Die zweite Frau. Eugenie Marlitt
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Währenddem stand Baron Mainau, seinen Knaben an der Hand, am Ufer und beobachtete, scheinbar amüsiert, den Tumult bei der Wagenburg. Man hatte ihn beglückwünscht; aber es war wie eine Lähmung über die gesamte Hofgesellschaft gekommen – er sah sich sehr rasch allein. Da stand plötzlich Rüdiger an seiner Seite.
»Eine furchtbare Rache! Eine eklatante Revanche!« murmelte der Kleine – in seiner Stimme bebte noch eine Schwingung des Schreckens. »Brr – ich sage mit Gretchen: ›Heinrich, mir graut vor dir!‹ ... Gott steh' mir bei! Sah man je einen Menschen, der seinem gekränkten Mannesstolze so grausam, so raffiniert, so unversöhnlich ein Opfer hinschlachtete, wie du eben gethan? ... Du bist tollkühn, entsetzlich –«
»Weil ich in nicht ganz gewöhnlicher Form, zur geeigneten Zeit erklärt habe: ›Nun will ich nicht?‹ ... Glaubt ihr, ich werde mich heiraten lassen?«
Der kleine Bewegliche sah ihn eingeschüchtert von der Seite an – dieser sonst so formvollendete Mainau war doch manchmal zu rauh, um nicht zu sagen grob. »Mein Trost dabei ist, daß du unter den grausamen Maßregeln deines unbändigen Stolzes selbst schwer leidest,« sagte er nach einem kurzen Schweigen, doch fast trotzig.
»Du wirst mir zugeben, daß ich das einzig und allein mit mir auszumachen habe.«
»Mein Gott, ja! ... Aber nun – was nun weiter?«
»Was weiter?« lachte Mainau. »Eine Hochzeit, Rüdiger.«
»Wahrhaftig? ... Du hast ja nie in diesem Rudisdorf verkehrt – ich weiß es ganz genau ... Also eine schleunigst acquirierte Braut aus dem Almanach de Gotha?«
»Erraten, Freund.«
»Hm – von erlauchtem Geschlecht ist sie, aber, aber – Rudisdorf ist, wie man weiß, jetzt – verödet ... Wie sieht sie denn aus?«
»Guter Rüdiger, sie ist eine Hopfenstange von zwanzig Jahren mit rotem Haar und niedergeschlagenen Augen – mehr weiß ich auch nicht. Ihr Spiegel wird das besser wissen ... Bah, was liegt daran? ... Ich brauche weder eine schöne, noch eine reiche Frau; nur tugendhaft muß sie sein – sie darf mich nicht inkommodieren durch Handlungen, für die ich mit einstehen müßte – du kennst ja meine Ansichten über die Ehe.«
Jenes stolz grausame Lächeln, das vorhin die Herzogin erbleichen gemacht, zuckte wieder über sein Gesicht hin – offenbar in der Erinnerung an die »eklatante Revanche«.
»Was bleibt mir übrig?« sagte er nach kurzem Schweigen mit frivoler Leichtigkeit. »Der Onkel hat mir Leos Hofmeister Knall und Fall fortgejagt, weil er nachts im Bette las und konsequent knarrende Stiefel trug, und die Erzieherin hat die üble Gewohnheit, entsetzlich zu schielen und im Vorübergehen Konfekt von den Platten zu naschen – sie ist unmöglich. Ich aber will in der Kürze nach dem Orient gehen, ergo – brauche ich eine Frau daheim ... In sechs Wochen vermähle ich mich – willst du mein Trauzeuge sein?«
Der Kleine trippelte von einem Fuß auf den anderen. »Was will ich denn machen? Ich muß wohl,« versetzte er endlich halb zornig, halb lachend; »denn von denen dort« – er deutete nach einer Gruppe flüsternder und herüberschielender Kavaliere – »geht dir keiner mit – darauf kannst du dich verlassen.«
»Du, Gabriel,« sagte gleich darauf der kleine Leo aufgeregt zu dem weißgekleideten Knaben, »die neue Mama, die kommt, ist eine Hopfenstange – hat der Papa gesagt – und rote Haare hat sie wie unser Küchenmädchen ... Ich kann sie nicht leiden; ich will sie nicht haben – ich schlage mit der Gerte nach ihr, wenn sie kommt.«
3.
»Liane, da sieh her! Raouls Brautgeschenk! – Sechstausend Thaler wert!« rief die Gräfin Trachenberg in das Zimmer herein – dann rauschte die über die Schwelle.
Der Salon, in welchen sie trat, lag parterre in einem Seitenflügel des stolzen Schlosses. Seine ganze Vorderseite sah aus wie eine riesige, hier und da von feinem Bleigeäder und sehr schmalen Thürpfeilern unterbrochene Glasscheibe, welche einzig und allein das Fußgetäfel des Zimmers von der draußen in grandiosem Stil sich hinbreitenden Terrasse schied. Ueber das Terrassengeländer hinaus sah man auf breite Rasenflächen, durchschnitten von Kieswegen, deren Kreuzpunkte weiße Marmorgruppen bezeichneten. Dieses elegante Parterre umschloß ein Gehölz, scheinbar undurchdringlich wie ein Wald und gerade der Mittelthür des Salons gegenüber von einer schnurgeraden, fast endlos tiefen Allee durchlaufen, welche ein hochaufspringender, im Maienlicht funkelnder Wasserstrahl vor dem fernen blauduftigen Höhenzug abschloß.
Das Ganze – Schloß und Garten – war ein Meisterstück in altfranzösischem Geschmack; aber ach – aus dem Steingefüge der Terrasse stiegen keck und verwegen ganze Schwärme gelber Mauerblümchen, und die unvergleichlich schön modellierten Rasenflächen sträubten sich in despektierlich wuchernden Unkrautbüschen und fingen an, in die Wege auszulaufen; die breite Kiesbahn der Allee aber deckte bereits das intensivste Smaragdgrün ... Und auf was alles mußten erst die prachtvollen Stuckfiguren des Plafonds im Gartensalon niedersehen! ... Sie waren abscheulich blind und wackelig, diese Rokokomöbel an den Wänden; sie waren vor langen Zeiten als unmodern aus den brillanten Schloßräumen verstoßen worden und hatten alle Stadien der Demütigung durchlaufen müssen bis in die Stallknechtstuben hinab, wo sie dem Sand und Strohwisch verfielen und abgescheuert wurden ... Nun standen sie wieder da auf dem Parkett, hohnlächelnde Zeugen der unerbittlichen Konsequenzen eines herausgeforderten Schicksals. Alle die Prachtmöbel, die sie einst verdrängt, die kostbaren Spitzengardinen, die Bilder, Uhren, Spiegel, die nach ihnen gekommen, waren dem Hammer verfallen – sie wanderten hinaus nach allen vier Winden, und nur das alte verachtete Gerümpel durfte bleiben und wurde ängstlich reklamiert; denn es gehörte zum Fideikommiß und durfte nicht verkauft werden, als – die Sequestration über sämtliche Güter des Grafen Trachenberg verhängt wurde. Das war vor vier Jahren geschehen – »ein schmachvolles Zeichen der ruchlosesten Zeit, ein empörender Sieg des Kapitals über das Ideale, den ein gerechter Himmel nie hätte zugeben sollen,« sagte die Gräfin Trachenberg immer.
Inmitten des Gartensalons stand eine lange eichene Tafel, an deren einem Ende eine Dame von auffallender Häßlichkeit saß. Fast schreckerregend wirkte der große Kopf mit dem starren, entschieden roten Haar und der vollkommensten Negerphysiognomie unter der zwar zarten, weißen, aber mit Sommersprossen bedeckten Haut. Nur die Hände, die so emsig arbeiteten, waren von leuchtender Schönheit, wie Marmorgebilde. Sie drehte einen blauen Syringenzweig zwischen den Fingerspitzen – man meinte, der Duft müsse von der Blütendolde fliegen und das Zimmer erfüllen, so frisch gebrochen schwankte sie am Stengel; aber dieser Stengel wurde eben mit einem feinen, grünen Papierstreifen umwickelt – es war eine künstliche Blume.
Beim Eintritt der Gräfin Trachenberg fuhr die Dame erschrocken zusammen; die Blume flog auf die Werkzeuge, und mit eiligen Händen wurde ein weißes Tuch über die Zeugen der Arbeit geworfen.
»Ach – die Mama!« stieß ein junges Mädchen halb murmelnd heraus. Es stand am anderen Ende der Tafel, mit dem Rücken zur Thür. Ueber diesen Rücken hinab