Stieg Larsson lebt!. Didier Desmerveilles

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Stieg Larsson lebt! - Didier Desmerveilles Die Legende lebt

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Edelgard an die durch solches Wetter am Ende eines Geschäftstages vervielfachte Reinigungsarbeit. Dann aber galt ihre Aufmerksamkeit den seltsamen Kunden. Hatte sie diese Gesichter nicht schon mal gesehen? Sie konnte sich nicht erinnern. Die Jugendlichen mochten so um die fünfzehn Jahre alt sein. Zwei von ihnen trugen offenbar weiße Kittel unter ihren Jacken. In ihrer Mitte stand auf etwas wackeligen Beinen ein dunkelhaariger Junge in ziviler Kleidung, dessen Erscheinung sie auf unbestimmte Weise beunruhigte. Es war etwas in seinem Blick, das nicht stimmte. Seine Augen waren weit aufgerissen, blickten starr und stupide, zwischendurch zwinkerten sie nervös. Und sein Mund! Eine amorphe Öffnung, eigenartig verzerrt, mit einem weit vorstehenden Unterkiefer. Den Kopf hielt der Junge die ganze Zeit sonderbar schräg. Überhaupt schien er kein bewegliches Organ recht kontrollieren zu können. Ein... Irrer? Hoffentlich kein Irrer, dachte Edelgard Kruse, die in ihrem langen Geschäftsleben schon so manche Kuriosität erlebt hatte. Offenbar gegen den Willen der anderen beiden, von denen einer, der größere, ihn vergeblich zurückzuhalten versuchte, trat der Irre forsch zu ihr an die Theke. »Ich will 'ne rote Silvesterrakete!«, gab er mit Nachdruck zu verstehen, obwohl er beim Sprechen die Zähne von Ober- und Unterkiefer keinen Millimeter auseinanderbekam.

      Oh Gott, dachte Edelgard. Vor Jahren war sie zum bisher letzten Mal einem Verrückten in ihrem Laden gegenübergestanden. Unwillkürlich fiel ihr die Geschichte ein. Der Verrückte hatte darauf bestanden, verschiedene Zigarrenmarken zu probieren. Er hatte gegen ihren Willen fünf Zigarren aus fünf verschiedenen Schachteln herausgenommen, sie sich alle zusammen in den Mund gestopft und angezündet. Noch heute sah sie das Gesicht mit den fünf qualmenden Zigarren vor sich. Edelgard hatte draußen um Hilfe gerufen, und als man ihn entfernen wollte, hatte der Zigarrenirre, wie sie ihn später immer nannte, zu randalieren begonnen und zahllose Tabakwaren vom Regal gerissen. Man war als Geschäftsfrau solchen Situationen einfach hilflos ausgeliefert.

      Nun traten auch die anderen beiden jungen Männer vor, und der links Stehende, ein großer, kräftiger Bursche mit kurz geschorenem, mittelblondem, pomadigem Haar und kalten, stahlblauen, eng zusammen­liegenden Augen, richtete das Wort an die Ladeninhaberin, die sich, Böses ahnend, hinter ihrer Theke erhoben hatte. »Entschuldigen Sie bitte«, begann er in ernstem Ton und mit einem Gesichtsausdruck, als hätte er ihr das Ableben eines nahen Verwandten mitzuteilen, »aber das ist Jim. Könnten Sie ihm wohl eine rote Silvesterrakete verkaufen?« Seine Stimme war rau und fest, aber Edelgard beruhigte sie in keiner Weise.

      »Ist er denn schon achtzehn?«, erkundigte sie sich mit bröckliger Stimme.

      »Ich will 'ne rote Silvesterrakete«, wiederholte der Irre. Hilfesuchend blickte sie die andern beiden an.

      »Tut mir leid, er ist aus der Anstalt weggelaufen«, erklärte der große Blonde. »Ich soll eigentlich auf ihn aufpassen, aber er ist mir einfach durchgebrannt, und jetzt muss ich ihn zurückbringen. Wissen Sie, er leidet nämlich an Quinde­cimviri­orumque, und immer zur Adventszeit ist es dasselbe mit ihm: Die Tage werden kürzer, es gibt Frost, und der erste Schnee fällt, und da denkt er immer gleich an Weihnachten und an Silvester – und an rote Silvesterraketen. Die hat er so gern. Und jedes Mal, wenn wir dann an Ihrem Tabakladen vorbeikommen, dann kann ich ihn einfach nicht mehr halten. Er weiß, hier gibt's die Raketen, und dann wird er jedes Mal ganz wild und quengelt rum.«

      Der andere Junge, der etwas untersetzt war, fügte hinzu: »Er hat sogar extra ein Weihnachtsgedicht für Sie auswendig gelernt.«

      »Mmmh«, nickte der Irre, sichtlich von Stolz übermannt.

      »Na los, Jimmi!«, befahl der Große.

      »Advent, Advent, ein Lichtlein brennt«, stammelte der Irre und sah Edelgard treuherzig an, »erst eins, dann zwei, dann drei, dann vier, dann stehn Raketen vor der Tür!«

      »Und dann gibt's noch viel mehr Lichter«, ergänzte der Große, »all die schönen Silvesterraketen, die explodieren, nicht, Jimmi?«

      Jim sagte Ja und klatschte vor Begeisterung in die Hände, was ziemlich ungelenk wirkte. Die Tabakhändlerin, die ein gutes Herz hatte, sah bereits all ihre guten Vorsätze und Prinzipien sich in Luft auflösen, aber sie durfte ganz einfach ihre Pflicht nicht verletzen, nein, sie musste jetzt stark sein, und deshalb sagte sie, von Mitgefühl ergriffen, dass es ihr leid tue, aber: »Ich kann ihm die nicht verkaufen.«

      »Ich will aber 'ne rote Silvester­rakete!«, quengelte Jim inzwischen beinahe weinerlich.

      »Nun sei nicht so stur, du hörst doch, dass das nicht geht. Die Dame kann dir keine rote Silvesterrakete verkaufen. Komm jetzt, wir müssen gehen.«

      »Ich will aber nicht gehen.«

      »Wirst du schon wieder ungezogen?«

      »Ich will 'ne rote Silvesterrakete!«, sprach Jim und setzte sich entschlossen auf einen Stuhl neben der Ladentür.

      Frau Kruse zugewandt, erklärte der Große: »Es tut mir leid, er ist manchmal ein bisschen bockig.« Und zu Jim sagte er zornig: »Du kommst jetzt mit!« und packte ihn mit Gewalt.

      »Nee!«, rief Jim, sträubte sich und riss sich von dem Großen los, der nun zu resignieren schien: »Also gut, wie du willst. Du kannst ja von mir aus hierbleiben, aber wir gehen jetzt!«

      Tatsächlich verließen die beiden mutmaßlichen Aufseher abrupt den Laden. Sie ließen ihren Schützling einfach zurück. Der blieb mit verschränkten Armen beleidigt auf dem Stuhl sitzen, während Edelgard Kruse unschlüssig hinter der Ladentheke stehen blieb und ihn beobachtete.

      »Mensch, die können mich doch nicht mit dem hier alleine lassen!«, sprach sie spürbar entrüstet vor sich hin.

      Nach einer Weile geschah etwas Sonderbares: Jim rutschte erst langsam vom Stuhl auf den Boden, dann begann er plötzlich zu zucken wie unter elektrischen Schlägen und wälzte sich unter erbärmlichen Blöklauten auf dem Boden hin und her.

      »Du meine Güte! Was mach' ich denn jetzt?«, schrie Edelgard Kruse. Man merkte ihr an, dass sie mit dieser Situation hoffnungslos überfordert war. Minuten verharrte sie ratlos vor dem Zuckenden, der schaumigen Speichel auf ihren Holzfußboden sabberte ehe, zu ihrer Erleichterung und Erlösung, die beiden anderen Jungen zurückkamen.

      »Ach du Schande«, rief der Große sofort aus, als er das Unglück sah, »er hat wieder einen Anfall! Und Sie stehen da einfach so rum? Hätten Sie ihm nur seine verdammte Silvester­rakete gegeben!«

      »Das darf ich doch nicht!«, verteidigte Edelgard sich verzweifelt.

      »Hat er das schon lange?«, erkundigte sich der Große mit sachver­ständiger Miene.

      »Vielleicht eine Minute, das fing gleich an, nachdem Sie weg waren.«

      Der Große beugte sich nieder zu Jim, nahm ihn in den Arm. Der Untersetzte eilte ihm zu Hilfe, und gemeinsam stellten sie Jim wieder auf die Beine. »Ganz ruhig, Jimmi, ganz ruhig!«, redeten sie ihm zu.

      Während der Untersetzte sich weiter um Jimmi kümmerte, klärte der Große Frau Kruse auf: »Wissen Sie, das kann bei Quindecim­viriorumque schon mal vorkommen. Er ist sehr labil. Sobald ihn irgendetwas zu sehr aufregt...«

      »Komm jetzt«, sagte der Untersetzte zu Jimmi. »Was wolltest du denn auch nicht auf uns hören! Das hast du nun davon.« Endlich verließen sie, Jim gemeinsam stützend, den Laden. »Äh ja, also dann auf Wiedersehen!«

      Lieber nicht, dachte Edelgard Kruse und atmete auf, als die drei aus ihrem Geschäft verschwunden waren. Zwei Jahre, sagte sie sich, zwei Jahre noch.

      Was

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