Franz Kafka – Das Schloss. Franz Kafka
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„Erlauben Sie, Herr Vorsteher, dass ich Sie mit einer Frage unterbreche“, sagte K., „erwähnten Sie nicht früher einmal eine Kontrollbehörde? Die Wirtschaft ist ja nach Ihrer Darstellung eine derartige, dass einem bei der Vorstellung, die Kontrolle könnte ausbleiben, übel wird.“
„Sie sind sehr streng“, sagte der Vorsteher, „aber vertausendfachen Sie Ihre Strenge und sie wird noch immer nichts sein, verglichen mit der Strenge, welche die Behörde gegen sich selbst anwendet. Nur ein völlig Fremder kann Ihre Frage stellen. Ob es Kontrollbehörden gibt? Es gibt nur Kontrollbehörden. Freilich, sie sind nicht dazu bestimmt, Fehler im groben Wortsinn herauszufinden, denn Fehler kommen ja nicht vor, und selbst wenn einmal ein Fehler vorkommt, wie in Ihrem Fall, wer darf denn endgültig sagen, dass es ein Fehler ist.“
„Das wäre etwas völlig Neues“, rief K.
„Mir ist es etwas sehr Altes“, sagte der Vorsteher. „Ich bin nicht viel anders als Sie selbst davon überzeugt, dass ein Fehler vorgekommen ist, und Sordini ist infolge der Verzweiflung darüber schwer erkrankt, und die ersten Kontrollämter, denen wir die Aufdeckung der Fehlerquelle verdanken, erkennen hier auch den Fehler. Aber wer darf behaupten, dass die zweiten Kontrollämter ebenso urteilen und auch die dritten und weiterhin die andern?“
„Mag sein“, sagte K., „in solche Überlegungen will ich mich doch lieber noch nicht einmischen, auch höre ich ja zum ersten Mal von diesen Kontrollämtern und kann sie natürlich noch nicht verstehen. Nur glaube ich, dass hier zweierlei unterschieden werden müsse, nämlich erstens das, was innerhalb der Ämter vorgeht und was dann wieder amtlich so oder so aufgefasst werden kann, und zweitens meine wirkliche Person, ich, der ich außerhalb der Ämter stehe und dem von den Ämtern Beeinträchtigung droht, die so unsinnig wäre, dass ich noch immer an den Ernst der Gefahr nicht glauben kann. Für das erstere gilt wahrscheinlich das, was Sie, Herr Vorsteher, mit so verblüffender außerordentlicher Sachkenntnis erzählen, nur möchte ich aber dann auch ein Wort über mich hören.“
„Ich komme auch dazu“, sagte der Vorsteher, „doch könnten Sie es nicht verstehen, wenn ich nicht noch einiges vorausschickte. Schon dass ich jetzt die Kontrollämter erwähnte, war verfrüht. Ich kehre also zu den Unstimmigkeiten mit Sordini zurück. Wie erwähnt, ließ meine Abwehr allmählich nach. Wenn aber Sordini auch nur den geringsten Vorteil gegenüber irgendjemandem in Händen hat, hat er schon gesiegt, denn nun erhöht sich noch seine Aufmerksamkeit, Energie, Geistesgegenwart, und er ist für den Angegriffenen ein schrecklicher, für die Feinde des Angegriffenen ein herrlicher Anblick. Nur weil ich in anderen Fällen auch dieses Letztere erlebt habe, kann ich so von ihm erzählen, wie ich es tue. Übrigens ist es mir noch nie gelungen, ihn mit Augen zu sehen, er kann nicht herunterkommen, er ist zu sehr mit Arbeit überhäuft, sein Zimmer ist mir so geschildert worden, dass alle Wände mit Säulen von großen, aufeinander gestapelten Aktenbündeln verdeckt sind, es sind dies nur Akten, die Sordini gerade in Arbeit hat, und da immerfort den Bündeln Akten entnommen und eingefügt werden und alles in großer Eile geschieht, stürzen diese Säulen immerfort zusammen und gerade dieses fortwährende, kurz aufeinander folgende Krachen ist für Sordinis Arbeitszimmer bezeichnend geworden. Nun ja, Sordini ist ein Arbeiter und dem kleinsten Fall widmet er die gleiche Sorgfalt wie dem größten.“ „Sie nennen, Herr Vorsteher“, sagte K., „meinen Fall immer einen der kleinsten und doch hat er viele Beamte sehr beschäftigt und wenn er vielleicht auch anfangs sehr klein war, so ist er doch durch den Eifer von Beamten von Herrn Sordinis Art zu einem großen Fall geworden. Leider sehr gegen meinen Willen, denn mein Ehrgeiz geht nicht dahin, große mich betreffende Aktensäulen entstehen und zusammenkrachen zu lassen, sondern als kleiner Landvermesser bei einem kleinen Zeichentisch ruhig zu arbeiten.“
„Nein“, sagte der Vorsteher, „es ist kein großer Fall, in dieser Hinsicht haben Sie keinen Grund zur Klage, es ist einer der kleinsten Fälle unter den kleinen. Der Umfang der Arbeit bestimmt nicht den Rang des Falles, Sie sind noch weit entfernt vom Verständnis für die Behörde, wenn Sie das glauben. Aber selbst wenn es auf den Umfang der Arbeit ankäme, wäre Ihr Fall einer der geringsten, die gewöhnlichen Fälle, also jene ohne sogenannte Fehler geben noch viel mehr und freilich auch viel ergiebigere Arbeit. Übrigens wissen Sie ja noch gar nichts von der eigentlichen Arbeit, die Ihr Fall verursachte, von der will ich ja jetzt erst erzählen. Zunächst ließ mich nun Sordini aus dem Spiel, aber seine Beamten kamen, täglich fanden protokollarische Verhöre angesehener Gemeindemitglieder im Herrenhof statt. Die meisten hielten zu mir, nur einige wurden stutzig, die Frage der Landvermessung geht einem Bauern nahe, sie witterten irgendwelche geheime Verabredungen und Ungerechtigkeiten, fanden überdies einen Führer und Sordini musste aus ihren Angaben die Überzeugung gewinnen, dass, wenn ich die Frage im Gemeinderat vorgebracht hätte, nicht alle gegen die Berufung eines Landvermessers gewesen wären. So wurde eine Selbstverständlichkeit – dass nämlich kein Landvermesser nötig ist – immerhin zumindest fragwürdig gemacht. Besonders zeichnete sich da ein gewisser Brunswick aus, Sie kennen ihn wohl nicht, er ist vielleicht nicht schlecht, aber dumm und phantastisch, er ist ein Schwager von Lasemann.“
„Vom Gerbermeister?“ fragte K. und beschrieb den Vollbärtigen, den er bei Lasemann gesehen hatte.
„Ja, das ist er“, sagte der Vorsteher. „Ich kenne auch seine Frau“, sagte K. ein wenig aufs Geratewohl.
„Das ist möglich“, sagte der Vorsteher und verstummte.
„Sie ist schön“, sagte K., „aber ein wenig bleich und kränklich. Sie stammt wohl aus dem Schloss?“ das war halb fragend gesagt.
Der Vorsteher sah auf die Uhr, goss Medizin auf einen Löffel und schluckte sie hastig.
„Sie kennen im Schloss wohl nur die Bureaueinrichtungen?“ fragte K. grob.
„Ja“, sagte der Vorsteher mit einem ironischen und doch dankbaren Lächeln, „sie sind auch das Wichtigste. Und was Brunswick betrifft: Wenn wir ihn aus der Gemeinde ausschließen könnten, wären wir fast alle glücklich und Lasemann nicht am wenigsten. Aber damals gewann Brunswick einigen Einfluss, ein Redner ist er zwar nicht, aber ein Schreier und auch das genügt manchen. Und so kam es, dass ich gezwungen wurde, die Sache dem Gemeinderat vorzulegen, übrigens zunächst Brunswicks einziger Erfolg, denn natürlich wollte der Gemeinderat mit großer Mehrheit von einem Landvermesser nichts wissen. Auch das ist nun schon jahrelang her, aber die ganze Zeit über ist die Sache nicht zur Ruhe gekommen, zum Teil durch die Gewissenhaftigkeit Sordinis, der die Beweggründe sowohl der Majorität als auch der Opposition durch die sorgfältigsten Erhebungen zu erforschen suchte, zum Teil durch die Dummheit und den Ehrgeiz Brunswicks, der verschiedene persönliche Verbindungen mit den Behörden hat, die er mit immer neuen Erfindungen seiner Phantasie in Bewegung brachte. Sordini allerdings ließ sich von Brunswick nicht täuschen, wie könnte Brunswick Sordini täuschen? Aber eben um sich nicht täuschen zu lassen, waren neue Erhebungen nötig, und noch ehe sie beendigt waren, hatte Brunswick schon wieder etwas Neues ausgedacht, sehr beweglich ist er ja, es gehört das zu seiner Dummheit. Und nun komme ich auf eine besondere Eigenschaft unserer behördlichen Apparate zu sprechen. Entsprechend seiner Präzision ist er auch äußerst empfindlich. Wenn eine Angelegenheit sehr lange erwogen worden ist, kann es, auch ohne dass die Erwägungen schon beendet wären, geschehen, dass plötzlich blitzartig an einer unvorhergesehenen und auch später nicht mehr auffindbaren Stelle eine Erledigung hervorkommt, welche die Angelegenheit, wenn auch meistens sehr richtig, so doch immerhin willkürlich abschließt. Es ist, als hätte der behördliche Apparat die Spannung, die jahrelange Aufreizung durch die gleiche, vielleicht an sich geringfügige Angelegenheit nicht mehr ertragen