Hörbuchsprecher - Sein oder Nichtsein. Peter Eckhart Reichel
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Dieser Leitfaden verfolgt deshalb vor allem ein Ziel: er soll dabei helfen, Ihre eigene Kritikfähigkeit als Sprecher zu entwickeln, er soll Ihnen Sicherheit und Leichtigkeit vermitteln und Ihre bisher unbekannten Potentiale wecken.
In den vergangenen zwei Jahrzehnten, in denen ich als Autor, Hörbuchproduzent und auch als Wortregisseur tätig sein durfte, konnte ich meine Kenntnisse über die unterschiedlichsten Formen von Literaturinterpretationen erheblich erweitern. Ich hatte das Glück - und manchmal auch die Ehre - mit prominenten Schauspielern oder bekannten und auch weniger bekannten Sprecherinnen zusammenarbeiten zu dürfen. Alles, was ich Ihnen in den nachfolgenden Kapiteln an Erfahrungen und Wissen weitergeben kann, habe ich von all diesen Sprechern und Sprecherinnen gelernt, mit denen ich oftmals tage- oder nächtelang in den verschiedensten Aufnahmestudios zusammengearbeitet habe. Ihre Ratschläge und Tipps konnte ich immer wieder auch bei meinen eigenen Hörbuchproduktionen praktisch anwenden. Seit 1996 sind bisher ca. 50 Hörbuch- Hörspiel- oder Rundfunkaufnahmen unter meiner Mitwirkung entstanden. Viele dieser Audio-Produktionen wurden als Hörbücher veröffentlicht und sind größtenteils noch immer im Buchhandel erhältlich.
Das Produzieren eines Hörbuches ist natürlich immer ein sehr ehrgeiziges Projekt. Es ist so, als wollte ein Sprecher mit seinem Instrument gleich einen ganzen Konzertabend gestalten. Wenn Sie als Sprecher noch nicht so weit sind, tasten Sie sich mit Hilfe dieses Ratgebers Schritt für Schritt an die anspruchsvolle Aufgabe heran. Alle Tipps, Hinweise und Übungen, die ich Ihnen gebe, wenden sich prinzipiell an alle, die Texte für ein Publikum sprechen möchten – also auch an Literaturinterpreten, die vor Publikum auftreten möchten. Diese Informationen ersetzen allerdings keine Sprecher- oder Schauspielausbildung, aber sie führen Sie als Interpret oder Vorleser, das ist mein Ziel, hoffentlich in die richtige Richtung. Ich lade Sie herzlich ein, von all diesen Erfahrungswerten zu profitieren.
„Because I have a voice!“
Die Faszination am Sprecherberuf, der in den letzten Jahren auch durch die Vielzahl an Hörbüchern und Spiele-Vertonungen bekannter geworden ist, scheint immer noch weiterhin zuzunehmen. Die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen, dass es viele Wege gibt, um diesen Beruf zu erlernen und auszuüben. Doch eines ist besonders wichtig: Sie sollten immer dazu bereit sein, sich für dieses Ziel (auch langfristig!) zu engagieren. Sie werden auf diesem Weg etliche Hürden zu überwinden haben und deprimierende Stagnationsphasen erleben. Das klingt zwar alles abgedroschen, trifft aber genau den Kern.
Machen Sie Ihre eigene Stimme zu Ihrem Kapital mit einer Ausbildung zum Mikrofonsprecher.
Mit solchen oder ähnlichen Slogans werben einige Ausbildungsinstitutionen um die Gunst des heranwachsenden Sprechernachwuchses. Leider aber stellt sich die Realität nach einer solchen oftmals kostspieligen Schulung für die meisten „ausgebildeten“ Berufssprecher ganz anders dar. Das riesige Angebot an Berufssprechern übersteigt deutlich die Nachfrage der potentiellen Auftragsgeber, die geeignete Stimmen für Audioproduktionen suchen. Nicht nur bei den Rundfunksendern, auch bei den Hörbuchverlagen ist die Nachfrage nach neuen Stimmen im überschaubaren Bereich. Dagegen häufen sich Anfragen von Sprechern und Schauspielern, die sehr gern in diesem Segment arbeiten möchten, vor allem aber von Amateuren, die nach einem Einstieg in den Sprecherberuf suchen.
Sprecher
Berufssprecher unterscheiden sich neben ihrer jeweiligen Technik vor allem durch ihre unterschiedlichen Stimmlagen, Charakteristik und ihr Sprachalter. Die Stimmencharakteristika für beide Geschlechter werden oft auch mit den gleichen Attributen beschrieben:
dynamisch, jugendlich, lieblich, mittelkräftig, sanft, dunkel, frech, frisch, hell, kindlich, facettenreich, sinnlich, tief, sonor, voluminös, hart, zart, zickig, rauchig, voll, warm oder weich, markant, seriös, sehr männlich oder sehr weiblich, um nur einige zu nennen.
Aber diese Attribute sagen längst noch nicht alles über die tatsächliche Stimme des Sprechers oder der Sprecherin aus. Sie dienen höchstens als grobe Orientierungsmöglichkeit.
Es existiert natürlich kein Mensch, auf den nur eins dieser stimmlichen Merkmale zutrifft. Stimmen sind vergleichbar mit Musikinstrumenten, die man hart oder weich, laut oder leise, sanft oder heftig spielen kann. Stimme ist Klang.
Bei jedem Klang schwingen immer Grundton und Obertöne mit. Wenn wir von Klang sprechen, schwingen die Obertöne jedoch in einem Vielfachen zum Grundton, sie schwingen harmonisch zueinander. Die Obertöne bestimmen die Klangfarbe eines Instrumentes, auch bei einer menschlichen Stimme.
Das akustisch empfundene Stimmalter ist natürlich nicht identisch mit dem biologischen Alter des Sprechers oder der Schauspielerin. Es wird oft so beschrieben: Sprachalter von 20 bis 35 Jahre. - Tatsächlich ist die Dame oder der Herr jedoch gut 20 Lebensjahre älter, als sie oder er klingt.
Es gibt aber auch jüngere Schauspieler, die wie 60jährige Männer wirken und manche 50jährige Schauspielerin hat noch immer eine jugendliche Stimme, obwohl ihre äußere Erscheinung eher ihrem tatsächlichen Alter entspricht.
Manche alten Stimmen klingen kehlig, schnoddrig, gebrochen oder kraftlos, manche klingen weise oder klug. Es gibt sogar Schauspieler oder Sprecherinnen mit kleinen Sprachfehlern, die durchaus für eine dementsprechende Hörspielrolle geeignet sind. Bei Hörbuchaufnahmen sind solche Stimmen jedoch weniger kompatibel, es sei denn, sie decken sich mit der Charakteristik des literarischen Inhalts. Für manche Texte braucht es manchmal Ungewohntes. Ich persönlich mag Stimmen mit kleinen Fehlern und Eigenheiten, weil durch sie ganz bestimmten Figuren ein hoher Widererkennungswert verliehen werden kann.
Es gibt viele weitere Faktoren, die die Qualität einer Stimme tagtäglich beeinflussen wie der Gesundheitszustand (Erkältung, Zigaretten- oder Alkoholkonsum), oder der Grad der körperlichen Entspannung, aber auch An- oder Verspannungen, die Tageszeit, die Sünden des Vortages, Nervosität, Emotionen. Daher müssen Sprecher für eine verlässliche und wiederholbare Klangfarbe ihres Instrumentes sorgen. Hierbei können helfen:
• ein erprobtes persönliches Aufwärmsprechen,
• ein diszipliniert einzuhaltender Abstand zum Mikrofon und Einsprechwinkel,
• sprech-, stimm- und atemtechnische Übungen, die zur Tagesroutine gehören sollten,
• eine verlässlich erzeugbare körperliche Grundspannung
• und selbstverständlich Praxis, Praxis, Praxis.
Wie werde ich Hörbuchsprecher?
Diese Frage wird mir fast täglich gestellt. Sehr oft rufen mich Menschen an und ich höre von ihnen stets die gleichen Sätze: „Man sagt mir, ich habe eine schöne Stimme, und die Leute (Kinder, Senioren, Freunde auf Lesungen usw.) hören mir gern zu und finden meine Stimme toll. Ich möchte mich deshalb bei Ihnen als Hörbuchsprecher bewerben.“
Das ist zwar erfreulich, aber nicht gerade sehr aussagekräftig in Bezug auf ihre Eignung als Hörbuchsprecher.
Wenn ich dann nachhake und ich mich erkundige, ob sie oder er eine entsprechende Stimmausbildung oder Schauspielschule absolviert haben, stoße ich nicht selten auf Unverständnis.
Vorträge vor Ort oder auf einem Podium gelingen vor allem durch die Persönlichkeit der Interpreten