3000 Plattenkritiken. Matthias Wagner

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3000 Plattenkritiken - Matthias Wagner

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ist es, die sie bei aller Glätte der Produktion nicht scheitern lässt an der Erblast des genialen Erstlings. Tracy Chapman tat eben das einzig Richtige: zu reflektieren über das Jahr, das alles in ihrem Leben veränderte. Eine erneut meisterliche Platte also, die Rückzug und Isolation als Ausweg begreift, als letztes Mittel künstlerischen Überlebens. Eine konsequente Platte.

      Van Morrison

      „Avalon Sunset” (1989)

      „Don’t wonder why“ beschwor er uns schon vor über 20 Jahren auf seinem Meisterwerk „Astral Weeks“, das in seiner filigranen Leichtigkeit geeignet schien, die Gesetze der Gravitation aufzuheben. Er war jung, 23 erst, und sang schon wie ein Meister. Seine Gedichte verwandelte er in vokale Klanggebilde voll farbenprächtiger Phrasierungen und hypnotischer Wiederholungen, er schuf Songskulpturen jenseits aller Zeiten und Stile. Später, viele Jahre später – er war nun erdiger geworden, hatte die Einzigartigkeit der „Astral Weeks“ wohl selbst erkannt und keine Kopien abliefern wollen – beschäftigte ihn noch immer das Warum. „It ain’t why, it just is“, hieß es 1980 ganz apodiktisch auf „Common one“. Das war immer die Basis gewesen, von der aus er seine persönliche Mystik hatte entwickeln können. Von hier aus hatte er kommuniziert mit magischen Mächten, die auch seine Natur- und Liebeslyrik immer wieder beschwor. Es war die diffuse, geheimnisvolle Aura seiner Texte, die sie einer eindeutigen religiösen Zuordnung enthob und so auch die Rationalisten unter seinen Fans nicht vollends verschreckte. „It ain’t why, it just is“: Das ging in Ordnung. Aber jetzt, nach „Avalon Sunset“ nicht mehr. Zwar ist des Iren Stimme noch immer für Gänsehäute gut; zwar hat er den Sound der letzten Platten (vom „Irish Heartbeat“-Folkausflug mit den Chieftains einmal abgesehen) weiter kultiviert, lässt sich noch immer umwogen von einem melancholischen Klangmeer aus schweren, verhallten Drums, breiten Streicher- und Keyboardgrundierungen, perlendem Piano und Grummelbass. Doch die Morrison’sche Mystik ist dahin, er ist (reuig?) ins christliche Lager eingekehrt. Nun also: konkrete Bekenntnisse statt dunkler Ambivalenz. Wer das eröffnende Duett mit Cliff Richard noch überstanden hat, wird sich spätestens vom fast militanten Missionseifer einer Zeile wie „Whatever it takes to fulfill his mission, that is the way we must go“ schaudernd abwenden. Wie bewegend dagegen die anrührende Rezitation des Gedichtes „Coney Island“, wenn Morrison sich ganz auf seine lyrische Sensibilität und Beobachtungsgabe verlässt – leider eine Ausnahme. „Avalon Sunset“ ist ein vorwiegend balladeskes Album, dem vor allem Georgie Fames Hammondorgel und die pieksende Akustikgitarre des furiosen Arty McGlynn musikalische Farbe verleihen. Wären da nur nicht diese Sonntagsschulentexte, die plagen bis zum letzten Song. I wonder why, Van.

      Violent Femmes

      „3” (1989)

      Die Popmusik der 80er wird in die Geschichte eingehen als bloßes Konglomerat früherer Epochen. Wohin man auch hört, in jedem Riff dieser Dekade klingt ein Vorbild nach. Kein Wunder, dass Coverversionen Konjunktur haben, nicht erst seit Mare Almonds Anschlag auf Gene Pitney. Da lobe ich mir doch Nick Caves Methode, die alten Songs sorgsam zu zertrümmern, um ihre Substanz – und damit ihre Relevanz für die 80er – zu erkunden. Die Violent Femmes covern keinen; doch auch sie haben Vorbilder und leugnen sie nicht. Sänger und Texter Gordon Gano klingt manchmal wie ein domestizierter Johnny Rotten, und Bassmann Brian Ritchie hat viel von den Stray Cats gelernt. Sein energisches, treibendes Spiel prägt Tempo und Verve der meisten Songs weit mehr als Victor de Lorenzos zurückhaltende Trommelarbeit. Des Trios neues Album heißt „3“, ist indes bereits das vierte; nicht der einzige Widerspruch auf einer Platte, die zweifellos die alten Fans wenn nicht vergraulen, so doch irritieren wird. Denn ganz gezähmt kommen die drei aus Boston plötzlich daher. So melodiös sind sie geworden, dass gleich das Eröffnungsstück „Nightmares“ geradezu Ohrwurmqualitäten hat. Jener verzweifelte Gestus, der sich noch auf „Hallowed Ground“ in energischen Dissonanzen Luft verschaffte, hat sich aufgelöst in sanfte Harmonien. Nur „Fool in the full Moon“ wartet noch auf mit wilden elektrischen Gitarreneinsprengseln. Ansonsten besinnt man sich auf die akustischen Wurzeln des Rock. So kann das hyperschnelle „Telephone book“ gewisse Bluegrassanleihen so wenig verhehlen wie „Lies“ seinen Skiffleeinfluss. Die Violent Femmes spielen nun Folk mit dem Punk nur noch im Hinterkopf: aufregend und eklektisch, mal wütend, mal depressiv, doch gemäßigter als je – selbst bei der Artikulation von Weltschmerz. „There’s nothing worth living for“, heult Gordon Gano mit herzzerreißend brüchiger Stimme, doch der schier allumfassende Geltungsanspruch dieser Zeile wird sogleich relativiert, wenn er nach wohldosierter Pause ein Wörtchen nachschiebt: „ … tonight“. Natürlich: Die Texte betreiben allesamt Nabelschau, sind selbstmitleidig und egoistisch („I hope you got fat/cause if you got really fat/you just might want to see me come back“), doch der sparsam instrumentierte, nur sporadisch von Gastmusikern unterstützte Garagenfolk macht alles wieder wett. „Zwei Gitarren, Schlagzeug, Bass: Das ist das Wahre“, sagt Lou Reed. Die Violent Femmes verwenden noch eine Gitarre weniger.

      1990

      „Am Prater kann man den Sekt schon mal kaltstellen: Nach dieser Platte reicht es für uns wohl nur zum Viertelfinale. Arrividerci Roma.“

      aus der Rezension zu „Sempre Roma“ von Udo Jürgens und der Deutschen Fußballnationamannschaft

      Frumpy

      „Now” (1990)

      Frumpy haben schon 20 Jahre auf dem Buckel und sind jetzt far away from the blues. „Now“ nennt sich bündig die Comebackscheibe der ausgezeichneten Band um die Ausnahmesängerin Inga Rumpf, deren Stimme einiges an Rauheit eingebüßt hat. Gleichwohl etabliert sie sich hier als deutsche Antwort auf Tina Turner; gut zu hören im Song „When I fall in Love“: Zu melodiösem Rock mit Funkeinschlag und manchmal angeschrägten aggressiven Bläsersätzen singt Inga der Hippieära entlehnte (englische) Texte von heilen Welten, vom Happysein together und dass wir alle doch bitteschön uns lieben und vertragen sollen. Soviel Positives will unterstützt sein: mit einer beiliegenden Bestellkarte können Frumpy-T-Shirts, Frumpy-Schals, Frumpy-Feuerzeuge und vieles mehr geordert werden. Lieferung nur gegen Vorkasse.

      Joe Cocker

      „Joe Cocker live” (1990)

      Dem Typen kann man nichts übelnehmen, selbst den -zigsten Aufguss des Altbewährten nicht. Weswegen? Weil er einerseits ein Rockurgestein ist und außerdem, wenn er wild fuchtelt mit den Gliedern beim zähen Kampf um kathartische Schreie, zugleich auch verletzlich und schutzbedürftig. Das rückseitige Coverfoto seiner aktuellen Doppel-LP „Joe Cocker live“, wo die eingefrorene Geste mehr an Dirigentenposen denn an Cocker-typische Bühnenspasmen gemahnt, entschädigt deshalb kaum für den leibhaftigen Anblick on stage. Die Musik, so professionell und makellos sie ist (oder genau deswegen), erst recht nicht. Cocker, das Woodstock-Fossil, hat seit 20 Jahren seinen Gesangsstil nicht verändert. Und warum auch? Schließlich ist er hart erkauft. Jahrelang hat er sich, für 15 Mark am Abend, in miesen Kaschemmen die Seele aus dem Leib geschrien und das entstandene Vakuum mit Bier wieder aufgefüllt – fünf Liter pro Nacht. So was hält vor. Doch was die Stimme an rohem Blues noch immer hergibt, glätten heute die Arrangements. Im seelenlosen Allerweltssound aus Keyboards, Drums, perfekt gesetzten Bläsern und Backgroundchören ist Cockers Röhre wie in ein Korsett gezwängt. Nur selten wühlt sie sich hervor aus dem kalkulierten, wie am Reißbrett entworfenen Klangraum – im unvermeidlichen „With a little help from my Friends“ etwa, das von jeher die eine atemlose Sekunde bereithält, in der die Musik stoppt und nur dieser markerschütternd heisere und hysterische Schrei zu hören ist. Doch der ist seit Woodstock der gleiche. Ein neuerliches Livealbum des Shouters aus Sheffield ist darum nicht unbedingt das, was die Rockwelt nötig braucht. Und wenn schon Cocker live als Konserve, dann lieber „Mad Dogs and Englishmen",

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