Götzendämmerung III. Jörg Werner
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„Potenzial für was?“
„Geschäfte …“ mischte sich Elsbeth ein „wenn Bertie Potenzial sagt, meint er Geschäfte. Nicht Honey?“
„Möglichkeiten, Chancen, Aussichten, damit meint dein Gatte immer Geschäfte. Einmal hat er sogar Partizipation am geschaffenen Mehrwert als Geschäft bezeichnet. Ich weiß nicht, wie er immer auf solche Sachen kommt?“
„Grummm …“, warf Bertie ein und fuhr fort „… dieser Blaue Planet ist schon länger reif für eine ernsthafte Übernahme, aber die Traditionalisten im Ausschuss wehren sich schon länger dagegen etwas am Status quo zu ändern, dazu hat es in der Vergangenheit zu viel Ärger mit diesen Menschen gegeben.“
„Und was würde die Mehrheitsverhältnisse im Ausschuss, ihrer Meinung nach, kippen, Bertie?“
„Wenn diese gefährlichen Irren versuchen würden ins Imperium zu kommen und anfangen sich einzumischen.“
„Aber dafür sollen doch die Putten auf der Erde Sorge tragen, dass das nicht passiert.“
„Eben, die Putten“, schnaubte Bertie verächtlich. Die Majorin schwieg nachdenklich und warf einen Blick in den Artikel: Gestern ist sind gegen Oberschwester Lula Liwuna, die oberste Vertreterin der Putten auf der Erde und hohe Repräsentantin des Ministeriums für Demut und Vergebung, schwere Vorwürfe erhoben worden. Wie aus meist gut unterrichteten Kreisen verlautet, wird den Putten der Sonderverwaltungszone vorgeworfen unter Liwunas Führung Experimente am Menschen durchgeführt zu haben, mit der Absicht Mutanten ins Imperium einzuschleusen, um Chaos zu stiften. Dahinter vermuten unsere Informanten den Plan der Putten, zum gegeben Zeitpunkt als Retter des Imperiums die Macht an sich zu reißen.
Die so beschuldigte Oberschwester Lula Liwuna soll sich an Bord des galaktischen Postraumfrachters Hallig Öde, auf dem Weg zu Luzifers Lunte befinden, wo sie im zuständigen Ministerium für Demut und Vergebung Rechenschaft ablegen soll.
Unsere Informanten sprechen vom Verdacht auf ein groß angelegtes Komplott.
Scheinbar gibt es aufgrund der Vorwürfe auch schon erste Stimmen, die eine Neuorganisation der Verwaltung der Sonderverwaltungszone Terra Narra fordern..
Wir werden unsere Leser auf dem Laufenden halten.
„Scheiße“, murmelte die Majorin und legte die Zeitung beiseite. Bernie schien besser informiert, als es den Anschein hatte.
„Garçon“, rief Elsbeth, woraufhin sich die Majorin eiligst entschuldigte und sich zu Pierre an die Bar flüchtete. Der schickte einen Rupert zum Tisch der Nervensägen und begab sich mit der Majorin nach hinten in eine verschwiegene Nische am Ende der Bar. Neben ihnen, im Aquarium, sprangen von Zeit zu Zeit ein paar Hagelbutts durch künstlichen Eisregen und schleimige Brühe spritze herum. Die wenigen, noch verbliebenen, Gäste mieden diesen Bereich.
„Die Crew der Tannhäuser macht sie darauf aufmerksam, dass der Da-Da-Raumeintritt in circa zwei Stunden erfolgt, bitte begeben sie sich allmählich in ihre Ruhequartiere.“
Pierre schaute sich verstohlen um und beugte sich flüsternd zur Majorin über den Tisch. „Ich glaube jetzt habe ich genau diese Art Information für sie, auf die sie gewartet haben.“
„Gut Pierre, aber ich muss selber mit dem Rupert sprechen.“
„Das habe ich mir schon gedacht, sie haben nur noch knapp zwei Stunden Zeit, danach wird der Rupert sein Gedächtnis rebooten müssen.“
„Hier“, sie schob dem Ober ein Bündel zusammengerollte Geldscheine hinüber, die der hastig verstaute. „Wo finde ich den Engel?“
„Weniger ein Engel, ein Rupert eben. Sie finden ihn in der Nachttankstelle auf Deck Zero, dort spielt er an der Krake, dem mehrarmigen Banditen.“
Die Ruperts gehörten zu den exotischsten Erscheinungen, intelligenten Lebens in der Galaxie. Niemand wusste zu sagen ob sie ihre Existenz einem Betriebsunfall der Evolution verdankten oder den Experimenten einiger haltlos zugedröhnter, zynischer Götter. Einige Skeptiker behaupteten, sie seien gar nicht wirklich existent, sondern nur eine geklonte Variante des Personals aus einer Liebesschnulze aus der Ära des Absolutismus im Imperium. Kurzum, die Ruperts waren die zur Perfektion optimierten Dienstboten, die überall zugegen waren, ohne bemerkt zu werden. Ein Rupert konnte spielend in einem Haushalt aufwarten, putzen, bügeln, waschen, Türen aufhalten, den Gleiter fliegen und die Kinder verdreschen, ohne dass ihn jemand zur Kenntnis genommen hätte. Allerdings hatten die Ruperts eine gewöhnungsbedürftige Deformation, ihr Kurzzeitgedächtnis war fotografisch und hielt bis zu fünf Tagen alles fest, darüber hinaus fiel es ihnen schwer sich auch nur ihren eigenen Namen zu merken, ihr Langzeitgedächtnis glich einem schwarzen Loch. Dies galt als einer der Gründe dafür, dass man die Ruperts großzügig übersehen konnte, sie waren als Informationsquelle völlig untauglich – zumindest nach fünf Tagen. Auch jeder Aufenthalt im Da-Da-Raum, selbst im tiefsten Kälteschlaf, löschte jede Erinnerung.
Pierre war der Majorin von einem ihrer Agenten empfohlen worden. Er gebot über ein Netz von Ruperts an Bord der Tannhäuser, die ihn mochten, weil er sie zur Kenntnis nahm und Pierre besserte ihr und sein Gehalt durch den Verkauf von Informationen auf. Das war ein sicheres Geschäft, weil die Ruperts übersehen werden mussten, das gebot die gesellschaftliche Konvention, zumindest für jene, die dazugehören wollten. Dies bewies mal wieder, überlegte die Majorin, wie bescheuerte und gefährlich es sein konnte, dazugehören zu müssen. Da übersah man oft das Naheliegende.
Ihr Rupert hingegen war nicht zu übersehen, wie er schief auf einem Hocker vor dem mehrarmigen Banditen hing, der munter vor sich hin klingelte, während die Zylinder mit Golfsymbolen vorbei rasten. Sieben Golfbälle in Reihe machten so viel Lärm, wie eine Blechbläserattacke.
Die Nachttankstelle war das Revier der Ruperts, hier durften sie sein wie sie waren, wenn sie unter sich blieben. Laut, schrill und zügellos, ein Vorteil schnellen Vergessens lag in mangelndem Scham und der Überflüssigkeit von Reue. Eine Nachttankstelle war Ruperts-Land, definitiv, wo sonst konnten so viele Hirntote ohne Zuhause mit exzellenten Kurzzeitgedächtnis, enormen Durst und wenig Geld abhängen?
Wie die meisten Freizeiteinrichtungen der Tannhäuser, so hatten findige Innenausstatter auch die falsche Tankstelle mit viel Liebe zum Detail, der Wirklichkeit nachgestellt. In einem Hologramm rasten schwere Lastgleiter vorbei und die Energiesäulen glitzerten Purpurn. Darüber stand in leuchtender Schrift ONTORUN. Ein bescheuerter Name fand die Majorin.
„Hallo Rupert“, sprach ihn die Majorin an.
„Rudolf Rupert der Siebenundzwanzigste …“, stellte der sich vor „… die Siebenundzwanzig steht für die Anzahl meiner Reboots dieses Jahr. Nennen sie mich einfach Rudolf.“
„Toll Rudolf, möchtest du etwas trinken?“, fragte sie.
„Am liebsten einen Withe Hagelbutt, der ist diese Saison total in bei den Herrschaften, aber hier in der Tanke gibt’s nur Loch Lucky oder Licht aus und das ist dasselbe. Aber davon nehm’ ich einen Doppelten.“
Um sie herum tobte das pralle Leben. Ruperts knutschten in den Ecken, Spielautomaten bimmelten um die Wette, ein Zeitungsständer wurde gerade von einer spontan Stripperin mit ihren Klamotten dekoriert,