Stieg Larsson lebt!. Didier Desmerveilles

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Stieg Larsson lebt! - Didier Desmerveilles Die Legende lebt

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träume! Was labert ihr da eigentlich, ihr armen Ärren?«, schaltete sich schließlich Kirri in die Unterhaltung ein, der nur halb und halb mitbekommen hatte, worum es dort am andern Ende des großen Schlafsaals ging.

      »Das macht man wahrscheinlich automatisch«, fuhr Hasso fort und blieb Kirri in einer spontanen Entente cordiale mit seinem Gegenüber die Antwort schuldig.

      »Aber was schließt man jetzt aus diesen Beobachtungen?«, wollte Tim wissen. »Dass der Mensch – seine Seele oder wie man das nennen will – unsterblich ist und dass es Gott gibt? Oder dass man nur dieses eine Leben hat und dass der Tod so furchtbar, ein so furchtbares, endgültiges Nichts und Ende und Aus ist, dass man sich das nicht mal vorstellen kann und dass man deshalb zusehen muss, dass man so viel wie möglich von dem, was einem wichtig und erstrebenswert erscheint, in dieses eine und einzige Leben reinpackt?«

      »Gute Frage«, erwiderte Hasso. »Aber ist es überhaupt möglich, darauf eine einzige verbindliche Antwort zu finden? Glaubst du, du findest in der Bibel eine?«

      »Die Bibel?«, meldete sich Kirri wieder zu Wort. »Kenn' ich. Ist das nicht die Geschichte vom Latten-Jupp?« Hasso rollte mit den Augen. Sein Blick schien sagen zu wollen: Von Kirri darf man nicht zu viel verlangen.

      Solcherart konnten also die Entdeckungen von Dreizehnjährigen sein. Und sie machten noch viele andere. Eines Tages betrat Hasso das Zimmer und rief mit durchdringender Stimme durch den Raum: »So!« Dann fragte er in normaler Tonlage: »Wer ist das?« Er wiederholte: »So! Was 's' los hier?«

      »Wille!«, erriet Tim lachend die Lösung. Und Kirri stimmte zu: »Genau!« Es gab in den Reihen der Unterrichtskräfte am Internat einen Lehrer, der jede Unterrichtsstunde, absolut und ohne Ausnahme jede, mit dem schallenden Ausruf: »So!« anstelle eines trivialen: »Guten Morgen!« begann. Er hieß Wille, und die drei Zimmer­genossen liebten ihn für diese Angewohnheit. Was auf das obligate So des Geschichtslehrers folgte, war durchaus variabel: »So! Was 's' los hier?« – »So! Mal Ruhe hier!« – »So! Macht mal die Fenster auf!« – »So! Macht mal die Fenster zu!« So oder so ähnlich tönte es zu Beginn jeder Wille-Stunde, und Hassos Parodie war vollauf gelungen. Bald waren andere Lehrer mit ihren komischen Eigenarten, typischen Gesten oder Sprachfehlern fällig. Deutschlehrer Bräsig zum Beispiel benutzte in jedem Satz drei Mal sozusagen, und Finke, zuständig für Chemie und Biologie, dehnte jeden A-Umlaut, bis es klang wie im Mäh eines Schafs. »Ääätschibääätsch. Wer Häääme sääät, soll Häääme ernten. Schääämt euch!« Und natürlich war vor allen Dingen der Kunikowski-Skandal eine nie versiegende Quelle der Inspiration. In vielfältigen Variationen stellten die Freunde alle denkbaren Gespräche und Begegnungen rund um den in Ungnade gefallenen Religionslehrer nach. So etwa ließ Tim mit erhöhter Stimme die Schulsekretärin Boberts, unter Schülern besser bekannt als Boby-Baby, den nicht mehr Unbescholtenen zu einer Dringlichkeits­sitzung laden mit den Worten: »Herr Kunikowski, der Herr Direktor möchte Sie in seinem Büro sprechen. Er lässt Sie vorab wissen, dass sein Bedarf an Toiletten­artikeln für den Moment gedeckt ist.« Anschließend imitierte Hasso überzeugend den unerlässlichen Wutanfall von Oberstudien­direktor Dr. Weber: »Ich fahr mit Ihnen so doll Schlitten, dass Ihnen Hören und Sehen vergeht, Sie Null!«

      Bei all diesen komödiantischen Einlagen, die stets den Beifall eines rasch anwachsenden Publikums hervorriefen, erwies sich Hasso zwar als der lustigere Imitator, Tim jedoch als der genauere Beobachter. Zusammen ergaben sie ein Comedy-Team, über das die ganze Klasse lachte, und zwar selbst dann noch, wenn einer der Imitierten leibhaftig das Klassenzimmer betrat und völlig irritiert nach den Gründen der ungewohnten Heiterkeit um ihn herum forschte. Das konnte die Sache nämlich zu einem noch größeren Spaß werden lassen.

      Eines Morgens kam Wille mit seinem gewohnten »So!« in die Klasse und löste damit einen Orkan lauten Gelächters aus, der sich zum Tornado steigerte, als er darauf mit einem: »So! Was ist denn jetzt los?« reagierte. Wille stand vor einem Rätsel und sagte lieber erst mal gar nichts mehr. Bräsig war gewitzter. Er kam dem Rätsel rasch auf die Spur, und es gelang ihm, wenn auch nur mit fast übermenschlicher Anstrengung und beträchtlichen Startschwierigkeiten, das Wort sozusagen sozusagen vollständig aus seinem Wortschatz zu verbannen. Er sagte jetzt »quasi«, aber er hütete sich davor, mit diesem Wörtchen allzu verschwenderisch umzugehen, und benutzte es nur, wenn es unbedingt notwendig und von der Sache her einfach unumgänglich war – zumindest in der Klasse von Hasso und Tim.

      Im Rahmen dieses umfassenden Parodie-Programms, das mit der Zeit für nahezu jeden aus dem Lehrkörper Verwendung hatte, als Vorlage für eine grobe Verzerrung, konnte auch Kirri sich behaupten. Er war nämlich im Zeichnen wesentlich begabter als Hasso und Tim und zeichnete für eine Rubrik mit dem Titel Das Lehrerkabinett verantwortlich. Es handelte sich um Karikaturen, für deren Sprechblasentexte Tim zuständig war. Im Lehrerkabinett – alternativer Titel: Lehrer­hitparade – wurden die Lehrer in der Reihenfolge ihrer Beliebtheit aufgelistet. Die Liste ergab sich aus einem Punktesystem, das Hasso entwickelt hatte: Jeder Schüler konnte einen Stimmzettel erwerben, auf dem die fünf beliebtesten Lehrer eingetragen und mit Punkten von fünf bis eins bedacht werden mussten. Den ausgefüllten Zettel konnte man in den Briefkasten der Schülervertretung im Erdgeschoss des Schlosses werfen. Auf der Grundlage dieser Stimmzettel – bei einem Punkte­patt gaben Hassos Zeugnis­noten den Ausschlag – erschien dann zwei Mal jährlich Kirris Lehrerkabinett, für das sich später der Name Gruselkabinett durchsetzte, in der von der Schüler­vertretung herausgegebenen Schülerzeitung mit dem bezeichnenden Titel Vox Populi. Die Zeitungsredaktion war selbstver­ständlich in fester Hand der Pyramide.

      Unausgesprochen stand zwischen Hasso und Tim eine kameradschaftliche und doch verbissene Rivalität, die gewissermaßen die Schattenseite ihrer gemeinsamen Interessen und Begabungen war. Ohne dass er es sich selbst eingestand, wollte jeder von ihnen der bessere Schüler, der beliebtere Mitschüler, der am meisten bewunderte Schauspieler und Kabarettist sein. Kirri stand mit seinen ganz anders gearteten Fähigkeiten und Interessen außerhalb dieses Vergleichs, war gleichsam außer Konkurrenz. Was die schulischen Leistungen anging, musste Hasso akzeptieren, dass er Tim nicht das Wasser reichen konnte. Tim glänzte in allen Sprachen, in Geschichte, Religion und Musik. In den naturwissenschaftlichen Fächern war Hasso der Bessere. Doch richtig glänzen konnte er nur in Sport. Der bessere Notendurchschnitt blieb Tim vorbehalten, was infolge der leistungs- und eliteorientierten Mentalität, die im Schloss herrschte, niemandem verborgen blieb, niemandem außer vielleicht Kirri. Ihm war Ehrgeiz im Kampf um gute Noten völlig fremd.

      Ihre Lust an der Schauspielerei und Zur-Schau-Stellerei brachte Hasso und Tim nicht nur auf so unnütze und geradezu verwerfliche Ideen wie die Ufo-Rache im Tabakladen, sie brachte sie auch auf den Gedanken, im Schloss eine Theater­arbeits­gemeinschaft, kurz TAG, zu gründen. Sie waren inzwischen in der Untertertia, dem achten Schuljahr. Die Ansprüche stiegen. Gespielt werden sollte, um Probleme bei der Kostümbeschaffung zu umgehen, eine in die Gegenwart verlegte Fassung von Schillers Räubern. Hasso betrachtete es von vornherein als Selbstverständlichkeit, dass er Hauptrolle und Regie übernehmen würde. Doch schon auf der ersten TAG-Sitzung gab es diesbezüglich Unstimmigkeiten. »Man kann nicht gut Regie führen und auch noch den Karl spielen«, urteilte Bert, einer der als Schauspieler engagierten Mitschüler. »Wer soll dir denn sagen, ob du gut wirkst, so wie du spielst? Du kannst dich selbst ja nicht von außen sehen.«

      »Das kann doch einer übernehmen, der in der betreffenden Szene nicht auftritt – als Regieassistenz«, entgegnete Hasso gereizt. Doch im gesamten Planungsgremium von insgesamt elf Leuten regte sich Widerstand gegen Hassos als selbstherrlich empfundene Ansprüche. Dass selbst sein bester Freund Tim mit Kritik an seiner Einstellung nicht sparte, wenn er sie auch noch so sachlich vortrug, erbitterte Hasso zusätzlich. Am Ende bekam Tim die Rolle des Karl von Moor, und Hasso musste sich mit der seines bösen Bruders Franz begnügen. Alle fanden, dass die Figur besser zu Hasso passe. Als weitere Maßnahme wurde der Registrierten komplett abgeschafft und in die Hände eines »Gruppenkollektivs« gegeben, dem auch Hasso angehören durfte.

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