Stieg Larsson lebt!. Didier Desmerveilles
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Читать онлайн книгу Stieg Larsson lebt! - Didier Desmerveilles страница 8
Am Abend in ihrem Zimmer gestand er seinen Freunden, dass er kurz davor gewesen sei, das Handtuch zu werfen. »Alles hinschmeißen?«, wiederholte Kir ungläubig. »Ich hab' schon mit den ersten Dekors angefangen.«
»Findest du nicht, Hasso, dass du 'n bisschen überreagierst?«, meinte Tim. »Du bist die Sache einfach zu forsch angegangen. Spielst dich da als Machiavelli junior auf! Die andern haben auch ihren Stolz. Die wollen sich nicht so einfach an die Wand drücken und bevormunden lassen.«
»Sei du bloß ruhig. Als wäre' das nicht schon Ärger genug, bist du mir auch noch in den Rücken gefallen«, beschwerte sich Hasso. »Dabei weißt du genauso gut wie ich, dass Basisdemokratie Scheiße ist. Hat das vielleicht im Kommunismus geklappt? Jede Gemeinschaft braucht klare Führung. Basisdemokratie ist dagegen nichts als verkappte Anarchie, und Anarchie bedeutet Chaos!«
»Basisdemokratie ist verkappte Anarchie, gut, aber der Kommunismus ist keine Basisdemokratie, sondern 'ne verkappte Diktatur. Und die ist genauso wenig die Ideallösung wie die Anarchie.«
»Ideallösungen gibt das nicht«, warf Kirri ein.
»Aber man kann sich ihnen anzunähern versuchen«, erwiderte Tim. »Und da ist der demokratische Mittelweg doch wohl der beste.«
»Demokratie funktioniert so, dass gewählte Leute für einen beschränkten Zeitraum eine kontrollierte, aber trotzdem, genau betrachtet, ziemlich absolute Macht und Entscheidungsgewalt ausüben«, konterte Hasso, »und zwar wurde ihnen die mehr oder weniger freiwillig vom Volk übertragen, damit nicht alles im Chaos versinkt.«
»Als Dienst«, wandte Tim ein. »Sie dienen damit den Interessen aller.«
»Ach was, die logische Folge sind Machtpolitik und Machtbewusstsein. Oder fragt Helmut Kohl vielleicht nach der Meinung von Fritzchen Meier? Wie fing das denn mit Napoleon und Hitler an? Am Anfang waren sie durch den Willen des Volkes legitimiert.«
»Ihr Amt bleibt trotzdem – oder deshalb gerade – ein Dienst am Volk und fürs Volk«, argumentierte Tim. »So war das zumindest mal gedacht. Denk an Friedrich den Großen: der Herrscher als erster Diener des Staates. Deshalb kann man wohl auch mit Fug und Recht behaupten, dass solche Leute wie Napoleon oder Hitler 'n bisschen übers Ziel hinausgeschossen sind. Wer herrschen will, muss sich als Diener bewährt haben. Sonst endet das Ganze in 'ner Katastrophe.«
»Ja, ja«, gab Hasso verdrossen zurück, »knall du mir nur deine Bibelsprüche an den Kopf. Das ist genau das, was ich jetzt brauche. Erst fällst du mir in den Rücken mit deinem faulen Kompromissvorschlag –«
»Jetzt hör endlich auf mit diesem dämlichen Gefasel von In-den-Rücken-Fallen«, unterbrach Tim ihn ärgerlich, »das ist doch nun wirklich Quark! Und sei nicht so verflucht selbstgefällig und egozentrisch! Man wird doch wohl ein Mal hinnehmen können, dass es andere Leute auch noch gibt und die auch ein Recht auf ihre Meinung haben. Keinem kann es immer nur nach seiner Nase gehen.«
»Kinder, seid friedlich«, versuchte Kirri zu schlichten, den jeder Streit in seinem Harmoniebedürfnis empfindlich störte. Doch schon fiel die Tür hinter Hasso knallend ins Schloss. So endete jede Meinungsverschiedenheit, in die er verwickelt war, wenn er nicht recht bekam.
Aber Kinder sind nicht so nachtragend wie Erwachsene, und auch wenn Hasso und Tim schon an der Schwelle zum Erwachsensein standen, war die Sache wie bisher jeder vermeidliche oder unvermeidliche Streit zwischen ihnen im Nu wieder aus der Welt. Wenn man so eng zusammenlebt, kann man sich anhaltende Zwistigkeiten nicht leisten. Dass Hasso nach dem Dissens bei der TAG trotzdem weiter mitmachte, war allerdings nicht Tims Überzeugungskraft zuzuschreiben, sondern allein Hassos Eitelkeit: Er hätte es niemals ertragen, unter den Zuschauern zu sitzen, während die andern auf der Bühne die Lorbeeren einheimsten, die er für sich beanspruchte.
Hasso hatte die zahllosen müßigen Diskussionen über die beste Interpretation einer Rolle und über tausend andere Fragen der Inszenierung, die die Proben endlos in die Länge zogen, richtig vorausgesagt. Doch als Die Räuber endlich auf der eigens für diesen Abend im barocken Rittersaal des Schlosses errichteten Bühne aufgeführt wurden, war all das vergessen. Sobald Tims Schlusssatz: »Dem Mann kann geholfen werden!« verklungen und der Vorhang gefallen war, donnerte anerkennender Applaus durch den gut gefüllten Saal. Dann ging der Vorhang wieder auf, und nacheinander erschienen die einzelnen Akteure wieder auf der Bühne, um sich vor den applaudierenden Zuschauern zu verneigen. Zuallererst Karl von Moor alias Tim, danach Franz alias Hasso. Ewig hatte er hinter dem Vorhang warten müssen, weil der Beifall für Karl nicht abebben wollte. Es war für Hasso eine Enttäuschung, dass er für seine extrem schwierige Rolle als Franz weniger Beifall erntete als Tim in der Rolle des Karl, einer Figur, deren differenziertes Profil, deren Ecken und Kanten in Tims glatter Interpretation nicht besonders gut zur Geltung gekommen waren, jedenfalls nach Hassos Urteil. Aber vielleicht war er nach der anstrengenden Vorstellung auch ein bisschen übersensibel und bildete sich die ungleich verteilte Anerkennung nur ein. Außerdem: Sollte er seinem besten Freund diesen verdienten Erfolg missgönnen? Tim hatte genauso hart für seine Rolle gearbeitet wie er. Nachdem sich alle Schauspieler verneigt hatten, bekam auch Kirri noch ein Blatt vom Lorbeer ab, allerdings eher unfreiwillig. Die Spieler schleiften ihn buchstäblich auf die Bühne, und Tim verkündete, dass Kirri die Bühnendekors angefertigt habe. Verkrampft nickte Kirri der klatschenden und johlenden Menge mit seinem hochroten Kopf zu, sich vor einer richtigen Verbeugung genierend. Wenn nur seine Eltern ihn so hätten sehen können! Sie wären stolz auf ihn gewesen. Doch Eltern hatte Kirri keine mehr.
Als die Darsteller unter Hassos Führung erschöpft durch die seitlich angebrachten Gardinen, die die Kulissen von der Außenwelt abschirmten, wieder ins richtige Leben hinaustraten, hatten sie jede Menge Hände von Gratulanten aller Altersklassen zu schütteln, vom älteren Herrn im Smoking, Oberstudiendirektor Dr. Weber, der sie natürlich als Erster zu der gelungenen Aufführung beglückwünschte und Stolz bekundete, bis zu der kleinen Sextanerin Wiebke von Waldstätten, die Tim mit einer halb verdorrten Narzisse in der Hand anstrahlte. »Große Klasse, der Karl«, hieß es immer wieder. Aber auch: »Super gespielt, Franz.« Hasso hörte genau hin. Auch seine Mutter war neben der Bühne erschienen, um ihrem Sohn zu gratulieren. »Wer ist denn der schmucke Bengel, der den Karl gespielt hat?«, wollte sie wissen.
»Ein Freund«, antwortete Hasso.
»Der kann aber spielen, dein Freund!«
Hasso konnte nicht leugnen, dass Tim zu einem »schmucken Bengel« herangewachsen war. Er eroberte die Herzen im Sturm – nicht nur anlässlich dieses Stücks, in dem er zudem eine sympathische Figur hatte spielen dürfen, wohingegen er selbst, Hasso, einen hässlichen und gemeinen Intriganten gemimt hatte. Franz war zwar ohne jeden Zweifel die schwierigere und provokantere Rolle – Hasso hatte viel aus sich herausholen müssen –, aber welcher Zuschauer bewertete die schauspielerischen Leistungen einer Schulaufführung schon unter derart professionellen Gesichtspunkten? Es war also kein Wunder, wenn Tim, ungeachtet der schauspielerischen Leistung an sich, mehr Zuschauersympathien entgegenschlugen als ihm, und