Rabenkinder. Birgit Henriette Lutherer
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„Ließen Tobias´ Eskapaden mit heranwachsendem Alter nach, Helga?“
„Ach was. Es änderte sich gar nichts. Lediglich die Möglichkeiten um Blödsinn zu machen, wurden anders.“
„Welche Gelegenheiten boten sich Tobias denn später? Wurde er mit der Zeit nicht langsam umsichtiger in seinem Handeln?“
„Ich wünschte, dass es so gewesen wäre. Wissen Sie, es wurde immer anstrengender für mich, Tobias´ Eskapaden auch gesellschaftlich zu rechtfertigen. Da war ich sehr froh, als der Sohn einer Freundin Tobias fragte, ob er nicht auch der Landjugend beitreten wolle. Tobias war sofort begeistert von der Idee. Ich selber war von dem Gedanken auch ganz angetan. Die örtliche Landjugend genießt bei uns einen guten Ruf, müssen Sie wissen. Ich dachte, Tobias findet dort nette Freunde, die vernünftigen Aktivitäten nachgehen. Deshalb habe ich guten Glaubens zugestimmt, als Tobias dort beitrat. Alle Mütter, mit denen ich zuvor gesprochen hatte, waren derselben Auffassung wie ich. Wir alle dachten ganz unbedarft, dass unsere Kinder dort gut aufgehoben seien und sich wirklich sinnvollen Dingen widmeten. Wie naiv und gutgläubig wir alle waren, herrje!“
Helga ist zerknirscht. Sie schüttelt ihren Kopf, um ihrem Unverständnis Ausdruck zu verleihen.
„Helga, für mich hört sich das so an, als wäre das genaue Gegenteil der Fall gewesen.“
„So verhielt es sich auch. Es war nämlich so: Die Mitglieder der Landjugend sind zwischen dreizehn und etwa zwanzig Jahre alt. Was wir Mütter nicht wussten: Die Älteren von ihnen brachten regelmäßig Alkohol und Zigaretten mit zu den Vereinstreffen. Weil sie eine eingeschworene Gemeinschaft waren, hielten alle dicht - und natürlich machten auch die Jüngeren mit.“
„Sie wollen sagen, dass Tobias schon mit dreizehn Jahren Alkohol und Zigaretten konsumierte? Wie war das für Sie, Helga, als Sie davon erfuhren?“
„Ich war absolut fertig mit den Nerven. Wer weiß, was da sonst noch alles geraucht wurde. Ich mag mir das gar nicht vorstellen.“
„Nun ja, manchmal kann es auch Teil einer Mutprobe oder eines Aufnahmerituals sein, eine Zigarette zu rauchen. Haben Sie daran schon mal gedacht?“, gebe ich zu bedenken.
„Ja, ich weiß. Das sagte Dieter auch, als ich ihm davon erzählte. Aber es war ja nicht nur einmal. Es kam mit der Zeit immer häufiger vor, dass Tobias nachts betrunken und nach Zigarettenqualm stinkend nach Hause kam.“
„Haben Sie mit Tobias über Ihre Sorge gesprochen?“
„Selbstverständlich!“
„Wie hat er reagiert?“
„Er hat mich ausgelacht. Er hat mir vorgeworfen, ich sei überängstlich und hinterwäldlerisch. Außerdem sei ich diejenige gewesen, die seinen Beitritt zur Landjugend so sehr befürwortet habe. Jetzt solle ich halt sehen, wie ich damit zurechtkäme. Dann ging er einfach weg und ließ mich stehen.“
„Wie alt war Tobias da?“
„Sechzehn.“
„Ging er zu diesem Zeitpunkt noch zur Schule?“
„Nein. Er hatte eine Lehre als Landschaftsgärtner begonnen. Tobias fühlte sich richtig erwachsen. Er ließ sich von mir nichts mehr sagen. Er kam, wann er wollte, er ging, wann er wollte und nicht selten brachte er nach zehn Uhr abends noch seine Kumpels mit nach Hause. Die blieben dann oft bis weit nach Mitternacht bei uns und machten Krach. Irgendwann tauchte auch die erste Freundin bei uns auf und blieb gleich über Nacht.“
„Versuchten Sie denn nicht dem turbulenten Treiben Einhalt zu gebieten?“
„Ja, natürlich. Doch es gelang nicht. Tobias hatte keinerlei Einsicht oder Unrechtsbewusstsein. Schließlich sagte ich mir, dass es vielleicht auch besser sei, wenn Tobias sich bei uns austobt. Wer weiß, wie er draußen unangenehm auffallen würde.“
„Wie lange lebten Sie so?“
„Eine gefühlte Ewigkeit. Ich hatte es irgendwann geschafft, mich mit dieser Situation zu arrangieren. Ich sah viele Freunde von Tobias kommen und gehen. Genauso verhielt es sich auch mit seinen Freundinnen. Er hat nie eine länger als drei Monate gehabt. Dann kam schon die nächste. Es war wirklich ein Kommen und Gehen. Ich hatte nur dann Ruhe in unseren eigenen vier Wänden, wenn Tobias mit den Kumpels von der Landjugend oder mit seinen Arbeitskollegen unterwegs war.“
„Hatten Sie und Dieter vielleicht auch einmal über die Möglichkeit nachgedacht, dass Tobias in eine eigene Wohnung ziehen könnte?“
„Auf gar keinen Fall wäre das eine Option für uns gewesen. Wir setzten doch nicht unser Kind vor die Türe! Das tut man nicht!“
Helga ist bei diesem Gedanken wieder sichtlich empört. Erneut schaut sie sich prüfend im Café um. Ihr ist gerade bewusst geworden, wie deutlich und enthusiastisch sie erzählt hat.
„Helga, Tobias hat bei Ihnen ein komfortables Leben führen können. So wie ich Sie verstanden habe, haben Sie alles für ihn getan. Sie haben seine Wäsche gewaschen, Sie haben für ihn das Essen gekocht und dergleichen mehr. Tobias hätte so gesehen keinen Anlass gehabt, Sie zu verlassen und den Kontakt zu Ihnen so rigoros abzubrechen.“
„Das stimmt. Ich hätte auch ein wenig Dankbarkeit erwartet. Zumindest ein wenig. Aber das jetzt, das habe ich nicht verdient. Bestimmt nicht.“
„Wie ist es denn zu diesem radikalen Schnitt gekommen?“
„Ach, so genau kann ich Ihnen das gar nicht sagen. Er hatte dieses Mädchen kennengelernt. Sie war total anders als die, die er sonst so mitbrachte. Carina, so heißt sie, ist eher unscheinbar. Eine graue Maus. Aber sonst nett. Wir hatten nie so einen Draht zueinander. Nachdem Tobias erstaunliche elf Monate mit Carina zusammen war, verkündete er uns eines Tages, dass er mit ihr weggehen würde. Tobias war mittlerweile dreiundzwanzig Jahre alt. Er sagte uns, sie würden nach Österreich gehen, er habe dort eine Stellung als Forstwirt angenommen. Eine Woche später klingelten seine Kumpels bei uns. Sie waren mit einem Transporter angerückt. Tobias empfing sie lachend und ging mit ihnen in sein Zimmer. Einer nach dem anderen kamen sie kurze Zeit später mit einem Möbelstück oder Umzugskarton in der Hand wieder heraus. Sie verstauten alles in dem Transporter.“
Helga schluckt, um ihre Tränen zu unterdrücken, als sie mir das erzählt.
„Hat Tobias Ihnen den Zeitpunkt seines Auszugs aus Ihrem Haus nicht mitgeteilt?“
„Nein. Tobias klang so, als würde er seinen Plan in wenigen Monaten wahr machen. Dass es so bald sein würde, davon hatten wir keine Ahnung. Er hat es nicht einmal angedeutet. Jetzt stand ich da, vollkommen perplex und handlungsunfähig. Innerhalb kürzester Zeit war der Spuk auch schon vorbei.“
„Hat Tobias sich von Ihnen verabschiedet?“
„Ich weiß noch genau, ich stand wie versteinert im Hausflur. Tobias ging an mir vorbei. Im Vorübergehen sagte er zu mir: ´Es ist besser so, Mama´. Dann gab er mir einen Kuss auf meine linke Wange und war weg. Seitdem ist es vorbei.“
Helga sitzt