Die zweite Frau. Eugenie Marlitt
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»Ah – also doch wenigstens in einem dieser Köpfe ein Funken von Vernunft, ein schwaches Aufdämmern von Standesbewußtsein!« Sie stieß ein häßliches Gelächter aus und schleuderte den schweren Band mit einer solchen Gewalt weit von sich, daß er klirrend durch die Glaswand hinaus auf die Steinfliesen der Terrasse flog.
»Dahin gehört die Sudelei!« sagte sie und zeigte auf das Buch, das breit aufgeschlagen liegen blieb und die reizend ausgeführte Zeichnung einer vorweltlichen Farnenform sehen ließ. – »O dreifach glückliche Mutter, welch einem Sohn gabst du das Leben! Zu feig, um Soldat zu werden, zum Diplomaten zu geistlos, geht der Nachkomme der Fürsten Lutowiski, der letzte Graf Trachenberg, unter – die Buchmacher und läßt sich Honorar zahlen!«
Liane umschlang in leidenschaftlichem Schmerze die schmalen Schultern ihres Bruders, der sichtlich mit sich kämpfte, um angesichts dieser Schmähungen die äußere Ruhe zu bewahren.
»Mama, wie kannst du es über das Herz bringen, Magnus so zu beleidigen?« zürnte das junge Mädchen. »Feig nennst du ihn? – Er hat mich vor sieben Jahren unter eigener Lebensgefahr drüben aus dem See gezogen. Ja, er hat sich entschieden geweigert, Soldat zu werden, aber nur, weil sein mildes, weiches Herz das Blutvergießen verabscheut ... Zum Diplomaten fehlt ihm der Geist, ihm, dem unermüdlichen, tiefen Denker? O Mama, wie grausam und ungerecht bist du! Er haßt nur das Doppelzüngige und will seinen edlen, wahrhaftigen Geist nicht durch die Schachzüge der Diplomatenkünste entweihen ... Ich bin auch stolz, sehr stolz auf unser altberühmtes Geschlecht; aber ich werde nie begreifen, weshalb der Edelmann nur mit dem Schwert oder der glatten Diplomatenzunge ein Edelmann sein soll –«
»Und dann frage ich,« fiel Ulrike mit ernsthaftem Nachdruck ein – sie war hinausgetreten und hatte das mißhandelte aufgenommen – »was ist ehrenvoller für den Namen Trachenberg: daß er einer wohlgelungenen Geistesthat voransteht, oder – daß er in der Reihe der Ueberschuldeten zu finden ist?«
»O du, du –« zischte die Gräfin fast wortlos vor innerem Grimm, »du Geisel meines Lebens!« Sie fuhr einigemal wie rasend im Salon auf und ab. »Uebrigens sehe ich nicht ein, was mich zwingt, ferner mit dir zu leben,« sagte sie, plötzlich stehenbleibend, unheimlich ruhig. »Du bist längst über die Zeit hinaus, wo das Küchlein von Anstands wegen unter die Flügel der Mutter gehört. Ich habe dich lange genug ertragen und gebe dir Urlaub, unbeschränkten Urlaub. Mache meinetwegen eine langjährige Besuchsreise durch die ganze Sippe – gehe wohin du willst, nur spute dich, daß mein Haus rein wird von deiner Gegenwart!«
Graf Magnus ergriff die Hand der verstoßenen Schwester. Die drei Geschwister standen innig vereint der herzlosen Frau gegenüber.
»Mama, du zwingst mich, zum erstenmal mein Recht als Erbherr von Rudisdorf zu betonen,« sagte der stille, sanfte Gelehrte mit vor Aufregung tiefgerötetem Gesicht. »Den Gläubigern gegenüber habe nur i c h Anspruch auf eine Wohnung im Schlosse und auf das Einkommen, das sie verwilligt ... Die Heimat kannst du Ulrike nicht nehmen – sie bleibt bei mir.«
Die Gräfin wandte ihm dem Rücken und schritt nach der Thür, durch die sie gekommen. Der Sohn war so vollkommen in seinem Rechte, daß sich auch nicht ein Wort gegen seine ernste Erklärung finden ließ. Sie legte die Hand auf den kreischenden Drücker, drehte sich aber noch einmal um.
»Daß du dich nicht unterstehst, auch nur einen Groschen von dem Judasgelde unter die Haushaltskasse zu mischen!« befahl sie Ulrike und zeigte nach dem auf dem Sofa liegenden fünfhundert Thalern. »Ich verhungere lieber, ehe ich einen Bissen anrühre, der mit dem Gelde bezahlt ist ... Den Wein löse ich aus. Gott sei Dank, ich habe noch Silberzeug genug aus dem Schiffbruch gerettet! Mag man das Gerät, von welchem meine Vorfahren speisten, einschmelzen – den Schmerz darüber wiegt das Bewußtsein auf, daß ich meine Gäste auf echt fürstliche Weise, und nicht mittels eines Arbeiterhonorars bewirte ... Dich aber wird die Strafe schon ereilen,« wandte sie sich an Liane, »und zwar dafür, daß auch du Front gegen deine Mutter machst! Komme du nur nach Schönwerth! Raoul, noch mehr aber der alte Onkel Mainau werden dir deinen Sentimentalitäts- und Gelehrtenkram schon austreiben.«
Sie rauschte hinaus und warf die Thür so hart ins Schloß, daß der Schall noch an der Steinwölbung der fernsten Korridore schütternd hinlief.
4.
Seit diesem Auftritt im Schloß Rudisdorf waren fünf Wochen verstrichen. Man machte Vorbereitungen zur Hochzeit. Vor sechs Jahren noch wäre das prächtige Schloß bei einer solchen Veranlassung ein wimmelnder Ameisenhaufen gewesen, denn die Frau Gräfin hatte es verstanden, so viel bedienende Hände um sich her in Thätigkeit zu versetzen, wie kaum ein indischer Radscha. Vor sechs Jahren noch hätten blendende Märchenpracht, licht- und lufttrunkene Wogen berauschender Feste dem Freier eine blonde Fee zugetragen – heute holte er die Braut aus verlassenen Gärten, die der Wildnis entgegenwucherten, aus dem statuengeschmückten Steinkoloß, wo die Schemen verrauschter Freuden, hinter Marmorsäulen hockend, sich von den Spinnen mit schmutzigen Schleiern verhängen ließen ... Im großen Saal hatte der Gutspächter Getreide aufgeschüttet; auf allen Fenstern lagen die weißen Läden, und wo ein Lichtstrahl eindrang, da fiel er auf ungefegtes Parkett und vollkommen leere Wände.
Es war gut, daß die erlauchten Herren, im Eisenhut und Panzerhemd, oder auch das federgeschmückte Barett auf den rothaarigen Köpfen, zwischen den glänzenden Marmorplatten der Ahnengalerie eingefügt, an den Wänden stillstehen mußten, daß ihre stolzblickenden Frauen und Töchter in Stuartkragen und starrer Goldstoffschleppe nicht hinunterrauschen konnten in den Gartensalon – sie hätten sicher den blinkenden Pfauenwedel oder die steifblättrige Rose aus den bleichen Händen fallen lassen und sie über dem Kopfe zusammengeschlagen; denn da kniete Ulrike – die echte Trachenberg, wie die Gräfin immer sagte – sie hatte die mottenzerfressenen Bezüge von den Sofas und Lehnstühlen gerissen und schlug mit eigenen gräflichen Händen die Nägel in den großblumigen Zitz, der neuglänzend die Polster deckte. Die alte Lene aber rieb und bohrte das wurmstichige Holz der Möbel, bis ein matter Glanz unter ihren Fäusten entstand und die Linien der eingefügten Prachtmuster schattenhaft hervorkamen. Dank dem rechtzeitig eingetroffenen Buchhändlerhonorar standen auch neue zierliche Sessel und Blumentische von Korbgeflecht umher. Nun stieg Epheugespinst an den weißen Wänden empor, und aus Gruppen breiter Blattpflanzen hingen Draperien von Clematis und Immergrün auf das Parkett herab. Ein Odem von behaglicher Traulichkeit durchwehte den erst so kahlen Salon, und das war notwendig, denn hier sollte das Hochzeitsfrühstück eingenommen werden.
Während dieser Vorkehrungen schweifte Liane mit Botanisierbüchse und Grabscheit an der Seite ihres Bruders durch Wald und Feld, als habe sie mit der ganzen Angelegenheit nichts zu schaffen. Der Bruder vergaß über allen Wundern der Schöpfung, daß sein kleiner Famulus am längsten mit ihm zusammen gelebt und gestrebt habe, und von den Lippen der Schwester kamen geläufig lateinische Namen und kritische Bemerkungen, nie aber auch nur der Name des fernen Verlobten. Es war ein seltsamer Brautstand.
Im Elternhause hatte Liane wohl manchmal die Mainaus nennen hören – ein Lutowiski hatte eine Mainau heimgeführt –, aber nie hatte ein persönlicher Verkehr mit den entfernten Verwandten stattgefunden. Da waren plötzlich Briefe aus Schönwerth an die Gräfin Trachenberg eingelaufen, die eifrig beantwortet wurden, und eines Tages kündigte Ihro Erlaucht der jüngsten Tochter kurz und bündig an, daß sie über deren Hand verfügt und sie dem Vetter Mainau zugesagt habe, wobei die jeden etwaigen Widerspruch mit der Bemerkung abschnitt, daß sie genau auf dieselbe Weise verlobt worden und dies die einzig standesgemäße Form sei ... Dann war der Bräutigam unerwartet gekommen, Liane hatte kaum Zeit gefunden, ihr von Wind und Gesträuch zerwühltes Haar unter den berüchtigten Samtschleifen zu verbergen, da war sie schon in das Zimmer der Mutter befohlen worden. Wie dann alles gekommen, wußte