Hörbuchsprecher - Sein oder Nichtsein. Peter Eckhart Reichel
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Natürlich gibt es auch Naturtalente unter den „ungelernten“ Sprechern, aber im Studio müssen sie, wie Berufssprecher, verschiedene Varianten beherrschen und auch anbieten können. Zu dieser Fähigkeit gehört auch ein hohes Maß an Erfahrung dazu. Trotzdem gibt es immer wieder erfolgreiche Schauspieler, die nie eine Schauspielschule besucht haben, sie sind eher Ausnahmen.
Die Realität sieht aber so aus: Ohne eine Sprecherausbildung erfolgreich absolviert zu haben, werden Sie sich vergeblich in einem Rundfunksender als Berufssprecher bewerben, auch Synchronstudios und Hörbuchverlage setzen eine entsprechende Qualifikation voraus.
Bei einer Umfrage in einem Hörbuchforum, beschrieb ein Teilnehmer diese (wie ich finde) sehr zutreffenden Situation ganz exakt:
Gute Hörbuchsprecher sind immer Sprach-Künstler. Sie transportieren Inhalte vom gedruckten Wort in gehörte Sprache - im Idealfall so, dass man beim Zuhören gar nicht auf die Idee kommt, der Inhalt könnte überhaupt den Umweg übers Schriftbild gegangen sein: Jemand erzählt mir einfach eine Geschichte. Und das nicht nur Wort für Wort. Eine Geschichte besteht aus lauter Emotionen, aus Gedanken, aus Zwiegesprächen, aus turbulenten oder brutalen oder beschaulichen Bildern. Das will ich beim Zuhören alles erleben. Ein guter Erzähler, dem ich gerne zuhöre, vermittelt mir jeden Subtext: Die Freude, das Grauen, die Langeweile, die Überheblichkeit, die Hilflosigkeit, die Kränkung - und den Humor, vielleicht die schwierigste Gratwanderung von allen. Aber nicht jeder gute Sprecher, nicht jede prominente Schauspielerin ist auch gleichzeitig für dieses Medium geeignet.
Versetzen Sie sich bitte einfach mal in die Situation eines Hörbuchproduzenten, der bei jedem seiner Projekte immer wieder vor folgender Problematik steht. Er kennt zwar hunderte Berufssprecher und Schauspielerinnen und ihre unterschiedlichen Stimmen, aber er stellt sich immer wieder vor Beginn eines Projektes stets diese gleichlautenden Fragen:
Welcher Schauspieler oder Sprecher passt überhaupt von seinem Image, seinem Ausdruck oder seines Sprachklangs her zu welchem Text?
Ist die Interpretationskunst des Schauspielers oder der Sprecherin überhaupt geeignet, der Geschichte in einem Hörbuch die gewünschte Nuance zu verleihen, an die der Leser des Buches vielleicht nie gedacht hat, oder, im günstigsten Fall, die sich sogar mit seiner eigenen Fantasie hundertprozentig deckt?
Sie sollten sich nun selbst auch einige Fragen stellen und diese nach Möglichkeit objektiv beantworten:
Über welche Stimmattribute verfüge ich? Und: Zu welchem Charakterbild würde meine Stimme passen?
Eine gute Artikulation ist für jeden erlernbar, dies ist die Voraussetzung für eine Mikrofonarbeit.
Erfülle ich tatsächlich diese Voraussetzung?
Eine Schauspielausbildung ist sehr von nutzen, weil die Texte oder Dialoge authentischer klingen und Sprechtraining zur Ausbildung gehört.
Aber wer könnte meine Stimme ausbilden?
Zum Beispiel: Sprachtrainer, Sprecherzieher, Stimmtrainer - oft sind diese Leute ausgebildete Schauspieler oder Berufssprecher.
Ein Sprecherzieher würde Sie vielleicht einem Eignungstest unterziehen:
„Partizipationsprinzipien“ - Versuchen Sie dieses Wort dreimal hintereinander möglichst schnell und fehlerfrei auszusprechen. Oder Sie probieren es mit diesem Wort „Assistenzarztattest“.
Wenn dies gelingt, versuchen Sie es anschließend mit ein paar Zungenbrechern:
Der Whiskeymixer mixt den Whiskey. Den Whiskey mixt der Whiskeymixer.
oder:
Sechzig tschechische Chemiker checken rechnerisch technische Schemata.
Sie ahnen bereits, worauf ich hinaus will?
Zungenbrecher werden einerseits zur Belustigung aufgesagt, dienen aber andererseits auch professionellen Sprechern als Artikulationsübung.
Dennoch sind all diese guten Ratschläge noch kein Garant dafür, dass sehr viele Sprecher ein Hörbuch auch professionell genug einsprechen können.
Woran könnte das liegen?
Ganz einfach: die meisten Sprecher lesen. Und zwar falsch!
Was muss ein Hörbuchsprecher alles können?
Kennen Sie nicht auch die Situation, dass ein Hörbuch beginnt, eine wunderschöne und markante Stimme beginnt zu sprechen und wir denken WOW - Was für eine tolle Stimme! Trotzdem schlafen wir nach kurzer Zeit ein. Was ist der Grund?
Es kann viele Ursachen haben: Übermüdung nach einem anstrengenden Arbeitstag, unser Entspannungsbedürfnis oder eine mangelnde Konzentrationsfähigkeit wären möglich. Oft liegt es aber auch am Sprecher, an der Sprecherin, weil sie den Text nicht erzählen, sondern ihn nur vorlesen. Oder anders formuliert: er wird falsch gelesen, nämlich so, wie wir es in der Schule gelernt haben und nicht so, wie wir im realen Leben sprechen.
Ein Beispiel: wir haben gelernt bei einem Komma eine Pause zu machen und die Stimme zu erheben. Ebenso haben wir gelernt bei einer Frage am Ende die Stimme leicht zu betonen.
Bei einen Komma mit dass dahinter wird immer durchgesprochen - alles andere wäre künstlich.
Und wenn mir etwas wichtig ist, dann reicht es, dass ich es denke und fühle, ich muss dem Wort keinen Druck oder Lautstärke verleihen.
Ein anderer Grund könnte folgender sein: Manche Stimmen klingen im natürlichen Raum ganz gut, vor dem Mikrofon, bzw. aus einem Lautsprecher allerdings nicht mehr. Klar gibt es Naturtalente. Aber die Präsenz und Resonanz, die für den Profi-Bereich dringend erforderlich sind, bringt eben meist nur jemand mit Talent und entsprechender Stimmausbildung mit in eine Sprachaufnahme ein. Und selbst unter den Profis ist hierbei die Luft bereits ziemlich dünn...
Sie erinnern sich an das Zitat des Schauspielers Rufus Beck, welches diesem Buch voransteht? Stimmen sind vergleichbar mit Musikinstrumenten, die man hart oder weich, laut oder leise, sanft oder heftig spielen kann. Stimme ist Klang. Bei jedem Klang schwingen immer Grundton und Obertöne mit. Professionelle Schauspieler und Berufssprecher haben immer eine langjährige und komplizierte Ausbildung absolviert, um mit diesen Möglichkeiten arbeiten zu können. Ihre fundierte Ausbildung der Stimme und Sprache ist daher nicht so einfach zu ersetzen, auch wenn dies immer wieder von „Naturtalenten“ oder Hobby-Sprechern angenommen wird.
Um Ihnen einen Überblick zu geben, habe ich einen Auszug aus einem Lehrplan einer Schauspielschule für die Sprach- und Stimmbildung zusammengestellt:
Spannung - Entspannung - Grundspannung (Präsenz)
Körpermitte als Ausgangspunkt der sprachlichen Äußerung (Zentrierung)
physiologische Sprechatmung
Resonanz, Umfang und Modulationsfähigkeit der Stimme
präzise, dialektneutrale Artikulation
Sprechen