So viele Killer: Vier Kriminalromane. Alfred Bekker
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„Finden Sie Elga!“, bat Ashburton mit zuckenden Lippen. „Ich finde Tag und Nacht keine Ruhe, ehe nicht ihr Schicksal geklärt ist!“
II
Obwohl es schon nach einundzwanzig Uhr dreißig war, fasste Raymond Taggart spontan den Entschluss, Captain Benham aufzusuchen, und er setzte seine Absicht auch in die Tat um, denn er hatte ganz einfach intuitiv das Empfinden, die Unterredung mit Benham nicht auf die lange Bank schieben zu dürfen.
In den Akten war natürlich Benhams Adresse angegeben. Danach wohnte er in Kingston, und Taggart scheute die zehn Meilen Fahrt nicht, sondern machte sich unverzüglich mit seinem Cisitalia mitten durch das nächtliche London auf den Weg.
Kurz vor zweiundzwanzig Uhr bog er in eine gerade Straße ein, die rechts von uralten Ulmen, links von der Themse gesäumt war, und fuhr bis zu dem kleinen Platz durch, wo sie sich in vier verschiedene Richtungen gabelte. Ein Constabler, der sich vom Revierdienst auf dem Nachhauseweg befand, fuhr mit ihm, da er ganz in der Nähe Benhams wohnte, und wies ihn zu dem pavillonartigen Gebäude inmitten eines kleinen Parkes ein, das der junge Offizier gemietet hatte.
Ein paar Minuten nach Glockenschlag zehn suchte sich Taggart im Schein seiner Taschenlampe einen Weg durch den verwilderten Park. Er fand nur eine angelehnte, also nicht verschlossene Tür, betrat ein holzverkleidetes Vestibül und stand dort erst vor der Abschlusstür, an der Stanley Benhams Visitenkarte mit einem Reißnagel befestigt war.
Benham schien zu Hause zu sein, denn durch die verglaste Türfüllung drang ein Lichtschimmer ins Vestibül hinaus, aber er schien offenbar wenig davon zu halten, zu so später Stunde einen Besucher zu empfangen, denn de r Inspector musste mehrere Male kräftig klingeln, ehe drinnen endlich zögernde Schritte näher kamen.
„Wer ist draußen?“, fragte eine sonore Männerstimme mit einem Unterton von Furcht — wie es schien.
„Inspector Taggart. Spreche ich mit Captain Benham?“
„Allerdings — kommen Sie vom Yard?“, klang es misstrauisch zurück.
„Hatten Sie gedacht, von der Gesundheitsbehörde?“ Taggart wurde allmählich ärgerlich.
„Ja — hm — soso ... — Etwa in der gleichen Angelegenheit, in der Inspector Strush schon bei mir war?“
„Kann durchaus sein. Aber hören Sie, ich habe keine Lust, mich durch die Tür hindurch mit Ihnen zu unterhalten.“
„Warten Sie einen Moment — muss erst die Schlüssel holen ...“
„Bitte, ich habe Zeit! Aber nicht so viel, um sie zu vergeuden!“, fügte Taggart beziehungsreich hinzu.
Zögernde Schritte entfernten sich — und dann erfolgte nahezu fünf Minuten lang nichts. Allmählich geriet Taggarts Temperament in Wallung.
„Zum Teufel, Benham“, rief er unterdrückt, „sagen Sie's doch gleich, wenn Sie mich heute nicht mehr empfangen wollen, ich kann Sie nicht zwingen, aber halten Sie mich nicht zum Narren! — Goddam ...!“
Der Inspector wurde auf tragische Weise unterbrochen, durch einen Schuss, der ihm angesichts der ringsum herrschenden Stille wie eine ganze Batteriesalve in den Ohren gellte.
„Benham!“, rief Taggart entsetzt. „Benham! Zum Teufel, Mann, so melden Sie sich doch ...!“
Keine Antwort ...
Hier gab es kein Besinnen und kein Zögern. Sekundenlang betrachtete Taggart die Abschlusstür abschätzend, ehe er zurücktrat, einen kurzen Anlauf nahm und sich wuchtig mit der rechten Schulter gegen die Schlossseite fallen ließ. Die Tür sprang mit hässlichem Krachen auf. Taggart stürzte vornüber und richtete sich sofort wieder auf. Durch den Sturz hatte er die Taschenlampe aus der Hand verloren, aber sie war nicht erloschen, sodass er sie sofort wiederfand und in ihrem Schein weitergehen konnte. Der winz ige Korridor war beleuchtet, aber aus der einen Spalt klaffenden ersten Zimmertür drang ein vager Lichtschimmer heraus.
Taggart stieß die Tür mit dem Fuß auf, trat auf die Schwelle und blieb entsetzt stehen.
Die Einrichtung des mäßig großen Raumes war nicht gerade teuer, aber hübsch und gemütlich. Auf einem kleinen Tisch neben dem Büchergestell lag ein Stapel Pariser Magazine, daneben stand ein gerahmtes Foto einer hübschen, schlanken Frau.
Vor dem Tischchen lag in verkrümmter Haltung ein junger Mann halb auf der Seite. Er trug Offiziersuniform mit den Rangabzeichen eines Captain. Sein hübsches, vielleicht etwas leichtfertiges Jungengesicht war nur zur Hälfte sichtbar. Der Kopf lag in einer sich rasch vergrößernden Blutlache. Der fade Geruch verbrannten Cordits reizte Taggart zum Husten. Entsetzt kniete er neben dem Leblosen nieder; der Mann war tot, daran gab es keinen Zweifel. Neben der Brust ruhte die rechte Hand, die immer noch die Griffschalen eines 7,65er Brownings umklammert hielt.
Taggart erhob sich und untersuchte flüchtig die beiden Fenster. Sie waren von innen fest verschlossen. Der Raum hatte nur den einen Ausgang zum Korridor, und dieser wiederum nur einen Ausgang zum Flur. Ein eventueller Mörder musste sich also noch in der Wohnung befinden ... Da Taggart nach dem Schuss keinerlei Geräusche mehr gehört hatte, durfte er sicher sein, dass es einen Mörder nicht gab. Schon nach der ersten flüchtigen Untersuchung stand für ihn fest, dass Stanley Benham Selbstmord verübt hatte. Taggart strich sich verwirrt durchs Haar. Kein Zweifel, sein unvermuteter, unangemeldeter Besuch hatte den jungen Captain in wilde Panik versetzt und die tragische Kurzschlusshandlung ausgelöst.
*
Raymond Taggart hatte mehrere Minuten dazu gebraucht, sich einen ersten Überblick zu verschaffen. Als sich danach außerhalb des Hauses immer noch nichts rührte, konnte er annehmen, dass die Schussdetonation von dritten Personen nicht gehört worden war, was ihm, nachdem es sich bei dem Selbstmörder um einen Angehörigen des Kriegsministeriums handelte, nur angenehm sein konnte.
Im Haus selbst schien sich Benham — zumindest im Augenblick — ganz allein aufgehalten zu haben, was Taggart angesichts des delikaten Charakters der Angelegenheit ebenfalls nur recht sein konnte. Benhams Appartement umfasste die drei Räume des Erdgeschosses; zur einzigen Etage führte eine Wendeltreppe hinauf, die bei einer verschlossenen Tür endete. Dahinter mochte die Haushälterin wohnen.
Als er das alles festgestellt hatte, ging der Inspector zum Tatort zurück und rief den Yard an. Er ließ sich mit dem Nachtdienst verbinden, teilte den Sachverhalt mit und bat um Entsendung der Mordkommission sowie um äußerste Diskretion. Danach führte er ein kurzes Gespräch mit dem zuständigen Revier, dessen Leiter er ebenfalls zu strengstem Stillschweigen verpflichtete, und jetzt erst rief er das Kriegsministerium an. Er verlangte Colonel Ashburton zu sprechen, was erst nach längerem Hin und Her möglich war.
„Ashburton am Apparat“, sagte die bekannte arrogante Stimme. „Was ist denn jetzt schon wieder los?“
Taggart sagte es klar und deutlich. Ashburtons erste Reaktion war bezeichnend. Er fragte:
„Ist der — hm! — unangenehme Vorfall allgemein bemerkt worden?“
„Glücklicherweise nicht, Sir“, gab der Inspector verstimmt zur Antwort. „Revier und Mordkommission habe