Die zweite Frau. Eugenie Marlitt
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Читать онлайн книгу Die zweite Frau - Eugenie Marlitt страница 10
»Was verstehen Sie darunter, Tante?« fragte er, sofort seinen Schritt hemmend, mit mißtrauischem Blicke und in sehr scharfem Tone. »Halten Sie mich für so plump und taktlos, daß ich gegenüber meiner Frau, der Trägerin meines Namens, jemals die schuldige Artigkeit aus den Augen setzen könnte? ... Wollen Sie aber mehr, dann ist es gegen die Abrede. – Ich brauche eine Mutter für meinen Knaben und eine Herrin für mein Haus, die mich in meiner Abwesenheit vertritt – und ich werde viel, sehr viel abwesend sein. Das alles wissend, haben Sie mir Juliane als ein sanftes, weibliches Wesen zugesagt, das sich vortrefflich in die Stellung finden werde ... Liebe kann ich ihr nicht geben; ich bin aber auch gewissenhaft genug, in ihrem Herzen keine wecken zu wollen.«
Schmerzlich aufweinend breitete Ulrike ihre Arme aus und zog die Schwester an ihr Herz.
»Um Gott – ereifere dich doch nicht, Raoul!« bat eingeschüchtert die Gräfin drunten. »Du hast mich völlig mißverstanden. Wer spricht denn von einem so sentimentalen Verhältnis? Das könnte doch mir am allerwenigsten einfallen ... Ich appelliere einfach an deine Nachsicht. Du hast ja heute selbst gesehen, wie weit das ›ewig Weibliche‹ in seiner Bescheidenheit gehen kann – uns einen solchen Streich zu spielen mit der Brauttoilette!«
»Lassen Sie das, Tante – Juliane kann darin handeln, wie sie Lust hat. Wenn sie sich in die Verhältnisse zu schicken weiß –«
»Dafür stehe ich ein ... Gott – es ist ja so unsäglich traurig, es ausprechen zu müssen – aber Magnus ist eine Schlafmütze, ein Mann ohne alle Energie, eine Null, allein was ich an ihm verabscheue, das ziert seine Schwester – Liane ist ein unbeschreiblich harmloses Kind, und wenn erst Ulrike, der böse Geist meines Hauses, nicht mehr auf sie einzuwirken vermag, dann kannst du sie um den Finger wickeln.«
»Mama ist sehr rasch in ihrem Urteil,« sagte Liane bitter, während die Schritte der Sprechenden drunten sich immer weiter entfernten. »Sie hat sich nie Mühe gegeben, einen Blick in mein Seelenleben zu werfen – wir waren zu allen Zeiten Fremden überlassen ... Warum weinst du, Ulrike ... Wir dürfen auf den kalten Egoisten da unten keinen Stein werfen – habe ich denn mein Herz befragt, als ich meine Hand in die seinige legte? Ich habe ›Ja‹ gesagt aus Furcht vor Mama –«
»Und aus Liebe zu mir und Magnus,« ergänzte Ulrike mit so tonloser Stimme, als sei sie für immer gebrochen an Leib und Seele. »Wir haben alles aufgeboten, dich zu überreden; wir wollten dich retten aus der Hölle unseres Hauses und sind nicht einen Augenblick im Zweifel gewesen, daß du Liebe finden müßtest, wohin du auch kämest – und nun wird sie dir so systematisch verweigert ... Du, so jung –«
»So jung? ... Ulrike, ich werde im nächsten Monat einundzwanzig Jahre alt; wir haben viel Bitteres und Schmerzliches zusammen verlebt – ich bin durchaus nicht das Kind an Erfahrung und Lebensanschauung, als welches Mama mich eben hingestellt hat ... Laß mich ohne Sorge mit Mainau gehen – ich will seine Liebe nicht, und bin stolz genug, ihn darüber nie im Zweifel zu lassen. Meine Institutszeugnisse bezüglich der Sprachfertigkeit geben mir sehr viel Mut – die Baronin Mainau zieht heute in Schönwerth ein, in Wahrheit aber nur die Erzieherin des kleinen Leo. Ich habe dann einen edlen Wirkungskreis und kann vielleicht manches Gute stiften – mehr will ich nicht für mein ganzes Leben ... Lasse und jetzt Abschied nehmen, Ulrike – bleibe hier bei Papa, während ich das Haus verlasse!«
Sie umarmte die zurückbleibende Schwester wiederholt und stürmisch, dann flog sie, ohne noch einmal die Augen zurückzuwenden, durch die Marmorgalerie hinüber in das Wohnzimmer ihrer Mutter. Dort stand Magnus am Fenster und sah nach dem Wagen, der bereits am Fuße der Freitreppe hielt; die Gräfin Trachenberg kam eben mit den drei Herren über den Schloßhof her. Es war gut, daß sie nicht sehen konnte, wie ihr Sohn, die »Schlafmütze«, der »Mensch ohne alle Energie«, bitterlich weinend die Schwester umfangen hielt – wie würde sie gezürnt haben über diesen herzzerreißenden Abschied, der »so wenig standesgemäß« war!
Liane stieg mit festen Schritt, den Schleier über das Gesicht gezogen, die Treppe hinab. »Geh mit Gott und meinem Segen, liebes Kind!« sagte die Gräfin mit theatralischer Gebärde und ließ die Hand einen Moment über dem Haupte der Tochter schweben; dann hob sie den Schleier empor und berührte die weiße Stirn der jungen Frau mit kühlen Lippen.
Wenige Minuten darauf rollte der Wagen auf der Chaussee, die nach der nächsten Eisenbahnstation führte.
5.
Nach vierstündiger Fahrt stiegen die Reisenden auf dem Bahnhof der Residenz aus. Hier trat bereits das neue Leben in all seinem Glanz an die junge Frau heran. Die Equipage, die sie erwartete, um sie nach dem eine Stunde entfernten Schönwerth zu bringen, fiel auf durch das Feenhafte ihrer ganzen Ausstattung – man mußte sich sofort sagen, da der mattsilbern schimmernde, milchweiße Atlas im Fond nur bestimmt sein könne, eine junge, verwöhnte Schönheit zu umschmiegen – das staubgraue, schlichte Reisekleid der jungen Dame, die sich still gelassen in die Ecke zurücklehnte, sah demnach fast aus wie die dürftige Hülle eines Köhlerkindes, das ein verliebter Märchenprinz im Walde aufgelesen hat und in sein Schloß entführt.
Während Herr von Rüdiger den Platz neben Liane einnahm, schwang sich der Baron Mainau auf den Bock und ergriff die Zügel. Er saß stolz nachlässig droben; das von im beherrschte Gespann aber brauste wie tollkühn die glatte, breite Chaussee hin, die einen Teil des Parkes quer durchschnitt ... Dort blinkte der Teich auf, und über den Fischerdörfchen kreiste ein Flug weißglänzender Feldtauben, sonst war es totenstill und verlassen da drüben. Nun lief die Fahrstraße zwischen dichtgedrängten Waldbaumriesen hin, die ihr nur widerwillig Raum gaben – hier und da ließ ein jäh vorbeifliegender schmaler Durchhau die sonnige Landschaft draußen wie einen Edelstein im Baumdunkel aufblitzen.
Da flog plötzlich, auf fünfzig Schritt Entfernung, seitwärts aus dem Dickicht eine Reiterin mitten auf die Chaussee – fast schien es, als stelle sie die heranbrausende Equipage.
»Mainau – die Herzogin!« rief Herr von Rüdiger, erschrocken auffahrend; aber schon hemmte das herrliche Gespann, infolge einer einzigen Bewegung seines Lenkers, den rasenden Galopp und ging im Schritt ... Eine zweite Dame sprengte aus dem Walde und folgte der Herzogin. Sie kamen rasch näher. So mag man sich den über das Schlachtfeld reitenden Todesengel denken, wie diese fürstliche Reiterin im langwallenden schwarzen Gewande, unter den in den Nacken zurückgeworfenen bläulich-schwarzen Haarmassen – zu schwer, als daß sie der Windhauch zu heben vermochte – das schöne, aber gespenstig farblose Antlitz, das in diesem Augenblick selbst auf den Lippen nicht die leiseste Färbung der lebendig rollenden Blutwelle zeigte.
»Glück zu, Baron Mainau!« rief sie mit einer stolz grüßenden Handbewegung ihm entgegen, der sich tief vor ihr neigte. Welcher Hohn lag in diesen fast schleppend langsamen, und doch so scharf accentuierten Lauten der vollen, tiefen Frauenstimme! ...Hatte sie eine unvorsichtige Bewegung gemacht, oder scheute das schöne, feurige Tier, das sie ritt – genug, es trug sie plötzlich mit einem wilden Satze dicht an den Schlag des langsam vorüberrollenden Wagens.
»Bleiben Sie sitzen, Herr von Rüdiger!« winkte sie dem Emporschnellenden herablassend zu, ohne ihn anzusehen – ihre flammenden Augen suchten vielmehr in verzehrender Unruhe den herabgelassenen Schleier der erschrockenen jungen Frau zu durchdringen – im nächsten Augenblick schon stoben die Reiterinnen wieder dahin; einige Sekunden lang jagten die zwei Pferde, Leib an Leib, nebeneinander, und die geschmeidige Hofdame bog sich zu ihrer Herrin hinüber. »Diese kleine, graue Nonne ist wirklich ein Trachenbergscher Rotkopf, Hoheit«, rief der hübsche Mädchenmund ungeniert. Das Rädergeroll verschlang den Zuruf; aber Baron Mainau, der sich zurückgewendet hatte, sah die bezeichnende