Seelengärtnern. Karina Maria Wohnig
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Karina Maria Wohnig
Avaenidh
Bei Schneefall an Ostara, im Odenwald, am 22.03.2018
Einstimmung: Eine Innenweltreise
Von einer die auszog, um den Garten Eden zurückzuholen…
Avaenidh atmet. Die Luft ist warm, und sie ist balsamisch, fast wird ihr ein bisschen schwindelig. Alles duftet hier, an ihrem Ort. Die Erde, auf der sie steht, ist weich und warm. Avaenidhs Fußsohlen schmiegen sich vertrauensvoll in den Boden. Sie spürt: Diese Erde ist es gewöhnt, von den warmen Füßen eines Menschen massiert zu werden, sie trägt gerne. Jeder Schritt ist wie eine Unterhaltung zwischen Liebenden. Ach, diese Luft: Unzählige Blüten schenken ihre Essenz dem Wind. Ein Duftteppich umhüllt Avaenidh, er nährt und inspiriert.
So steht sie da, steht nur, sorglos von Mutter Erde getragen, und sinnt ihrem Atem und diesem magischen Austausch mit den Pflanzen nach.
Etwas kitzelt sie am Arm, eine Schnake versenkt gerade ihren Saugstachel in ihrer Haut. Zielgerichtet, nach ihrem pulsierenden Blut lechzend. Reflexartig hebt Avaenidh ihre Hand und will sie erschlagen. „Nicht“, sagt da eine sanfte, aber kräftige Stimme. Avaenidh dreht sich erschrocken um, und obwohl sie ja wusste, dass sie sie hier treffen würde, war sie wieder einmal überwältigt. Von sich selbst – ihrem Höheren Selbst. Diese Frau ist Avaenidh, so, wie sie sich vor ihrer Inkarnation erdacht hat. Der Teil, der nicht durch das Vergessen gegangen ist und in dem ihre Seelenkraft ungefiltert wirkt.
Fast hätte Avaenidh die lästige Stechmücke vergessen, doch ein Kitzeln an ihrem Arm holt sie zurück. „Lass sie zu Ende trinken“, sagt die Frau, deren Ausstrahlung so intensiv ist, dass sie von einem leichten, goldenen Schimmer umgeben scheint. Nun merkt Avaenidh, dass unangenehme Gefühle in ihr aufkeimen: „Hm, zu Ende trinken lassen?“ Sie windet sich. Ekel und Abneigung beginnen in ihr aufzusteigen. „Schließe die Augen und höre nur auf meine Stimme“, sagt die Goldene. „Gut.“ Avaenidh stimmt ein. Die andere atmet friedvoll und rauschend. Avaenidh merkt, wie ihre Atemzyklen sich einander anpassen. Ruhe breitet sich in Avaenidh aus.
„Diese ‚Schnake‘, wie du sie nennst“, hört sie die Frau nun sagen, „sie nimmt eine Probe deines Blutes. Sie wird dein Blut testen. Sie wird es analysieren, und wenn sie von einem der Vögel gefressen wird, wird sie diese Information an ihn weitergeben. Er wird die Schnake verdauen, wird sie ausscheiden und seine Ausscheidung wird auf der Erde von den Kleinstlebewesen verdaut. So gelangt die Information über den Zustand deines Organismus zu all den Bewohnern dieses Gartens. Sofort werden sie sich auf dich und deine Bedürfnisse einstellen. Sie werden ihre Früchte, Blätter und Samen mit den Stoffen anreichern, die du brauchst, um voll und ganz gesund zu sein. Denn dann schwingst du in der Harmonie der Schöpfung und kannst ‚dein wahres Potenzial leben‘, wie du es gerne ausdrückst.“ Sie lächelt. Avaenidh schaut zu ihr auf. In ihrem ovalen, jugendlichen Gesicht blicken ihre katzenartigen Augen schelmisch zu ihr hinüber. Sie grinst und springt plötzlich, wendig wie ein Reh, davon. „Komm, ich will dir etwas zeigen.“ „Aber…“, Avaenidh schaut auf ihren Arm. Die Schnake ist weg. „Hm, da bleibt mir wohl nichts anderes übrig als hinterher.“
Sie geht schnell und zügig. Der Garten wirkt wild und trotzdem geordnet, es gibt keine Beete oder Steinwege, und doch sieht man eine ursprüngliche Ordnung. Die Pflanzen scheinen sich Avaenidh zuzuneigen, wenn sie unter ihnen hindurch- oder an ihnen vorbeigeht, „Mein Garten…“, schwelgt sie noch, als ihr Selbst abrupt zum Stehen kommt. „Wow!“, bringt Avaenidh nur heraus. Sie sind vor einer Esche zum Stehen gekommen. Sie ist sehr, sehr alt. Ihr Stamm wirkt gedreht und ist sehr dick. Aber das Interessanteste ist, dass Avaenidh geradewegs in einen Hohlraum blickt, der schwarz ist wie die Nacht und sehr tief, unergründlich tief...
„Hier.“ Avaenidh zuckt unter der Stimme ihrer Begleiterin zusammen, hätte sie sich doch beinahe in diesem wohligen Dunkel verloren. Sie bedeutet Avaenidh, sich zu setzen.
„Das ist die Urmutter!“ Avaenidh schaut verwundert in das schelmische Gesicht der Goldenen.
„Aber ich wollte doch die Urmutter im Garten Eden treffen. Nicht in meinem inneren Seelengarten“, sagt Avaenidh irritiert. Das Höhere Selbst lächelt nachsichtig und sagt: „Ja, und hier wären wir!“
„Ich sehe, das verwirrt dich“, spricht sie weiter. „Das wird sich alles gleich aufklären.“
Plötzlich geht eine Energiewelle von dem Baumstamm aus, erfasst Avaenidh und wirft sie fast von der Wurzel, auf der sie Platz genommen hatte.
„Ich bin die Urmutter“, donnert da eine tiefe Frauenstimme, die aus der ovalen, pechschwarzen Öffnung im Baumstamm zu kommen scheint. Die Energie, die von der Baumvulva ausgeht, durchpulst Avaenidh und bringt jede ihrer Zellen zum Beben.
„Urmutter, ich grüße dich“, beginnt Avaenidh vorsichtig. „Ich freue mich so, mit dir sprechen zu können.“
„Sicher, jeder kann das.“
„Hm“, überlegt Avaenidh. „Ich bekomme immer wieder gesagt, es sei besonders, dass ich das könnte, und andere könnten es nicht.“
„Das ist Unsinn. Jeder kann es. Du bist eine Hagazussa. Du stehst mit dem einen Bein in der materiellen und mit dem anderen in der feinstofflichen Welt. Du hast das sehende Auge.“
„Sind denn alle Menschen Hagazussas? Und warum können sie es dann nicht mehr?“
„Nicht alle Menschen sind Hagazussas, aber alle Menschen können mit mir kommunizieren. Sie wissen es nur nicht mehr, weil sie eingeschlafen sind. Sie leben in einem Traum, in dem sie träumen, sie seien von der göttlichen Quelle getrennt. Doch die Menschen haben den paradiesischen Zustand nie verlassen. Das Getrenntsein von Gott ist eine Illusion. Diese Illusion hat sich euch überliefert als der Mythos vom Sündenfall und der Vertreibung aus dem Paradies. Aber in Wirklichkeit seid ihr nur in eine Art Schlaf gefallen. Ihr träumt einen Traum der Dualität, in dem sich ‚das Gute‘ und ‚das Böse‘ bekämpfen. Doch Gut und Böse sind die zwei Seiten der gleichen Medaille. Jetzt ist es an der Zeit, dass du mir deine Fragen stellst.“
„Also, ich möchte dich fragen, wie die Menschen gelebt haben im Garten Eden.“
Die Urmutter lacht amüsiert. „Nun, Kind, es wird für alles gesorgt. Der Mensch ist stets in Kontakt zu Gott. Und Gott erfüllt dem Menschen alle seine Bedürfnisse. Er muss nichts jagen. Es gibt genug Pflanzliches zu essen. Die Bäume hängen voller Früchte, die Sträucher voll von Nüssen, die Blumen liefern mit ihren Blüten Nahrung, und die Kräuter sorgen für die Heilung.“
„Was macht denn der Mensch dann den ganzen Tag?“
„Das ist eine gute Frage: Der Mensch schöpft seine Welt. Er ist Gottes Hand auf der Erde. Er sagt den Pflanzen, wie sie zu wachsen haben, und gestaltet gemeinsam mit Gott seine Schöpfung.“
„Der Mensch ist ein Gärtner?“
„Ja, aber noch mehr: Er gestaltet neue Welten nach Gottes Vorbild und seinen eigenen Inspirationen. Er macht unsere Erde noch schöner als zuvor. Er kümmert sich um die Harmonie im Kosmos. Er strahlt mit seinem Licht, das Liebe ist, auf alle Wesen und vervollkommnet sie. Deswegen kann mit der Aufmerksamkeit Energie gelenkt und geheilt werden, wenn etwas aus der Harmonie gefallen ist.“
„Also, wenn jemand krank ist, ist er aus der Harmonie gefallen?“
„Ja, so