Auf ihren Spuren. Sabine von der Wellen
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Mich verschonte sie bisher. Ich denke, ich bin ihr zu jung. Sie ist neunzehn und sogar drei Monate älter als Timo. Manuel ist schon zwanzig, mindestens genauso groß wie Timo, aber doppelt so breit. Deshalb hätte ich nicht gedacht, dass Katja sich auch an ihn heranmachen würde. Aber wer weiß schon, was sie in seinem Zimmer wollte.
Ich schließe die Seite, die ich an meinem PC geöffnet hatte, weil ich eigentlich etwas für die Schule tun wollte und murmele: „Ich komme.“ Dabei schiebe ich mich mit dem dicken Lederschreibtischstuhl von dem massiven Schreibtisch weg, der so monströs ist, dass ich gar nicht weiß, wie die ihn damals hier hineinbekommen haben. Die Tür erscheint mir viel zu klein und der Fahrstuhl ist es definitiv auch. Vielleicht haben sie ihn hier zusammengebaut. Und wer? Wer hat Mama das Ganze eingerichtet? Das ist eine Frage, die ich mir noch nicht beantworten konnte. Wer hat Mama die zwei großen Schränke aufgestellt, die eine ganze Wand einnehmen, das Sofa hier hineingeschleppt und das große schwarze Bett in die Nische eingebaut? Selbst die zwei Matratzen sind so dick, dass man sie kaum tragen kann. Ich hatte sie einmal angehoben, als ich auf der Suche nach weiteren Verstecken war. Aber es gibt nur das nicht zu öffnende in dem Schrank, in dem sich auch alles andere Erschreckende befand, dass meine Mutter hier gebunkert hatte. Offensichtlich wollte sie nicht, dass ich etwas davon Zuhause finde. Anscheinend traute sie mir nicht mehr. Vielleicht glaubte sie, dass ich mit siebzehn dem ungeschriebenen Gesetz nicht mehr folge, dass sie mir von klein auf eingebläut hatte. „Du hast dein Zimmer, ich meins. Und in meins darfst du nur, wenn ich dabei bin.“
Ich hätte ihr Zimmer früher inspizieren sollen. Dann hätte ich eher erfahren, was sie so treibt und sie von dieser Reise nach Frankfurt abhalten können. So glaubte ich immer, dass sie nur die Besitzerin dieses Internetcafes ist. Ich meine, sie hatte das tatsächlich. Aber sie war nicht so viel da, wie ich dachte und es gehörte ihr nur zu 50 Prozent, was ich auch nicht wusste.
Es liegt hier in der Stadt, weswegen ich keine zwei-dreimal in meinem Leben dort gewesen bin. Ich glaubte ihr natürlich, dass dieses Internetcafe 24 Stunden geöffnet hat. Daher gab es die vielen Nachtschichten. Meiner Mutter waren die Nachtzuschläge für die Mitarbeiter zu teuer. Sie war ziemlich geizig und machte immer lieber alles selbst. Erst bei meinen Recherchen nach ihrem Tod wurde mir klar, dass sie mich belogen hatte. Das Internetcafe macht um 22 Uhr zu … und das nicht erst seit gestern.
Daher weiß ich, dass sie nachts wohl einem anderen Geschäft nachging, dem ich versuche auf die Schliche zu kommen. Einem Geschäft, dass im Dunkeln stattfindet und auch nur Kreaturen anlockt, die ihr Unwesen im Dunkeln treiben und die nur tagsüber ein Mensch wie du und ich sind … und wie meine Mutter.
Als ich durch die Tür in das geräumige Wohnzimmer trete, sticht mir das grelle Tageslicht in die Augen. Ich blinzele benommen und höre Katja belustigt rufen: „Du solltest mal deine Schalosien hochziehen. Heute war den ganzen Tag lang schönster Sonnenschein.“
Ich sehe durch die großen Fenster auf die Stadt hinaus, die sich unter uns ausbreitet. Die Sonne scheint tatsächlich das Grau der Stadt etwas aufzuhellen, die in den letzten Tagen im Regen versunken war. Mittlerweile registriere ich sowas auch wieder. Genauso wie den Blumenstrauß auf dem Tisch.
„Schön, ne? Die haben mich so angelächelt, da habe ich sie geklauft.“
Ich werfe Katja einen bösen Blick zu. „Du schickst uns noch die Polizei auf den Hals, mit deiner ständigen Klauerei. Dir ist schon klar, dass ich dich auch wieder hinauswerfen kann?“
„Ach, das tust du nicht!“, ruft Katja nur völlig überzeugt und schenkt mir wieder ihr süßestes Lächeln. „Außerdem kann das nur Timo.“
Ich werfe mich auf einen Stuhl und starre in den Kochtopf mit dem undefinierbaren Durcheinander darin, den Ausspruch von ihr ignorierend.
Katja weiß nicht, dass mir die Wohnung gehört. Ich wollte das so. Sie weiß auch nicht, dass meine Mutter tot ist.
„Dann muss ich mal mit Timo ein ernstes Wörtchen reden“, sage ich und Katja lacht selbstsicher auf. „Tu das.“
Sie weiß, Timo liebt die Vorzüge, die sie bietet. Da brauch er sich nicht auf die Jagd machen, wenn ihm nach etwas Spaß ist. Und er sieht gut genug aus, dass Katja sich jederzeit von ihm vernaschen lässt. Also werde ich umsonst gegen sie intervenieren.
Ich winke ab und lasse mir das Nudelgemisch auf den Teller schaufeln. Es schmeckt sogar besser, als es aussieht.
„Lecker ne?“, will Katja gelobt werden.
Ich nicke nur, während ich mir hungrig das Essen in den Mund schaufele. Ich habe seit dem Frühstück noch nichts gegessen. Nun ist es Abend. Aber wenn ich am PC sitze, oder an den Unterlagen von Mama, dann vergesse ich Raum und Zeit.
Was hatte Mama so schön über Raum und Zeit gesagt? Alles nur Illusion. Und sie hat recht. Jetzt verstehe ich das. Wenn ich über ihren Sachen brühte, bringen mich meine Gedanken weit weg und überall hin. Dann fließen die Raumstrukturen ineinander und verwischen völlig. Manchmal weiß ich gar nicht, wo ich bin, und wer und wann. Das wann kommt mir wirklich oft abhanden. In einem Moment ist es achtzehn und im nächsten schon zweiundzwanzig Uhr.
Mama erzählte mir mal, dass weder Zeit noch Raum feste Konstanten sind. Nur die Geschwindigkeit ist gleichbleibend, und zwar durch die Lichtgeschwindigkeit, die sich nie ändert, während eine Sekunde nicht immer eine Sekunde ist und Meter nicht immer ein Meter. „Alles ist relativ zueinander“, hatte sie gesagt und noch Geschichten hinzugefügt, die ich nicht richtig verstand. Nur eine blieb mir überhaupt im Gedächtnis. „Wenn du an der Autobahn stehst und ein Ferrari rauscht an dir vorbei, dann kommt dir die Zeit, in der er auf dich zukommt, an dir vorbeifährt und am Horizont verschwindet kürzer vor, als wenn du in einem eigenen Auto selbst auf der Autobahn fährst und du den Ferrari bei dem gleichen Manöver beobachtest.“
Das kam irgendwie von dem Superhirn Einstein.
Mama war auch ein Denker und konnte mich damals noch beeindrucken. Später tat ich ihre Weisheiten als unnütze Gedankenspiele ab, die sie bestimmt in dem langweiligen Internetcafe überfielen. Ich stellte sie mir an ihrem Schreibtisch oder Tresen sitzend vor, selbst eine Tastatur vor der Nase und einer Tasse Tee. Mama trank viel Tee und ich glaubte, dass sie auch viele Stunden im Internetcafe zubrachte.
„Erde an Joel! Du denkst zu viel!“ Katja klingt gekränkt. „Und wohl nicht an mich.“ Eins von Katjas Lastern ist, dass sie ständig Aufmerksamkeit braucht.
In dem Moment hellt sich aber ihr Gesicht schon wieder auf, als sie einen Schlüssel im Schloss hört und weiß, dass nun ein bestimmt Gesellschaftsfähigerer auf der Bildfläche erscheint. Und ich bin auch froh darum. In meinem Kopf wüten wirklich zu viele Gedanken, um Katjas Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom zu befriedigen.
Ich sehe auch erwartungsvoll auf und hoffe darauf, Manuel zu sehen. Aber es ist Timo, der um die Ecke kommt.
„Hi! Hm, hier riecht es nach Essen.“
„Ich habe gekocht“, ruft Katja freudestrahlend und Timo verzieht erschrocken das Gesicht.
„Es schmeckt sogar“, sage ich und kratze die Reste von meinem Teller.
Timo geht zum Kühlschrank und holt sich ein Bier. „Ich hoffe, ihr habt nichts dagegen, wenn ich noch ein wenig warte. Nur so zehn bis fünfzehn Minuten und schaue, ob einer von euch beiden vom Stuhl kippt.“
„Mein Essen ist nicht verseucht“, mault Katja und zieht einen Schmollmund, was wirklich süß