jeder schablonenhaften Kategorisierung zu entziehen sucht. Ihr Motto: stilistische Vielfalt, doch keine Beliebigkeit. So klingt’s manchmal, als hätte Kurt Weill einen Adrenalinschub zum Komponieren genutzt; dann wiederum weicht harter Gitarrenrock folkloristischer Anmut, oder eine liebliche Mundharmonika trifft auf hektische Bassläufe. Das mit geschlagener Akustikgitarre eingeleitete „Big Hole“ umgibt ein folkiges Flair, im überdrehten Folgestück –„Sigi’s Lovers“ – finden wir uns unter der Ägide der Band um Sänger Markus Maria Jansen plötzlich irgendwo auf dem Balkan wieder. In „Holy Night of Rosemarie“ bricht ein prächtiges Telecasterriff die von Mike Pelzers Akkordeon bestimmte sanfte Betulichkeit nachhaltig auf; dissonanten, wohl parodistisch gemeinten „Harmonie“-Gesängen folgt ein kräftiger Rocker mit wiederum orientalisch anmutendem Refrain – schließlich versteht man sich ausdrücklich als „kosmopolitische Musikgruppe“. Höhe-und Schlusspunkt der Platte aber ist das Titelstück „Pluto“ (Bassist Ulrich Kisters: „Das ist ein ganz herber Planet!“). Monotone Gitarrensequenzen, suggestive Perkussion (Jürgen Jaehnke) und ein Chorus, der an katholische Liturgien erinnert, schaffen ein Fluidum von hypnotischer Kraft, dem man sich kaum entziehen kann. Ein ziemlich einmaliger 6-Minuten-Song, den, merkwürdig genug, gerade der gebetsmühlenartige Aufbau vor Abnutzung schützt – ein kleines Meisterstück, das die kreative Potenz der Band erahnen lässt. Ihre Texte singen sie übrigens auf Englisch. „Das ist die Sprache des Rock’n’Roll“, sagt Markus Maria Jansen, und er hat Recht. Zweimal im Jahr spielen sie in England, trotz der Probleme, die eine Newcomerband vom Kontinent dort zwangsläufig hat – in Southampton etwa kamen nur vier zahlende Gäste. Doch es geht voran: Die Plattenindustrie hat bei der (noch) lndependentband schon angeklopft. Das große Ziel rückt also näher – Jansen: „Der einzige Grund für all dies ist es, berühmt zu werden. Meinen alten Freundinnen werden wir es noch beweisen.“ Nicht nur denen, wie mir scheint.

      Michelle Shocked

      „Captain Swing” (1990)

      Eine Frau sitzt am Lagerfeuer, irgendwo in Texas. Sie spielt Gitarre und singt dazu: freche und melancholische Lieder, im Duett mit den Grillen. Die Flammen prasseln, Funken stieben. Ein Mann hört ihr zu. Die Batterien seines Walkman sind schwach, und dennoch schneidet er mit. Er weiß: Magischen Momenten wie diesen kann selbst versagende Technik nichts anhaben. Zufällig besitzt dieser Mann ein Plattenlabel, und er findet., diese Musik sei es wert, von vielen gehört zu werden – trotz des Knisterns und Gezirpes und bedrohlich schwankender Tonhöhen. Er tauft die Platte schlicht „The Texas Campfire Tapes“ (wie auch anders), und sie ist eine Ohrfeige fürs CD-Zeitalter. Die junge Frau, sie heißt Michelle Shocked, ist inzwischen nach Europa abgereist; mit Reagans Amerika hatte sie so ihre Probleme. In Amsterdam erzählt ihr irgendjemand, ihre Platte erobere gerade die englischen lndependentcharts, und sie kann es kaum glauben. Im Frühjahr 1987 sind sie und ihr Grillenchor die Nummer eins, ein ganzes Jahr lang sorgen die Campfire-Tapes für Lagerfeuerflair in englischen Hitlisten. Die Plattenindustrie nimmt sich des texanischen Talents an, ein zweites Albumfolgt. Dem Profiproduzenten traut Michelle trotzdem nicht recht. Doch siehe da: „In spite of his car phone and satellite dish we completed a second album“ – Titel: „Captain Swing“. Und in der Tat: Der Name ist Programm. Da röhren die Bläser, Bässe swingen und Besen fegen die Becken blank. Texas-Girl Michelle schwelgt nun so richtig in der Blues-und Jazzhistorie, mit Herz und GefühL Ihre eingestandenen Einflüsse lesen sich denn auch wie ein nostalgisches Who’s Who: Otis Rush, Fats Domino, Gershwin gar, Jerry Lee Lewis und viele mehr. Zum Glück hat sie sich trotz aufgemotzter Arrangements den Lausbubencharme des spröden Erstlings nicht abkaufen lassen. Ihre Texte: verschmitzt und keck, manchmal nachdenklich („Too little too late“), manchmal verspielt („The Cement Lament“). Die Musik klingt durchweg altmodisch – eine einzige Hommage an die gute, alte Zeit. Stilsicher bewegt sie sich zwischen Blues, Sintijazz und Dixieland, mit fließenden Übergängen und von allem immer etwas. Gut vorstellbar, dass selbst ein Woody Allen, ansonsten ausgewiesener Feind jedweder Musik nach 1950, bei „Captain Swing“ dahinschmölze – vor allem beim rasanten Oldtimejazzer „Must be luff“. Gut gemacht, Michelle. Indes: Die originäre Musik der 90er werden andere kreieren müssen.

      Mike Oldfield

      „Amarok” (1990)

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