Jung & Alt. Ludwig Hasler
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Was ich weniger verstehe: die Fixierung auf Verwaltungsräte. Glaubst du im Ernst, dort sei die Schaltzentrale der Gesellschaft daheim? Nur als Reminder: Eine junge Frau namens Greta hat mit 18 mehr bewegt als jeder aktuelle VR-Präsident der Schweiz. Aufbruch beginnt im Kopf. Macht hat, wer die Köpfe bewegt, mit Vorstellungen, Gedanken, Bildern. Und da sind Frauen schon tüchtig vorn, in Kunst, Literatur, Film, sogar in Medien. Auch in meiner Branche, der Philosophie. Du fragst, ob ich mir meiner Privilegien als Mann bewusst sei. Gegenfrage: Meinst du, ich hätte eine Chance gegen eine junge Philosophin, sagen wir, Barbara Bleisch? Da dreht sich etwas. Mir soll es recht sein.
War ich doch schon Eva stets dankbar, dass sie in den Apfel biss und den Auszug aus dem bescheuerten Paradies provozierte. Mit Adam, fürchte ich, säßen wir noch heute drin. Aufbruchslust ist eher weiblich, Charles Darwin sah in ihr die Triebkraft der Evolution: Tierischer Sex ist meist Damenwahl, dabei setze sich die »Sehnsucht nach Variation« durch, nämlich das weibliche Verlangen nach Ästhetik, nach Verwandlung naturhafter Plumpheit durch Schönheit. Das Weibchen sucht Variation (Fantasie, Farbe, Eleganz, Wandel), das Männchen macht, was es kann; selber hat es nicht viel anderes im Kopf als Sex, dazu kommt es aber nur, wenn es sich und das Nest so luxusartig schön herrichtet, dass ein Weibchen davon begeistert ist. Siehe Pfau. Siehe Zaunkönig, der baut gleich drei Nester, eines feudaler als das andere, das Weibchen wählt – wenn überhaupt …
Was das nun bedeuten soll? Es fiel mir halt ein, wir schreiben ja Briefe, keine Leitartikel. Mit Fallen da und dort. Tappte ich grad in die Biologiefalle? Die Frau ist fürs Schöne da, der Mann für die Tatsachen? Gar nicht mein Ding. Eher interessiert mich: Sind Menschenmänner so viel bockiger gegen weibliche »Sehnsucht nach Variation«? Oder leben wir generell sehnsuchtsfreier, stets datenbasiert, also pragmatisch? Beißt auch Eva vorsichtshalber nicht mehr in den Apfel? Dann wäre es am Ende gar egal, wer im VR sitzt.
Ludwig
Ich kann die alten Männer nie auseinanderhalten
#12 Lieber Ludwig
Zuerst zum Apfel. Es ist die beste Frucht überhaupt. Ich dulde keine Widerrede. Äpfel schmecken gut, sind gesund und wachsen regional. Ich liebe Äpfel sehr, habe sogar dezidierte Haltungen zu den verschiedenen Apfelsorten. Ich bin sozusagen ein wandelndes Thurgauerinnenklischee. Wenn ich nur ein bisschen netter wäre, ich bin sicher, ich wäre längst Thurgauer Apfelkönigin geworden.
Du schreibst über Eva, den Apfel und über die Erbsünde. Und da bin ich ganz deiner Meinung: Auf ewig im Paradies wäre wohl recht öde gewesen. Auszug also ein gute Sache, Freude herrscht. Um es mit den Worten von Ueli Maurer zu sagen. Oder war es Adolf Ogi? Oder doch Gilbert Gress? Keine Ahnung, ich kann die alten Männer nie auseinanderhalten. Es gibt so viele von ihnen, und sie sehen einfach alle gleich aus.
Das kann man von meiner Generation sicher nicht behaupten. Wir sind überhaupt nicht alle gleich. Wir sind alle sehr besonders.
Individualismus ist in meiner Generation ein großes Thema. Wohin wir auch schauen in der Gesellschaft der Gegenwart: Was immer mehr erwartet wird, ist nicht das Allgemeine, sondern das Besondere. Das sage nicht ich, sondern Andreas Reckwitz. Er ist Soziologe und hat ein ziemlich interessantes Buch geschrieben mit dem Titel »Die Gesellschaft der Singularitäten«.
Er schreibt, wir lebten nicht mehr im industriellen, sondern im kulturellen Kapitalismus. Es gehe um die Logik des Besonderen. Erlebnisse und Güter müssten nicht mehr in erster Linie funktional sein, sondern dazu dienen, uns selbst zu definieren. Dieser Wunsch nach Besonderheit durchdringt dabei jeden Bereich unseres Lebens. Wie wir wohnen, wie wir essen, wohin wir reisen, wie wir unsere Körper, Karrieren oder Freundeskreise gestalten.
Und darin erkenne ich mich und meine Generation wieder. Wir richten unsere Wohnungen mit Vintage-Möbeln ein, züchten Sauerteig, backen veganes Bananenbrot, formen unsere Körper mit Fitness, gestalten sie mit Tätowierungen. Unsere Leben werden nicht gelebt, sie werden kuratiert. Alles mit der Intention, möglichst individuell zu sein. Das Paradox: Genau damit werden wir immer gleicher. Unseren vermeintlichen Individualismus reproduzieren wir mit den sozialen Medien sogar immer weiter und weiter und schaffen damit eine universelle globale Ästhetik.
Wir entwickeln Leidenschaften für alltägliche Güter wie Brot oder Kaffee, wie man sie eigentlich nur von Weinliebhabern kennt. Das mit dem Wein haben wir ja bereits abgehandelt, das ist Part deiner Generation. Aber ansonsten finde ich alles sehr zutreffend, fühle mich beinahe ertappt von dieser Theorie. Da bin ich definitiv Kind meiner Zeit. Sonst hätte ich wohl nicht zu Beginn einen ganzen Absatz über Äpfel geschrieben.
Was soll man davon halten? Ist es gut? Ist es schlecht? Keine Ahnung. Was denkst du?
Samantha
Was ist nun wichtiger – die Flanke oder die Frisur?
#13 Liebe Samantha
Du als wandelndes Thurgauerinnenklischee, das gefällt mir. Dann kennst du allerlei Apfelsorten, klar. Nur alte Männer kannst nicht auseinanderhalten. Weil überall so viele sitzen und alle sich gleichen, sagst du, Ogi wie Maurer wie Gress wie Hasler: die individuellen Züge abgenutzt, nur noch Gattungswesen, austauschbare Exemplare eines biologischen Auslaufmodells?
Neben deinen frischen Äpfeln (mein Favorit übrigens: Topaz, direkt aus dem Thurgau) sehen wir natürlich aus, wie wir sind, alt. Unsere Körper folgen, wie alle Materie, den Gesetzen der Schwerkraft. Ich zitiere sonst gern Albert Camus, ab 25 sei jeder Mensch selber verantwortlich für sein Gesicht. Doch erstens hatte der Mann leicht reden, er starb mit 47. Zweitens sehe ich grad an mir, das Fleisch schert sich immer weniger um meinen Formwillen. Das gleicht manche Unterschiede mit den Jahren aus, bis du überall alte Männer erblickst.
Und wenn Unterschiedlichkeit uns gar nicht interessiert? Du erzählst (mit Andreas Reckwitz) vom Drang nach Singularität in deiner Generation, vom Wunsch, etwas Besonderes zu sein, unverwechselbar, individuell. Da könnten wir uns wirklich unterscheiden. Ich glaube, wir wollten nie partout speziell sein. Wir streckten uns, pauschal gesprochen, mehr nach Zugehörigkeit als nach Singularität, statt uns abzugrenzen, passten wir uns lieber an. Konformität war uns kein Schimpfwort, auch nicht in der 68er-Phase, 68er waren und sind total konform – mit dem Gruppengeist, samt Klamotten und Umgangsformen.
Dafür landeten wir nicht gleich in der dialektischen Falle, die du skizzierst: Wo alle ganz speziell sein wollen, wird die Spezialität für alle wieder gleich. Echt gemein. Schlimmer noch: Diese Sehnsucht, selber speziell zu sein, hindert daran, etwas Spezielles zu bewirken. Schau mal in ein Fußballspiel, was fällt dir zuallererst auf? Die Frisuren! Ehrlich, ich weiß nicht, was denen wichtiger ist – die Flanke oder die Frisur. Lassen sich alle paar Tage regelrechte Kunstwerke auf den Schädel drehen. Fußballer! Virile Typen! Wollen total individuell sein – und sehen aus wie alle: wie künstlich drapierte Äffchen.
Zu meiner Zeit kannten Fußballer auch allerlei Spezialitäten, sicher keine Frisur. Beim FC Luzern spielte damals ein bulliger Typ, der Name ist mir entfallen (alter Mann, vergesslich), der hatte einen Bauch, kein Sixpack, mit dem Ball aber rannte er, als ginge es um sein Leben, er schwitzte wie ein Ross – und alle liebten ihn. Wir hielten ihn für was ganz Besonderes – weil er sich restlos verausgabte, für unsere Sache, ohne Rücksicht