Stein. Sabine Korsukéwitz
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Mitte des 19.Jh war das Reich der Mitte besiegt und gedemütigt, weil seine altertümlichen Segler den dampfbetriebenen europäischen Kanonenbooten keinen nennenswerten Widerstand entgegenzusetzen hatten. Ich weiß nicht, ob diese Anekdote so ganz der Wahrheit entspricht. In der Regierungszeit der letzten Qing wurde die Armee nämlich mit großem Aufwand modernisiert. Wie auch immer: Die Kriegsdschunken der Qing wurden versenkt. 1858 marschierte Lord Elgin in Peking ein. Und nun fielen natürlich die ‘stinkenden Barbaren’ über die Schätze des Sommerpalastes her. Unbezahlbare Jadekostbarkeiten, die seit hunderten und tausenden von Jahren im Besitz chinesischer Fürsten gewesen waren, verschwanden in den Hosentaschen englischer und französischer Marodeure. Die wertvollsten und größten Stücke wurden säuberlich in Kisten verpackt nach England und Frankreich verbracht, wo ein geringerer Teil in Museen, der weitaus größere Teil in Privatsammlungen landete.
Erst danach, nachdem einiges von den Beutestücken ausgestellt und beschrieben worden war, kam Jade auch in Europa in Mode. Die Preise zogen an. 1863 verkaufte der König von Annam (heute Vietnam) aus einer Geldverlegenheit heraus dem Kaufmannhaus Siemssen, das eine Niederlassung in Kanton unterhielt, einen eineinhalb Kubikfuß großen grünen Stein. Wenig genug mag der Kaufmann dafür angeschrieben haben, denn ihm war Wert und Geschichte der Ware nicht bewusst. Später stellte sich heraus, dass er ein gutes Geschäft gemacht hatte: Der Stein wurde auf 36 000 Dollar taxiert.
Was bei der ersten Plünderung des Sommerpalastes hatte versteckt und gerettet werden können, verschwand 1900 während des Niederschlags des Boxeraufstands durch englische Truppen. Aber kein langnäsiger Eroberer, sondern Mao gab dem Jadekultur den Todesstoß, indem er die Bevölkerung zwang zum Wohle der Revolution all ihren Jadeschmuck herauszugeben. Da kamen dann die letzten fein geschnittenen Jadeblüten zum Vorschein, die Dolche, Vasen, Schalen, Schmetterlinge, Vögel und mythischen Tiere, Einhörner und Phoenix, Miniaturlandschaften, antike Steine von ungewöhnlicher Farbe, manche mit winzigen Einschlüssen von Gold Diese mussten an die Partei ‚gespendet‘, um gegen Devisen ins westliche Ausland verhökert zu werden.
Offiziell wurde der Jade Kult verpönt. Als während der Kulturrevolution dem damaligen Staatoberhaupt Liu Shao-Chi der Prozess gemacht wurde, zählte zu den Anklagepunkten die Tatsache, dass er Jade-Antiquitäten gesammelt hatte, Beweis seiner bürgerlichen Dekadenz.
Heute ist zwar immer noch Hongkong die Jade-Hauptstadt der Welt. Kenner und Sammler aus aller Welt besuchen dort Auktionen auf denen ungeheure Preise für historische und besondere Stücke gezahlt werden. Und die Jade, die heutzutage in Khotan gefördert wird, erzielt durchaus vergleichbare Preise. Aber es gibt nicht mehr so viele zahlungskräftige Kunden. Große Steine werden oft zerschlagen, weil sie in mehreren kleineren Teilen leichter verkäuflich sind und es gibt, dank der Kulturrevolution, nur noch wenige Jademeister, die in der Lage wären, den Stein des Himmels zu bearbeiten wie in alter Zeit.
Nur ein anderer Stein wurde in der Frühzeit in ähnlich spiritueller Weise von einem Volk geschätzt: Der Himmelsstein der Indianer, der Türkis oder chalchihuitl.
Das heutige Gebiet der Bundesstaaten Neu Mexiko, Arizona, Colorado, Utah, Nevada und Kalifornien war bewohnt von asiatisch-stämmigen Menschen, die vor 40.000 Jahren eingewandert waren, auf der Flucht vor dem sich ausbreitenden Eis. Die Beringstraße war zu dieser Zeit trocken gefallen und zu Fuß überquerbar. Einige der Stämme zogen in den südlichsten Teil von Nordamerika. Im Laufe der Erdentwicklung stellte sich heraus, dass sie Eis für Feuer eingetauscht hatten. Ihre neue Heimat war eine unbarmherzige wasserarme Steinwüste mit einem empfindlichen ökologischen System, dem sie sich aber hervorragend anzupassen verstanden.
Hier fanden sie auch jenen nass schimmernden blau-grünen Stein, der in seiner Farbe all das in repräsentierte, was ihnen lebensnotwendig, ja heilig war: Wasser und Himmel – den Türkis. Es störte sie nicht, dass er in Farbe und Qualität variierte, das tun Wasser und Himmel auch.
Die besten Stücke wurden bewahrt oder als Schmuck gefasst, die geringeren als Opfergaben für Rituale verwendet oder zerstoßen und magischen Gebräuen zugesetzt. (Da wurden, wenn meine Quellen stimmen, die Götter beschummelt.) Kein Schamane, Medizinmann, Cazique hätte ohne Türkis sein Amt ausüben können. Er war die Verbindung zum Göttlichen und zur Seelenwelt schlechthin.
Alle Stämme schätzten diesen Stein zu einem gewissen Grad, manche mehr, manche etwas weniger, und alle waren bereit, einige Mühen auf sich zu nehmen, wenn es darum ging, ein besonders gutes Stück zu erwerben. Mit Türkis und den Indianern sei es, wie mit Jade bei Chinesen, so hat man mir versichert: Sie hätten ein geradezu übersinnliches Gespür für die Güte und Echtheit dieses Steins. Sie würden ihn durch ihre tiefe spirituelle Bindung daran erkennen. Nie könne man ihnen eine Fälschung oder ein minderwertiges Stück für einen guten Türkis aufschwatzen. Mit Sicherheit haben sie ihr Leben lang so engen Kontakt zum Türkis und er ist in ihrer Kultur so wichtig, dass sie wohl allein deshalb keinen Fälschungen aufliegen würden.
Seit der Steinzeit haben sie ihn vom Boden aufgesammelt – besonders nach einem Regenguss sind die schimmernden Steine gut auszumachen – und aus Bergen herausgegraben. An die zweihundert prähistorischen Türkisminen sind heute noch bekannt, ein guter Teil davon dokumentiert und kartographiert durch die spanischen Eroberer.
In unserem präzisen, materialistischen Wertsystem, in dem es um Härtegrade, Reinheit und Seltenheit geht, um Geldwert, hat dieser Stein einen geringen Platz. Es ist ein wasserhaltiges Kupfer-Aluminiumphosphat, kryptokristallin, knollig, tropfsteinförmig und ist als Kluft Füllung oder Überzug von bereits vorhandenem Gestein entstanden. Die besten Steine finden sich in weichenTalksäumen, aus denen man sie mühelos herausgraben kann; meist aber stecken sie in einer härteren Matrix von Ergussgesteinen oder Pegmatiten. Türkis hat einen Härtegrad von fünf bis sechs Mohs. Sein Glanz ähnelt Wachs oder Porzellan. Die Farbe variiert von blau-grün über dunkelgrün, rötlich braun und violett bis hin zu weiß. Nur die wasser- und himmelfarbigen Qualitäten aber sind die Seelensteine, von denen ich erzählen möchte. Der sogenannte ‘schwarze Türkis’ der Zuni-Indianer ist gar keiner; es ist versteinerte Kohle. Doch genug von diesem Mineralonesisch. Das können Sie in jedem Nachschlagewerk finden.
Gesammelt und als Edelstein geschätzt wurde er in den Alten Reichen, in Ägypten, wo man ihn aus dem Sinai bezog, im Osmanischen Reich und in Persien. Den Namen, unter dem er uns geläufig ist, hat er von europäischen Kreuzfahrern bekommen, die ihn zum ersten Mal in der Türkei zu Gesicht bekamen – Türkis.
Aber für kein Volk hatte er auch nur annähernd die Bedeutung, wie für die indianischen Stämme des amerikanischen Südwestens. Ihre Religion oder Philosophie waren animistisch. Sie glaubten, dass jedes Objekt in der großen weiten Welt ein eigenes Leben und eine Seele besitzt. Einige dieser Wesen führten vorbildliche Existenzen, andere waren Tunichtgute und Verschwender. Einige besaßen magische Fähigkeiten, konnten über die Sonne schweben, andere waren erdgebunden und konnten gefunden oder gefangen werden. Manchen war es sogar gegeben im Himmel und auf Erden, in beiden Sphären gleichzeitig sein. Diese mächtigen Wesen konnten die Leben der Menschen beeinflussen, sie schützen oder schädigen, sie belohnen oder bestrafen, je nach Verdienst und Laune.
Wie auch die australischen Ureinwohner überlieferten die Indianer ihre Urzeitlegenden mündlich. Sie erklärten die Entstehung der Welt, die Herkunft des Volkes und fixierten wünschenswerte Verhaltensmuster. So wird sogar noch aus neuerer Zeit unter den Zuniindianern die Geschichte von Hli’okwa erzählt, dem personifizierten Türkis, der Santa Domingo verließ, weil die Einwohner Türkise benutzten, um Prostituierte zu bezahlen.
Es gibt wohl hunderte von Märchen und Schöpfungsmythen um den Türkis. Nach der Erntezeit folgte bei den Navajo die Zeit der großen Winterzeremonien, bei denen sie in einer Serie von Gesängen ihre Schöpfungsgeschichte nacherzählten. Die Entstehungsgeschichte der Welt und die hilfreichen Mächte nicht zu vergessen, hatte für sie eine ähnlich profunde Bedeutung,