Die zweite Frau. Eugenie Marlitt
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Bei diesem Anblick hemmte die Gräfin einen Moment ihre Schritte.
»Weshalb so derangiert?« fragte sie kurz, nach dem aufgeflochtenen Haar deutend.
»Ich habe heftige Kopfschmerzen mit heimgebracht, liebe Mama, und da hat mir Ulrike die Flechten gelöst,« antwortete die junge Dame mit einem Anflug von Aengstlichkeit in der Stimme. »Ach, es ist eine entsetzliche Last!« seufzte sie auf und hing den Kopf in den Nacken, als gebe sie der Wucht nach.
»Du warst wieder einmal draußen im Sonnenbrand und hast zum Gaudium der Bauern Unkraut heimgeschleppt?« fragte die Gräfin streng und hohnvoll zugleich. »Wann endlich wird die Kinderei aufhören?« Sie zuckte die Achseln und ließ einen verachtungsvollen Blick über die Tafel gleiten. Da lagen ganze Stöße neben einer Pflanzenpresse – die junge Dame hatte eben mit vorsichtigen Fingern einige Orchideen aus der Botanisiertrommel genommen, um sie zwischen Papier zu legen.
Ihro Erlaucht, die Gräfin Trachenberg, geborene Prinzessin Lutowiska, wußte sehr genau, saß ihre älteste Tochter, Gräfin Ulrike, künstliche Blumen fertigte, die als Modelle nach Berlin wanderten und gut bezahlt wurden; das Geschäft ging durch die Hand der alten verschwiegenen Amme, und niemand ahnte die Grafenkrone über der Stirn der gesuchten Künstlerin ... Der Frau Gräfin war es auch nicht verschwiegen geblieben, daß ihr einziger Sohn, der Erbherr von Trachenberg, das verachtete Unkraut, im Verein mit seiner Schwester Juliane, vortrefflich präparierte und als Sammlung einheimischer Pflanzen – unter angenommenen Namen – nach Rußland verkaufte. Aber eine geborene Prinzessin Lutowiska durfte das nicht wisse – wehe der Hand, die sich beim Blumenmachen ertappen ließ, wehe der Zunge, die ein Wort über den Ursprung des erhöhten Einkommens fallen ließ – es war ja alles eitel Spielerei, zu der man ein Auge zudrücken mußte, und damit basta!
Die Dame griff im Nähertreten nach dem Haar des jungen Mädchens und wog »die entsetzliche Last« auf der Hand – etwas wie eine Regung mütterlichen Stolzes flog über das schöne, scharf gezeichnete Gesicht.
»Raoul müßte das sehen,« warf sie hin. »Thörin, deinen schönen Schmuck hast du vor ihm versteckt! … die dicken Samtschleifen, mit welchen du die Albernheit hattest, dich ihm zu präsentieren, werde ich dir nie vergessen … Mit solchem Haar –«
»Es ist ja rot, Mama.«
»Geschwätz! – Das ist rot,« sagte sie und deutete auf ihre Tochter Ulrike. »Gott soll mich bewahren – Zwei Rotköpfe! Wofür so viel Strafe?«
Gräfin Ulrike, die unterdes eine Wollstickerei aus der Tasche gezogen hatte, saß bei diesen unbarmherzigen Worten da wie eine Statue. Sie zuckte mit keiner Wimper – die schöne Mutter hatte ja recht. Ihre Schwester aber flog zu ihr hin, legte den geschmähten Kopf sanft an ihre Brust und küßte unter leisen Wehelauten wiederholt und zärtlich den roten Scheitel.
»Sentimentalitäten und kein Ende!« murmelte die Gräfin Trachenberg verdrießlich und legte das Paket, das sie mitgebracht hatte, auf die Tafel. Sie griff nach einer Schere und löste mit einigen raschen Schnitten die Emballage – sie enthielt ein Schmucketui und einen weißen Seidenstoff mit eingewirkten großen Silberarabesken.
Mit einer wahren Gier öffnete die Dame das Etui – sie bog den Kopf mit prüfendem Blick zurück und konnte ein Gemisch von unangenehmer Überraschung und hervorbrechendem Neid kaum bemeistern.
»Sie, sieh! Mein einfaches Gänschen wird fürstlicher an den Altar treten, als einst die hochgefeierte Prinzeß Lutowiska,« sagte sie langsam und betonend und ließ ein Halsband von Brillanten und großen Smaragden in der Sonne glänzen. »Ja, ja, die Mainaus können das! … Euer Vater war doch ein armer Schlucker – ich hätte das schon damals merken können.«
Ulrike fuhr empor, als sei sie von der Mutter ins Gesicht geschlagen worden; aus den unschön durch wuchtige Lider gedrückten, aber scharfen blauen Augen brach ein Strahl der tieffsten Empörung, gleichwohl zog sie sofort wieder scheinbar ruhig den grünen Wollfaden durch das Gewebe und sagte mit ernster, fast monotoner Stimme: »Die Trachenbergs besaßen damals ein unbelastetes Vermögen von einer halben Million. Sie waren von jeher ein sparsames haushälterisches Geschlecht, und mein lieber Papa ist diesen Tugenden treu geblieben bis zu seinem vierzigsten Jahre, wo er sich verheiratete … Ich habe beim Konkurs mit den Herren vom Amte gearbeitet, um Licht in das Chaos zu bringen – ich weiß, daß Papa nur durch grenzenlose Nachgiebigkeit verarmt ist.«
»Unverschämte!« brauste die Gräfin auf und holte unwillkürlich aus zum Schlag; aber mit einer verächtlichen Gebärde ließ sie die Hand wieder sinken. »Immerhin vertritt du deine Trachenbergs – ich habe keinen Teil an dir, als daß ich dir das Leben geben mußte. Du wirst das am besten finden, wenn du drüben die Galerie deiner Ahnen musterst – rothaarige Affengesichter vom Anfang bis zum Ende! Ich habe nicht umsonst geweint und – geflucht, als mir vor dreißig Jahren das neugeborene kleine Scheusal, eine echte Trachenberg, in die Arme gelegt wurde.«
»Mama!« schrie Liane auf.
»Ruhig, ruhig, Kind!« beschwichtigte sie sanft lächelnd, aber doch mit bebenden Lippen die Schwester. Sie rollte ihre Stickerei zusammen und erhob sich. Beide Schwestern waren von gleicher Größe – es waren weit die Mittelgröße überragende, sylphenhafte Gestalten mit edel schönen Händen und Füßen, feiner, schmiegsamer Taille und zart mädchenhaften Konturen und Büste.
Ulrike entfaltete, während ihre Mutter das Kästchen mit dem Schmuck grollend auf die Tafel warf, hastig den Seidenstoff. Steif und schwer, wie nur je ein Brokat aus den Zeiten unserer Urgroßmütter, entglitt er ihren Händen und fiel förmlich klirrend und zischend auf das Parkett. Mit einem erschrockenen Blick auf die wogende Silberpracht wandte sich Liane ab und sah so angelegentlich hinaus in den Garten, als gelte es, die niedersprühenden Goldfunken der fernen Fontäne zu zählen.
»Du wirst eine majestätische Braut sein, Liane … Wenn Papa das sehen könnte!« rief Ulrike.
»Raoul verhöhnt uns,« murmelte tief verletzt das junge Mädchen.
»Er verhöhnt uns?« fuhr Gräfin Trachenberg auf, deren scharfes Ohr die halbgeflüsterten Laute erfangen hatte. »Bist du von Sinnen? Und willst du wohl die Freundlichkeit haben, mich zu belehren, inwiefern er sich unterfängt, die Trachenbergs zu verhöhnen?«
Liane deutete auf die zerschlissenen, mißfarbenen Bezüge der alten Lehnstühle, neben denen das pompöse Brautkleid lag. »Läßt sich ein schärferer Kontrast denken, Mama? Ist das nicht taktlos herablassend, der – Armut gegenüber?« versetzte sie, indem sie sich bemühte, ihrer Furcht vor der leidenschaftlichen Mutter Herr zu werden.
Die Gräfin Trachenberg schlug die Hände zusammen. »Gott sei's geklagt – wie komme ich, gerade ich zu solchen spießbürgerlichen Hohlköpfen, die an die Hoheit ihrer Stellung die Elle des Krämers anlegen? … Herablassend! Und das sagt eine Trachenberg! … Du steigst herab zu den Mainaus – das merke dir! … Muß ich dir wirklich erzählen, daß deine Mutter direkt von den alten polnischen Königen abstammt, und daß deine väterlichen Vorfahren schon lange vor den Kreuzzügen gebietende Herren waren? … Und wenn Raoul alle Schätze der Welt dir vor die Füße schüttete, er kann dir den Vorrang der hohen makellosen Geburt nicht abkaufen … Er hat keine zehn Ahnen – ja, es ist halb und halb eine Mesalliance, die du eingehst, und wäre es mit nicht ein zu widerwärtiger Gedanke, zwei sitzengebliebene Töchter im Hause zu haben, dann hätte ich sicher seine Werbung zurückgewiesen. Er weiß das auch recht gut, sonst nähme er dich nicht so – so unbesehen.«
Die junge Dame blieb mit gefaltet niedergesunkenen Händen regungslos stehen. Das rotgoldene Haargewoge