So viele Killer: Vier Kriminalromane. Alfred Bekker
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III
Als Taggart gegen halb zehn sein Yard- Büro betrat, saß Sergeant Hulbert bereits am Schreibtisch und schlief laut schnarchend mit in der Ellenbeuge seines rechten Armes vergrabenem Gesicht. Im nächsten Augenblick schon war er wach und ganz „da“ — eine seiner typischen Eigenschaften. Chris Hulbert konnte wie ein Murmeltier schlafen und trotzdem keine Sekunde zu spät erwachen.
„Wünsch' Ihnen einen vergnügten Morgen ohne Sorgen, Sir!“, grinste er den Inspector an. „Gestern hat Sie einer fein angeführt, wie ich hörte ...“
„Allerdings“, gab Taggart knapp zu. „Er hat aber einen verdammt hohen Preis dafür bezahlt; ausgelacht hat er mich ganz sicher nicht. Hören Sie zu ...“ Er erzählte dem Sergeanten die verwunderliche Geschichte von A bis Z — eigentlich mehr, um selbst Abstand und Klarheit zu gewinnen — und am Ende brachte er seine Überlegungen auf den kürzest möglichen Nenner:
„Bei dem Frage- und Antwortspiel durch die Tür gewann Benham unter dem Eindruck seines schlechten Gewissens den Eindruck, ich sei nicht in der gleichen Affäre wie Strush zu ihm gekommen, also nicht wegen Elga Ashburton, und es könne sich logischerweise um sein Rauschgiftgeschäft handeln — worauf er prompt den einzigen Weg einschlug, der Schande zu entgehen. Mit der Verschwundenen hat die Marihuana-Affäre höchstwahrscheinlich nicht das mindeste zu tun. Seine Braut hingegen leugnete die Begegnung mit Elga bei Dunster Castle einzig und allein zu dem Zweck ab, um der dummen, naiven, täppischen Polizei Sand in die Augen zu streuen, alle Fäden zu verwirren und sie schließlich von der Rauschgiftaffäre abzulenken. Ihre Beweggründe?“ Er zuckte die Achseln. „Ich sehe zwei Möglichkeiten: Entweder hat sie Benham wirklich so sehr geliebt, dass sie das Andenken des Mannes, der sich selbst mit dem Tode bestraft hat, unter allen Umständen und wider jede Vernunft rein erhalten sehen möchte — oder sie steckt selbst bis zur Nasenspitze in der unsauberen Affäre, in welchem Falle sie natürlich nichts unversucht lassen wird, ihren Teil der Zeche unbeglichen zu lassen und sich der Strafe zu entziehen. Wie dem auch sei — sie wird damit nicht durchkommen. Dass die beiden — der Captain und seine Braut — tatsächlich am späten Abend des Dreiundzwanzigsten Mrs. Ashburton begegnet sind, ist für mich so sicher wie das Amen in der Kirche.“
Mit dieser Deutung war der Sergeant nicht einverstanden, seine Haltung und Miene drückten es aus. „Ich erlaube mir alleruntertänigst darauf hinzuweisen“, sagte er (und besaß sogar die dreiste Stirn, dabei völlig ernst zu bleiben), „dass zwei von vier möglichen Erklärungen Ihrer geschätzten Aufmerksamkeit entgangen sind, also volle fünfzig Prozent!“ Er zwinkerte seinem Vorgesetzten triumphierend zu.
„Möglichkeit drei: Elga Ashburton, die Anonyma aus dem Lande hinter dem eisernen Vorhang, hat bei Marie-Anne (Marihuana: Fachjargon) selbst kräftig mitgemischt und sich kürzlich aus triftigen Gründen abgesetzt. In diesem Fall wäre Benhams Story — vermutlich! — blooming nonsense, zu einem Zweck in Umlauf gesetzt, den wir noch eruieren müssten. Gegen diese Darstellungen spricht“, schränkte er seine Überlegungen ehrlich selbst sofort ein, „dass Benham postwendend seine Desavouierung durch Miss Peacock befürchten musste ...“
„... oder auch nicht!“, meinte Taggart gedankenvoll. „Dann nämlich nicht, wenn die tüchtige Miss Peacock in alles eingeweiht und von ihrem famosen Verlobten entsprechend präpariert war. Dass sie mir etwas völlig anderes erzählt hat, will gar nichts besagen“, fuhr er geringschätzig fort, „denn die durch Benhams Freitod völlig veränderten Verhältnisse mögen sie geradezu dazu eingeladen haben, um 180 Grad einzudrehen und flugs ihr Mäntelchen nach dem Wind zu hängen. Aber zunächst ist diese Hypothese für meinen Geschmack etwas zu sehr mit Wenn, Aber und Fragezeichen behaftet. Kommen wir lieber zu Möglichkeit vier, Chris.“
„Zu Befehl!“, sagte der Sergeant schmunzelnd. „Möglichkeit vier: Ein aktiver Offizier, der Dienststellung und Kuriertätigkeit schamlos dazu missbraucht, fortgesetzt schwere Verbrechen zu begehen — vielleicht Rauschgiftschmuggel — dürfte eine seltene Ausnahmeerscheinung sein und sich auch vor jedem andern lukrativen Verbrechen nicht scheuen. Captain Benham steckte also vielleicht mit Mrs. Elga unter einer Decke und hat ihr entweder bei ihrer Flucht geholfen oder sie gegen ihren Willen entführt. Zutreffendenfalls wäre seine Story frei erfunden, in der Absicht, eine faustdicke Fehlspur zu legen, die von der eigenen Person wegführte. Er mag den Verdacht nicht völlig grundlos auf den Besitzer von Dunster Castle gelenkt haben. Diese Erkenntnis zwingt uns, Mister Hammond Waynal unter die Lupe zu nehmen, ganz gleich, ob sich Mrs. Ashburton nun de facto am Abend des Dreiundzwanzigsten in der Umgebung von Dunster Castle aufgehalten hat, oder nicht.“
„Waynal nehmen wir uns gemeinsam vor“, versprach Taggart. „Vorher möchte ich allerdings Miss Craigie in Epsom aufsuchen. Wie steht es übrigens mit dem inoffiziellen Ermittlungsauftrag, den ich Ihnen ...?“
„Marschiert, Sir, marschiert!“, unterbrach ihn der Sergeant stolz und streichelte selbstgefällig sein Kinn. „War gestern Abend mit Claire Egham im Kino im 'Palladium'; 'Die Bande kam vom Uranus' haben sie gegeben; hab' jetzt noch Magenkrämpfe davon ...“
„Erstens“, murmelte Taggart verweisend, „nimmt ein Gentleman bei der Beschreibung einer Dame nicht seine Hände zu Hilfe, zweitens: Ausspreche Anerkennung für schnelle Kontaktaufnahme! und drittens: Wer ist Claire Egham?“
„Teils Mrs. Ashburtons dirigierendes Hausmädchen ...“
„Dirigierendes Hausmädchen finde ich köstlich!“
„... teils ihre Zofe. Ergebnis der ersten Runde Hulbert kontra Egham: Elga Ashburton hat nach den ersten drei oder vier Monaten ihrer Ehe damit begonnen, pünktlich an jedem Fünfzehnten einen dicken Brief ohne Absenderangabe nach Worcester zu schicken. An eine Postlageranschrift, die ich auch noch herauszubringen hoffe. Was die Spesen betrifft ...“
„So stehe ich dafür voll und ganz gerade!“, versprach der Inspector lächelnd und griff zum Telefonhörer, weil es geklingelt hatte. Aus seinem Gesprächsbeitrag wurde Hulbert nicht recht schlau. Nachdem Taggart mit den Worten: „All right, Masters, weitermachen!“ das Gespräch beendet und aufgelegt hatte, sagte er verdrossen:
„Wie ich mir's gedacht hatte! Masters berichtet, dass die Peacock bis zur Stunde ihr Zimmer in Ealing nicht verlassen hat. Um vier Uhr dreißig konnte endlich auch die Telefonüberwachung einsetzen; um acht Uhr siebzehn hat sie sich bei ihrer Dienststelle krank gemeldet; um neun Uhr sechsundzwanzig stoppte der Dienstwagen Major Coolgate's vor ihrem Haus und ein Zivilist mittleren Alters — vermutlich der Major höchstpersönlich — begab sich zu ihr.
„... und was meine Wenigkeit betrifft“, fuhr er seufzend fort, „so ist jetzt der Besuch in Epsom fällig. Erfolg gleich null, das kann ich Ihnen jetzt schon sagen, aber die Routinetour muss geritten werden, wenn der Mast auch bricht.“
„Typische Verquickung von Surf- und Segelsport!“, stellte der Sergeant grinsend fest. „Ich werde mir inzwischen ausdenken, was Mrs. Ashburton alles passiert sein kann ...“
„... womit Sie bis zur Erreichung des Pensionsalters zu tun haben werden“, meinte der Inspector, und erhob sich. „Well, ich fahre. Werde gegen sechzehn Uhr zurück sein, schätze ich. Halten Sie solange die Stellung, Chris, und schreiben Sie jede wichtige Meldung auf.“
*
Gegen halb zwölf stoppte der schwarze Cisitalia nach einer Fahrt, während der die Protektoren aller vier Reifen etliche Millimeter Gummi verloren hatten, vor einem grün gestrichenen Gartenzaun, hinter dem eine wild wuchernde Hortensienhecke eine viktorianische Villa, ein wahres