Auf ihren Spuren. Sabine von der Wellen
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Auf ihren Spuren - Sabine von der Wellen страница 4
Meint er wirklich, ich weiß nicht, was da ständig zwischen ihnen läuft und dass er die Finger nicht von ihr lassen kann. Ich hatte Timo damals gesagt, dass ich keine Frau in der Wohnung haben will, weil das nur Stress macht. Timo meinte daraufhin nur: „Blödsinn. Es darf bloß keiner mit ihr anbändeln und sich in sie verlieben. Dann ist das ganz easy. Außerdem brauchen wir jemanden zum Kochen, Waschen und Putzen.“
Katja kann nichts davon. Aber wir hatten das eine freie Zimmer, dass bis dahin Abstellraum und Muckibude war. Das wurde ausgeräumt und sie zog da ein.
Manchmal höre ich die beiden, wenn sie sich in Timos Zimmer vergnügen. Dann stelle ich die Musik an und setze meinen Kopfhörer auf, weil meine Hormone sonst mit mir durchgehen.
Ich habe mit noch keinem Mädchen geschlafen. Meine Mutter trichterte mir gradenlos ein, dass man seinen ersten Sex erst haben soll, wenn man wirklich verliebt ist. Sie war der Meinung, man versaut es sich sonst fürs ganze Leben.
Einmal fragte ich sie: „Warst du schon mal richtig verliebt?“
Dass sie Sex hatte, davon ging ich aus. Sie hatte eine annehmbare Figur, ein schönes Gesicht mit hohen Wangenknochen und einer geraden Nase und dieses blonde, volle Haar, das ihr in weichen Wellen fast bis zur Hüfte reichte, wenn sie es offen trug. Die Haare und die Gesichtszüge vererbte sie mir. Aber ich habe braune Augen und sie hatte wunderschöne hellblaue.
Sie hatte mir nur ausweichend geantwortet: „Vielleicht früher mal.“
Meine Mutter und Männer, das war ein Thema für sich. Es gab angeblich nie welche in ihrem Leben. Mir erzählte sie sogar fast mein halbes Leben lang, dass ich ein kleiner Jesus bin, gezeugt von irgendwas … aber keinem Mann! Gott bewahre!
„Du hast keinen Vater, Joel. Lass dir auch nichts anderes einreden“, bläute sie mir ein.
Und ich kämpfte damit gegen Windmühlen an. Schon im Kindergarten, wenn einmal im Jahr alle Väter eingeladen wurden, hieß es. „Jeder hat einen Vater.“ Jedes kleine Kind wusste das. Auch in der Grundschule versuchte man mir das klarzumachen. Doch ich beharrte darauf, dass ich eine Ausnahme bin. „Meine Mutter lügt nicht. Ich habe keinen Vater.“
Nah gut! Irgendwann musste auch ich einsehen, dass dies biologisch unmöglich ist. Mama besann sich damals auch darauf, dass sie mir mit so einem Quatsch keinen Gefallen tat. Also änderte sie die Geschichte in: „Das war kein Mann, sondern ein Ausrutscher.“ Aber sie erklärte mir täglich, dass ich das Beste in ihrem Leben bin. Immer wieder sagte sie das. Das Licht ihres Lebens.
Und ich weiß, es war auch so. Auch wenn ich mir nicht mehr sicher bin, ob sie mit dem Leben als Mutter zufrieden war und ob ich wirklich das war, was sie sich für ihr Leben gewünscht hat.
Timo wartet wirklich zehn Minuten ab, bevor er sich selbst etwas von dem Essen nimmt. Ich drücke gerade meine Zigarette aus, als er sich etwas auf den Teller schaufelt, nachdem er einige Anekdoten von seinen Kommilitonen zum Besten gab.
Ich werfe einen nervösen Blick zur Küchenuhr.
„Kannst es nicht abwarten, bis Manuel endlich wieder nach Hause kommt?“, hänselt Katja mich.
„Wir haben ein neues Spiel, das wir heute Abend ausprobieren wollen“, lüge ich. Weder Timo noch Katja ahnen, was Manuel und ich tatsächlich immer treiben.
Es begann nach der Beerdigung, dem zweitschlimmsten Tag in meinem Leben.
Mir wurden von Onkel Andreas die Sachen von der Unfallnacht ausgehändigt, die meine Mutter bei sich gehabt hatte. Ich brauchte fast vierundzwanzig Stunden, bis ich die Handtasche öffnen konnte, die ich bis dahin die ganze Zeit mit mir herumschleppte.
Man hatte alles, was sie bei sich getragen hatte, dort hineingelegt und meinem Onkel überreicht, der es mir dann nach der Beerdigung gab. In einem Tütchen waren unter anderem ihre goldene Kette mit dem goldenen, runden Anhänger, auf dem schwarze Rosen ranken, und drei Ringe.
Mein Onkel erklärte mir, dass die Sachen sehr wertvoll sind und ich damit sorgsam umgehen soll.
Für mich stand sofort fest, dass ich sie selbst tragen werde. So habe ich immer diese Kette mit dem Anhänger und den drei Ringen um den Hals. Sieht vielleicht etwas schwul aus. Aber das ist mir egal. Sie sind alles, was mir noch von meiner Mutter geblieben ist.
Außerdem beherbergte die Handtasche zwei Handys. Das eine kannte ich. Meine Mutter hatte es immer bei sich und ich wäre nie darauf gekommen, dass es auch noch ein zweites Handy geben könnte. Auch das fand ich in der Tasche und es war wohl das, mit dem sie kurz vor dem Unfall telefoniert hatte und dass sie in der Hand hielt. Darum war es ziemlich demoliert.
Ich brachte es zu einem Handyshop, wo ich das erste Mal auf Manuel traf. Er arbeitete zu der Zeit dort, um sich Geld für sein IT Studium zusammenzusparen. Irgendwie mochte ich seine ruhige, behäbige Art und erzählte ihm, was mit dem Handy passiert war. Er war von meiner Geschichte sichtlich betroffen und versprach mir zu helfen. So entstand diese Freundschaft.
Bei den beiden Handys befanden sich in ihrer Tasche auch noch ihre Zigaretten mit einem Feuerzeug, ihre Schminktasche, eine Bürste, Kondome, Tempos, Pfefferspray, Kleingeld, Zahnstocher und ein kleines Schweizer Messer. Die Karte ihres Hotelzimmers war abgegeben worden und ihr kleiner Reisekoffer hatte auch seinen Weg zu meinem Onkel gefunden. Allerdings habe ich ihn nie zu Gesicht bekommen. Onkel Andreas meinte auf meine Frage diesbezüglich: „Hm, ihr Koffer? Ich weiß gar nicht, wo ich den gelassen habe. Wenn ich ihn finde, gebe ich ihn dir.“ Mir war klar, er wollte ihn mir niemals geben. Vielleicht war das für ihn ein letztes Andenken an seine Schwester, dass er für sich irgendwo gebunkert hat oder der Koffer beinhaltet Dinge, die ich nicht sehen soll.
Ich war erstaunt, dass er die Kondome in Mamas Handtasche gelassen hatte. Aber vielleicht hatte er sie auch gar nicht gesehen. Sie steckten in einem Seitenfach mit Reißverschluss.
Mich schockten die nicht. Kondome hatte meine Mutter immer schon in ihrer Handtasche. Darum ging ich davon aus, dass sie durchaus Männerbekanntschaften hatte. Nun interessiert mich, wer diese Männer waren. Plötzlich scheint mir das wichtig, nachdem ich immer mehr auf diese andere Cecilia stoße, die sich auf Geschäftsreisen begab, mitten in der Nacht durch eine fremde Stadt tingelte, mit irgendwem telefonierte und dann vor ein Auto sprang.
Ich habe diesem Autofahrer abkaufen müssen, dass er zur falschen Zeit am falschen Ort war. In dieser Nacht waren die Uhrzeit und der Ort etwas Reelles, nicht Relatives. Für alle Beteiligten. Ich sah, dass auch er litt, weil er das Leben meine Mutter ausgelöscht hatte. Diesmal waren Zeit und Raum keine Illusion, sondern hielten für uns das Schreckliche genau fest. Für immer benennbar, unauslöschbar und nicht verschiebbar. Im Fall meiner Mutter, dieses Mannes und mir war es Freitag, der zwölfte April 2017, um 3:04 Uhr in der Berliner Straße in Frankfurt. Punkt!
Meine Mutter hatte mir einmal etwas erzählt, dass mich damals eher verunsicherte und dass ich deshalb nicht näher hinterfragen wollte. Sie sagte mir, dass wir für alles, was uns passiert, auf die eine oder andere Art selbst verantwortlich sind. Ich weiß gar nicht mehr, warum sie mir diese Weisheit erzählte. Doch es hatte bestimmt einen Grund und nach ihrem Tod bekam das Ganze sogar eine Bedeutung, die mir ihren Tod etwas erträglicher machte. Denn sie hatte mir damals begreiflich zu machen versucht, dass wir in unserem Leben noch mit Bürden zu kämpfen haben, die uns wegen vorheriger Vergehen in einem anderen Leben mitgegeben wurden. Und soweit ich mich erinnere, ging es auch um die Menschen, denen man im Leben begegnet. Auch die sind laut meiner