Stieg Larsson lebt!. Didier Desmerveilles
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Читать онлайн книгу Stieg Larsson lebt! - Didier Desmerveilles страница 6
Einsilbig und miesepetrig behandelten Hasso und Kirri, wie abgesprochen, den Neuankömmling, als er in seinem übergroßen braunen Wintermantel, schwere Koffer links und rechts, etwas scheu zum ersten Mal sein neues und ihr altes Zimmer betrat. Der Neue durfte ruhig merken, dass er nicht willkommen war. Hasso und Kirri gaben sich sichtlich Mühe, die gewünschte Wirkung zu erzielen. Als Tim sich ihnen vorstellte, blickten sie nicht auf, nickten nur einmal kurz, und als er anfing, Bücher in das für ihn eigens neu befestigte Regal zu räumen, blieben die anderen beiden stumm wie Fische im Aquarium an ihren Schreibtischen kleben und taten, als ob es für sie nie im Leben etwas Wichtigeres geben könne als die gewissenhafte Erledigung der Hausaufgaben, in die sie vertieft zu sein vorgaben. Dabei schielten sie aus ihren Augenwinkeln immer wieder verstohlen zu dem Neuen hinüber, der am anderen Ende des Saals weiter seiner Umpackarbeit nachging. »Ich nehme an, das hier ist mein Bett?«, sagte er schließlich, mehr weil ihm das konsequente Schweigen im Raume Unbehagen bereitete, als aus echter Unwissenheit.
»Mmh, das obere«, gab Kirri kurz angebunden zurück. »Ich kann nämlich nicht oben schlafen, weil ich Angst hab', ich fall' da raus.« Zu seinem Glück war Tim vorsichtig genug, nicht zu lachen. Kirri hatte eine dünne Haut, auch wenn man es ihm nicht unbedingt ansah. Er war ja auch sonst kein dünner Mensch. Kirri hatte schon mehr geredet, als Hasso lieb war. Ein Blick von Hasso – und wieder herrschte eisiges Schweigen.
Nach einer Weile brach es plötzlich aus Tim heraus: »Stellt euch mal vor, ihr wäret neu an einem Ort, von dem ihr jetzt schon wisst, dass ihr lange Zeit dort bleiben werdet. Ihr kennt keine Menschenseele, und ihr seid allein. Dann begegnet ihr zwei Leuten, die schon länger an dem Ort wohnen und mit denen ihr eng zusammenleben werdet. Was würdet ihr von denen erwarten?«
»Weiß nicht«, meinte Kirri, der am Überlegen war, aber noch nicht ganz durchschaut hatte, worauf Tim hinauswollte.
»Ich würde froh sein, in Ruhe gelassen zu werden, so, wie ich's jetzt auch wäre«, fuhr Hasso ihn an.
»Entschuldigung«, fauchte Tim zurück, »ich wusste ja nicht, dass ich in ein Heiligtum eingedrungen bin.«
»Wenn du hier rumstänkern willst, kannst du dich lieber gleich verpissen«, donnerte Hasso. »So was könn' wir hier nicht brauchen. Hast du hier vielleicht schon was geleistet? Wer Ansprüche erhebt, muss sich erst mal beweisen.«
»Du meine Güte, was denn für Ansprüche? Man wird doch noch mal 'ne Frage stellen dürfen!«
Hasso war es gewohnt, den Ton anzugeben, sich als Chef zu profilieren. Mit Kirri gab es damit naturgemäß keine Schwierigkeiten. Schon seine Bequemlichkeit schloss jegliche Auflehnung aus. Doch der scheinbar so scheue und schmächtige dunkelhaarige Bubi, der da in sein Leben getreten war, das war einer, der nicht beliebig nach seiner Pfeife tanzen würde. Er war mit Sicherheit nicht blöd, auf den Mund gefallen auch nicht und ansonsten offenbar gar nicht so leicht auszurechnen. Hasso spürte das, und seine Eitelkeit rebellierte mächtig dagegen. Er wollte das Zimmer verlassen, weil er merkte, dass die Atmosphäre bis auf weiteres vergiftet war. Als er an Tim vorbeiging, der immer noch Bücher aus seinen Koffern herauskramte, fiel diesem bei einem unwillkürlichen Blick auf Hasso ein Buch aus der Hand. Rasch griff Tim danach. Für Hasso hatte die Zeit jedoch gelangt, um den Titel auf dem Buchrücken zu entziffern. Und dazu konnte er nicht schweigen. »Die Bibel?«, fragte er. »Bist du 'n Heiliger?«
»Wenn das hier kein Heiligtum ist, bin ich auch kein Heiliger.«
»Sag bloß, die hast du schon gelesen.«
»Noch nicht«, erwiderte Tim, jetzt nicht mehr ganz so feindselig, »aber ich hab' mir's fest vorgenommen. Ich will nicht sterben, ohne gelesen zu haben, was da drinsteht. Könnte ja wichtig sein.« Hasso hörte gespannt zu. Das war mal was Neues. »Glaubst du, dass du nach deinem Tod wie durch eine Falltür ins Leere fällst und einfach nichts mehr mitkriegst?«, redete Tim weiter.
Da bekam das Eis erste Risse. Endlich jemand, der sich ähnliche Fragen stellte wie er, Hasso, grundlegende Fragen, Fragen, die sich nicht nur auf der Oberfläche bewegten. Endlich jemand, der sich nicht damit begnügte, die Dinge einfach hinzunehmen, sondern der nachdachte und wie er anstrebte, einen Blick hinter die Fassaden des Daseins zu werfen. Endlich jemand, mit dem man reden, diskutieren und nicht bloß ab und zu ein nichtssagendes Schwätzchen halten konnte. »Ist interessant, was du da sagst«, brachte Hasso langsam hervor. »Eigentlich kann man sich ja gar nicht vorstellen, nicht mehr da zu sein und einfach nichts mehr mitzukriegen. Das übersteigt einfach unser... Fassungsvermögen. Ich hab's versucht. Es ist wie mit der Unendlichkeit des Universums. Hast du dir das schon mal vorgestellt? Wenn man sich das mal ganz genau vorzustellen versucht, dann merkt man, dass man das eigentlich gar nicht kann.«
»Oder es wird einem schwindlig.«
»Ja...«
»Weil man als Mensch nur in endlichen Dimensionen denken kann, logisch.«
»Logisch?«
»Auf der ganzen Erde gibt es nichts, das völlig unvergänglich, ewig, unendlich wäre. Selbst die Sandkörner am Strand kommen uns nur unendlich vor, weil wir in unseren Möglichkeiten so begrenzt sind.«
»Und weil wir keine Lust zum Zählen haben«, lachte Hasso.
»Ja, aber ihre Zahl muss endlich sein, weil der Planet Erde nicht unendlich ist.«
»Und doch gibt es das Unendliche«, spann Hasso den Gedanken weiter, »in das die Erde eingebettet ist. Denn wenn das Universum ein Ende hätte, was wäre dann hinter diesem Ende? Irgendwas muss da ja sein. Vielleicht 'n schwarzes Loch?«
»Vielleicht das Himmelreich? Oder Gott?«
»Das erklärt deine Bibel. Aber was kommt hinter dem Himmelreich und Gott? Das muss ja auch irgendwo zu Ende sein, oder?« Tim zuckte mit den Achseln. »Na jedenfalls, wenn dahinter noch was kommt, dann steht man wieder vor dem gleichen Problem wie vorher: Was kommt dann? Und dann? Und dann? So geht das immer weiter.«
»Unendlich«, lachte Tim, und auch Hasso musste lachen. Das Eis war längst zerronnen. »Hast du dir mal vorgestellt, wie das ist, wenn du tot bist?«, fuhr Tim angeregt fort.
»Das ist es ja eben«, meinte Hasso. »Wie soll man sich das vorstellen können? Dass ich selbst es bin, der sich das vorstellt, schließt ja schon aus, dass ich mir eine Welt ohne mich, ohne Ich vorstelle. Man kann genauso gut versuchen, nicht oder nichts zu denken. Das wird auch nicht klappen. Selbst im Schlaf nicht, denn da träumt man, und Träumen kann man verstehen als Denken ohne Bewusstsein. Und selbst im Traum... Kann man träumen, nicht mehr zu existieren, ich meine, überhaupt nicht mehr, auch nicht als Geist oder körperloses Ich?«
»Man kann vielleicht träumen, dass man stirbt, aber dann wird man vermutlich auch träumen, dass man in irgendeiner Form anders weiterlebt.«
»Oder aufwachen. Meistens wacht man ja auf, bevor man im Traum stirbt.«
»Oder man ist wirklich tot«, gab Tim zu bedenken.
»Oder