Das Geld. Emile Zola

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Das Geld - Emile Zola Die Rougon-Macquart

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Verzichts und der Wiedergutmachung lebte. Bei dieser Frau, die keine Liebende gewesen war und die nicht hatte Mutter sein können, entfalteten sich alle verdrängten Zärtlichkeiten, vor allem die verkümmerte Liebe zum Kind, zu einer echten Leidenschaft für die Armen, Schwachen, Enterbten, Leidenden, für all jene, deren gestohlene Millionen sie zu besitzen glaubte und denen sie in einem Almosenregen alles königlich zurückerstatten wollte. Seitdem bemächtigte sich ihrer eine fixe Idee, der Nagel der Besessenheit drang ihr in den Schädel: sie betrachtete sich nur noch als einen Bankier, bei dem die Armen dreihundert Millionen hinterlegt hatten, damit sie zu ihrem Besten verwendet würden; sie war nur noch ein Buchhalter, ein Geschäftsführer, der in Zahlen lebte inmitten eines Völkchens von Notaren, Arbeitern und Architekten. Außerhalb hatte sie ein richtiges großes Büro mit etwa zwanzig Angestellten eingerichtet. Zu Hause, in ihren drei engen Zimmern, empfing sie nur vier oder fünf Vermittler, ihre Leutnants; hier verbrachte sie die Tage an einem Schreibtisch wie der Direktor eines Großunternehmens, in klösterlicher Abgeschiedenheit, fern von aufdringlichen Besuchern, in einem Wust von Papieren, der sie überschwemmte. Ihr Traum war, alle Nöte zu erleichtern, die des Kindes, welches leidet, weil es geboren wurde, wie auch die des Greises, der nicht sterben kann, ohne zu leiden. Während dieser fünf Jahre, da sie das Gold mit vollen Händen hinauswarf, hatte sie in La Villette die Kinderkrippe Sainte-Marie gegründet, ein großes, helles Gebäude mit weißen Wiegen für die ganz Kleinen und blauen Betten für die Größeren, in dem schon dreihundert Kinder untergebracht waren; das Waisenhaus Saint-Joseph in Saint-Mandé, wo hundert Knaben und hundert Mädchen so erzogen und ausgebildet wurden wie in den bürgerlichen Familien; schließlich für fünfzig Männer und fünfzig Frauen ein Altersheim in Châtillon und in einem Vorort das Krankenhaus Saint-Marceau mit zweihundert Betten, dessen Säle gerade erst eingeweiht worden waren. Aber ihr Lieblingswerk, das in diesem Augenblick ihr ganzes Herz in Anspruch nahm, war das »Werk der Arbeit«, ihre ureigenste Schöpfung, ein Haus, das die Erziehungsanstalt ersetzen sollte: dreihundert Kinder, hundertfünfzig Mädchen und hundertfünfzig Knaben, die auf dem Pariser Pflaster in der Ausschweifung und im Verbrechen gelebt hatten, wurden hier durch gute Behandlung und die Erlernung eines Berufes auf den rechten Weg gebracht. Diese verschiedenen Gründungen, beträchtliche Schenkungen und eine verrückte Verschwendungssucht der Barmherzigkeit hatten in fünf Jahren nahezu hundert Millionen verschlungen. Noch ein paar Jahre so weiter, und die Fürstin war ruiniert, ohne sich selbst die kleine Rente für Brot und Milch, ihre tägliche Nahrung, gesichert zu haben. Wenn ihre alte Amme Sophie einmal ihr ständiges Schweigen unterbrach, sie mit harten Worten schalt und ihr voraussagte, sie würde noch einmal am Bettelstab enden, hatte sie dafür nur ein schwaches Lächeln, das einzige, das hinfort auf ihren farblosen Lippen erschien, ein göttliches Lächeln der Hoffnung.

      Durch ebenjenes »Werk der Arbeit« machte Saccard die Bekanntschaft der Fürstin dʼOrviedo. Er war einer der Eigentümer des Geländes, das sie dafür aufkaufte, eines alten, mit schönen Bäumen bestandenen Gartens, der an den Park von Neuilly angrenzte und sich längs des Boulevard Bineau hinzog. Er hatte sie durch die lebhafte Art, mit der er bei den Geschäften verhandelte, für sich eingenommen, und sie wollte ihn wegen einiger Schwierigkeiten mit den Bauunternehmern wiedersehen. Er selbst hatte sich für die Arbeiten interessiert, seine Phantasie war gefesselt und bezaubert von dem großartigen Plan, den sie dem Architekten aufzwang: zwei monumentale Flügel – der eine für die Knaben, der andere für die Mädchen –, die untereinander durch ein Hauptgebäude verbunden waren, das die Kapelle, die Gemeinschaftsräume, die Verwaltung und alle Diensträume enthielt; jeder Flügel hatte seinen riesigen Hof, seine Werkstätten, seine Nebengebäude aller Art. Doch bei seiner eigenen Vorliebe für das Große und Pomphafte begeisterte ihn vor allem der Luxus, der hier entfaltet wurde: die Größe des Bauwerks, aus einem Material errichtet, das die Jahrhunderte überdauern würde; der verschwendete Marmor, die mit Fayencefliesen ausgekleidete Küche, in der man einen Ochsen hätte braten können, die riesigen, mit Eichenholz getäfelten Speisesäle, die lichtüberfluteten, hell gestrichenen Schlafräume, die Wäscherei, der Baderaum, die mit allen nur erdenklichen Raffinements ausgestattete Krankenstation; und überall breite Nebenausgänge, Treppen, Flure, die im Sommer belüftet und im Winter beheizt wurden; das ganze Haus war in Sonnenschein getaucht und kündete von jugendlicher Fröhlichkeit und dem Wohlbehagen eines großen Vermögens. Als der Architekt, der diese ganze Herrlichkeit unnütz fand, unruhig wurde und von den Ausgaben sprach, schnitt ihm die Fürstin das Wort ab: sie habe den Luxus gehabt und wolle ihn nun den Armen geben, damit sie, die den Luxus der Reichen schaffen, ihn ihrerseits genießen sollten. Ihre fixe Idee bestand in dem Traum, die Elenden mit Wohltaten zu überhäufen, sie in die Betten der Glücklichen dieser Welt zu legen, sie an ihre Tafel zu setzen; nicht mehr das Almosen einer Brotkruste, eines elenden Nachtlagers sollte es sein, sondern das großzügige Leben in Palästen, in denen sie sich zu Hause fühlen, in denen sie sich rächen und die Genüsse von Siegern auskosten konnten. Nur wurde sie bei dieser Verschwendung und den extrem hohen Kostenanschlägen abscheulich bestohlen. Ein Schwarm von Unternehmern lebte von ihr, ganz zu schweigen von den Verlusten, die durch mangelhafte Aufsicht verursacht wurden. Man vergeudete das Gut der Armen. Und Saccard öffnete ihr die Augen, als er sie bat, ihn die Abrechnungen überprüfen zu lassen, was er übrigens völlig uneigennützig tat, einzig um des Vergnügens willen, diesen tollen Tanz der Millionen zu regeln, der ihn begeisterte. Nie hatte er sich so peinlich korrekt gezeigt. Er war in diesem komplizierten Riesengeschäft der wendigste und rechtschaffenste Mitarbeiter, der seine Zeit und sogar sein Geld hingab und einfach nur durch die Freude belohnt wurde, daß diese beträchtlichen Summen durch seine Finger gingen. Im »Werk der Arbeit« kannte man fast nur ihn; die Fürstin ließ sich dort nie sehen, wie sie auch ihre anderen Gründungen nicht besuchte; gleich der unsichtbaren guten Fee blieb sie in der Tiefe ihrer drei kleinen Zimmer verborgen. Er aber, der Angebetete, wurde dort gesegnet und mit der ganzen Dankbarkeit überhäuft, die sie abzulehnen schien.

      Zweifellos trug sich Saccard seit jener Zeit mit einem vagen Plan, der jetzt, da er als Mieter im Palais dʼOrviedo wohnte, eine klare und deutliche Wunschvorstellung geworden war. Warum sollte er sich nicht ganz der Verwaltung der guten Werke der Fürstin widmen? In der Stunde des Zweifels, die er durchlebte, als er von der Spekulation besiegt war und nicht wußte, wie er wieder reich werden könnte, erschien ihm das als eine neue Inkarnation, als ein plötzlicher Aufstieg zur Gottheit: der Verteiler dieser königlichen Barmherzigkeit werden, diesen Goldstrom lenken, der sich über Paris ergoß. Die Fürstin hatte noch zweihundert Millionen – wieviel Werke konnte man da noch schaffen, was für eine Stadt des Wunders aus dem Boden stampfen! Ganz davon zu schweigen, daß er diese Millionen Früchte tragen lassen, sie verdoppeln, verdreifachen würde, sie so gut zu verwenden wüßte, daß er eine Welt daraus gewinnen konnte. In seiner leidenschaftlichen Vorstellung wurde alles noch größer, er lebte nur noch in dem berauschenden Gedanken, die Millionen als Almosen ohne Ende auszuteilen, das glückliche Frankreich mit ihnen zu überschwemmen, und er wurde gerührt bei dem Gedanken an seine vollkommene Rechtschaffenheit, denn nicht ein Sou sollte in seinen Fingern bleiben. Und dieser Gedanke wuchs sich in seinem Kopf zur Vision von einem riesigen Idyll aus, dem Idyll eines Mannes, den kein schlechtes Gewissen drückte, nicht der leiseste Wunsch, sich von seinen alten Geldräubereien loszukaufen. Um so mehr, als am Ende der Traum seines ganzen Lebens winkte, die Eroberung von Paris. Der König der Barmherzigkeit, der von der Menge der Armen angebetete Gott sein, einzigartig und volkstümlich werden, daß sich die Welt mit ihm beschäftigte – das überstieg noch seinen Ehrgeiz. Was für Wunder würde er vollbringen, wenn er seine Fähigkeiten als Geschäftsmann, seine Hinterlist, seinen Eigensinn, seinen völligen Mangel an Vorurteilen darauf verwandte, gut zu sein! Und er besäße die unwiderstehliche Kraft, die die Schlachten gewinnt, das Geld, Truhen voll Geld – Geld, das oft soviel Böses schafft und das soviel Gutes schaffen könnte an dem Tage, da man seinen Stolz und sein Vergnügen dafür einsetzte!

      Dann erweiterte Saccard seinen Plan noch und fragte sich schließlich, warum er die Fürstin dʼOrviedo nicht heiraten sollte. Das würde die Verhältnisse klären und die bösen Auslegungen verhindern. Einen Monat lang ging er geschickt und listig zu Werke, legte prächtige Pläne dar, glaubte sich unentbehrlich zu machen; und eines Tages brachte er mit ruhiger, unbefangener Stimme seinen Vorschlag vor und entwickelte sein großes Vorhaben. Er bot eine richtige Partnerschaft an, er würde den Liquidator der vom Fürsten gestohlenen Summen

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