Jung & Alt. Ludwig Hasler

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Jung & Alt - Ludwig Hasler

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Statistiken schlagen Depression und Alkoholismus ab 65 aus, besonders verbreitet das »Pegel-Trinken«, das macht nicht betrunken, bloß leicht betäubt, aber konstant, wirkt wie ein Schleier vor der eigenen Realität. Ist bei mir nicht so weit.

      Wozu brauchen manche Jugendliche ihr Bier? Zum Durstlöschen? Welchen Durst? Den nach mehr Leben, nach Rausch, Entgrenzung? Das wäre ein Thema, Samantha: Wie brechen wir – Junge, Alte – aus dem Alltag aus? Später mal.

      Das mit dem Wein läuft wohl harmloser. Oft als soziales Ritual. Wer zusammen trinkt, beißt sich nicht. Brachte ich darum eine Flasche mit zum Gespräch? Zur Auflockerung der Unterschiede? Ich bin nicht so unkompliziert aufgewachsen. Und ihr Jungen tickt manchmal schon auffällig anders. Entspannter, scheint mir, irgendwie freier, auch ohne Wein. Vermutlich weckt genau diese Freiheit bei manchen Alten die Sorgen, die dich befremden. Ich höre sie auch. Als eine Enkelin ein Jahr durch Europa tourte, im VW-Bus, mit allerlei Gelegenheitsjobs beschäftigt, da ging es gleich los mit der Sorgenmacherei: Passt sie auch auf? Isst sie ordentlich? Kann sie sich das überhaupt leisten? Verspielt sie den Anschluss im Beruf? Gratis mitgeliefert: unser Besserwissen. Wir Alten haben es ja geschafft, wir haben das Leben bestanden. Ergo wissen wir, wie man es macht. Und nun sehen wir, ihr macht manches anders. Also Stirnrunzeln – hmm, wenn das bloß nicht schiefgeht!

      Es sind die falschen Sorgen, da stimme ich dir zu. Die richtigen jedoch – Sorgen über den Zustand der Welt – wären halt lästig. Am Zustand der Welt sind wir Alten direkt beteiligt, jedenfalls mehr als ihr. Und da dieser Zustand, gelinde gesagt, durchzogen aussieht, steht unser Besserwissen auf wackligen Füßen. Brauchen wir etwa darum Wein? Doch wenn ihr unsere Agenda der Sorgen nun auswechselt, könnten wir aufatmen: Mit Glück, junge Leute!

      Aber spielen wir Alten in eurem Stück überhaupt noch eine Rolle?

       Ludwig

       Wer gar nicht mehr weiß, wohin mit sich, bucht eine Weinreise

       #4 Lieber Ludwig

      Um es gleich am Anfang zu sagen, gegen anstoßen hab ich nichts. Auch nicht gegen Wein. Aber ich bin bekennende Nicht-Wein-Kennerin. Denn wenig langweilt mich mehr, als Leute, die sich mit Wein auskennen.

      Damit meine ich nicht Winzerinnen und Winzer, sondern die Menschen, die über Wein sprechen. Wer länger als 20 Minuten über Wein sprechen kann, hat einfach keinen Sex mehr.

      Du hast deine Theorie zum Wein geäußert. Das Gleiche will ich auch tun. So wie ich das erlebe, haben Konsum und Status für ältere Menschen einen höheren Stellenwert. Und beide Bedürfnisse lassen sich durch Wein befriedigen.

      Beginnen wir beim banalen: Den Wein kann man konsumieren. Und ich sag, wie’s ist, manches ist mit einem gepflegten Räuschlein einfach erträglicher.

      Dann ist auch schon das Kaufen des Weins ein Happening. Weinhändler, Weingut, Weinmesse, Weinschiff. Und wenn man wirklich gar nicht mehr weiß, wohin mit sich, dann macht man eine Weinreise. Rheinhessisches Hügelland, Piemont, Toskana, Südafrika.

      Es wird sogar noch besser: Man kauft sich nicht nur Wein, sondern man kann auch seinem Wein gleich noch Sachen kaufen. Weingläser, Dekantierkaraffe, Weinthermometer oder einen Weinklimaschrank. Mit eingebautem Sichtfenster und beleuchtetem Innenraum, damit man den ganzen Tag seine wohltemperierten Weinflaschen anschauen kann.

      Wein ist eben auch Statussymbol. Man definiert sich über Wein, zeigt, dass man Geschmack hat. Das ist für Leute wie mich recht nützlich. Anhand der Art, wie jemand über Wein spricht, kann ich die Person recht zuverlässig einer soziokulturellen Klasse zuordnen.

      Ich weiß genau, was das für Leute sind, die sagen, für einen gelungenen Abend brauchen sie ein gutes Glas Wein und ein feines Stück Fleisch. Sie heißen Monika und Christian, sind länger verheiratet als nicht und haben sich auch sonst nichts mehr zu sagen. Darum der Wein, über irgendwas muss man ja sprechen. Und sonst ist man immerhin betrunken, das macht ja auch vieles leichter.

      Insofern sind wir uns wohl einig: Wein gehört ab einem gewissen Alter dazu, taugt wunderbar zur Ersatzhandlung. Weil es lästig wäre, sich mit seinen wirklichen Problemen zu konfrontieren.

      Du fragst, wozu wir Jungen unser Bier brauchen. Ja, Durst nach mehr hätten wir schon. Doch im Moment haben wir andere Probleme. Die Pandemie zieht wieder an, und verstärkt ein Lebensgefühl, dass viele von uns ohnehin schon kennen. Wir haben keinen Plan, wie wir durch das Heute kommen, und wissen gleichzeitig, dass das Morgen erst das ist, was richtig zäh wird.

      Vielleicht war ich deshalb etwas zynisch mit der ganzen Weingeschichte. Du siehst mir das nach, ja?

      Wie ist das bei dir? Wird dein Leben auch grad wieder enger, erlebst du auch ein unangenehmes Déjà-vu?

       Samantha

       Ja, komplett Verheiratetsein kann anspruchsvoll werden

       #5 Liebe Samantha

      Jetzt kommst du aber zur Sache. »Wer länger als 20 Minuten über Wein sprechen kann, hat einfach keinen Sex mehr.« Ich konnte nie länger als zwei Minuten über Wein reden, kann also nicht mitreden.

      Dafür hier: »Sie heißen Monika und Christian, sind länger verheiratet als nicht und haben sich auch sonst nichts mehr zu sagen.« Ja, was sollte sich ein Paar nach 30 oder 50 Jahren unaufhörlich zu sagen haben? Wie das Wetter morgen wird? Wie das Hüftgelenk sich heute anfühlt? Wo sie am Sonntag hinwollen? Bloß, jetzt geht es nirgends wohin. Corona wird zum Härtetest älterer Paare.

      Ich kenne welche, die wirken verliebt wie am ersten Tage. Spezies rara. Und manche, die sich freundschaftlich das Leben erleichtern, gar steigern. In Hotels sehe ich die verzweifelt Tapferen beim Morgenessen, es gibt nichts zu erzählen, zu lachen schon gar nicht, sie schweigen in sich hinein, sehen aneinander vorbei. Harte Kost.

      Ich bin selber verheiratet. Oft solo unterwegs. Wie meine Frau, übrigens. Wir merkten früh: Treten wir stets als Paar auf, haben wir weniger vom Leben, werden seltener angesprochen, können nicht einmal flunkern, wir sind, was wir sind, genauer: was wir waren. Also machen wir nie komplett auf verheiratet, es gibt auch mehr zu erzählen. Um 1900, als die Leute im Durchschnitt 46 wurden, war die Ehe keine Hexerei. Bei 30 Rentnerjahren wird sie anspruchsvoll.

      Zumal im Alter immer weniger passiert, egal, wie aktiv wir drauf sind: Immer häufiger wiederholt sich, was wir erleben. Nun ja, kennen wir, kaum der Rede wert. Wie anders die jungen Jahre, wo alles neu ist, voller Erwartung, Angst und Hoffnung, wo jeder Abend das Leben umstürzen kann. So ein Sommer mit 16 dehnt sich zur halben Ewigkeit, ein Jahr mit 76 kann fast eindrucksfrei verstreichen. Ein Zeitforscher klärte mich mal auf: Ich könne glatt 90 werden – und hätte doch mit 20 meine Lebensmitte überschritten. Huch. Wir werden also stets älter, doch in die Länge gerät nur die Phase, die – mangels Neuigkeiten – im Hui vorbeirauscht? Wie reagieren? Neue Pubertät, neues Glück, neue Ehe? Oder die Zeit heiter dahinfließen lassen, erleichtert, nicht mehr zu allem etwas sagen zu müssen?

      Für dich ferne Zukunft. Wie packst du sie an? Laut Umfragen (aktuell: Berner Generationenhaus) seid ihr Jungen skeptisch gegen monogame Ambitionen, offen für sogenannt polyamorische Varianten. In der Praxis scheinen die Partnervorlieben dann erstaunlich stabil: Aschenputtel schnappt sich den Prinzen. Sie ist jung und schön, er ist reich und arriviert, das passt zusammen. So las ich es grad in »Psychological

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