Improvisationstheater. Dan Richter

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Improvisationstheater - Dan Richter страница 4

Improvisationstheater - Dan Richter

Скачать книгу

Szene fragen: Die „vierte Wand“ wird gebrochen. In dieser Situation spielen die Schauspieler keine Rolle, sie sind einfach nur die Schauspieler, die sich mit dem Publikum auf die Improvisation vorbereiten. Der Kunst wird hier der Heiligenschein genommen, die Schauspieler rücken den Zuschauern näher. Sie sind diejenigen, die (stellvertretend für die Zuschauer) das Wagnis der Improvisation eingehen.

      Das Publikum wird durch die Vorschläge auch konditioniert, genauer gesagt, das Zuschauen des Publikums wird konditioniert. Als Zuschauer fragen wir uns, ob es den Schauspielern gelingen wird, die Eifersuchts-Szene, wie vorgegeben, komplett gereimt vorzutragen, und dann auch noch an einem Königshof. Umso größer die Freude, wenn es tatsächlich funktioniert. Die Freude verdoppelt sich zudem für diejenigen Zuschauer, die die Vorschläge abgegeben haben, denn ihnen wird ein persönlicher Wunsch erfüllt. Alle Zuschauer sind mit der vorschlagenden Person verbunden. Man wünscht auch diesem einzelnen Zuschauer, dass die Szene gelingen möge. Und wenn die Szene schließlich vorbei ist, gibt es ein kollektives Gefühl, dass sich etwas erfüllt hat, der Kreis hat sich geschlossen.

      Nun gibt es aber durchaus Improvisations-Formate, die ganz ohne Publikums-Vorschläge auskommen oder in denen die Interaktion nur eine sehr geringe Rolle spielt: Stell dir vor, du kommst in eine Theatervorstellung und bist eine halbe Minute zu spät. Das Stück ist großartig. Ist es nun am Ende für dich von Bedeutung, ob es improvisiert war oder nicht? Diese Frage, der man manchmal als in Diskussionen über Improvisation begegnet, führt in die Sackgasse, denn entscheidend im Improtheater (wie auch in anderen improvisierten Künsten) betrachten wir nicht das Produkt vom Ende her, sondern immer als Prozess. Insofern spielt das Wissen, dass dieses Stück improvisiert ist ganz sicher während der Performance eine Rolle. Denn das Improvisieren selbst schafft die bereits erwähnte Doppelbindung, die dem gescripteten Theater nur in Ausnahmefällen gelingt. In einem geschriebenen Stück sind wir viel tiefer in die Handlung involviert, die Schauspieler verschwinden hinter ihren Rollen. Und da, wo die Regie das zu konterkarieren versucht, etwa durch den Brechtschen Verfremdungseffekt, sehen wir dann eben den Regisseur oder den Autor hervortreten. Im Improvisationstheater hingegen sind wir sowohl an die Figur und die Handlung als auch an die Improvisierer und den Improvisationsprozess gebunden. Wir fragen uns als Zuschauer nicht nur: „Wird der Kleptomane seiner Frau die Wahrheit sagen?“, sondern wir wollen auch wissen: „Welche Entscheidungen treffen die Improvisierer jetzt?“ Diese zusätzliche Denkspur läuft (mal mehr, mal weniger bewusst) immer mit. Man ist daher als Zuschauer in einem improvisierten Stück oder einer improvisierten Szene nicht nur am Fortgang der Handlung oder der Dichte der Dialoge interessiert, sondern man genießt obendrein den Flow, in dem das Spiel improvisiert wird. Insofern ist Improtheater selbst ohne Publikumsvorgaben deutlich interaktiver als das konventionelle Regie-Theater.

      1 Bertolt Brecht kritisierte das Theater seiner Zeit als zu rauschhaft, es wolle die Zuschauer nur in ein emotionales Auf und Ab stürzen; der Zuschauer würde zu sentimental in die Erlebniswelt der Charaktere eingesogen. Bei Brecht sollten die Zuschauer nie vergessen, im Theater zu sein. In gewisser Weise hat Improtheater diesen Ansatz radikalisiert. Der Zuschauer ist hier in einer permanenten Doppelbindung: Man geht mit den Figuren und der Story mit, und auf der anderen Seite beobachtet man gleichzeitig den Prozess des Erschaffens dieser Figuren und der Story.

      2 Zum Thema Improtheater als Therapie siehe Improvisationstheater. Band 11: Impro überall

      3 Man denke nur daran, wie lange heutzutage im Abspann eines Kinofilms über nahezu sämtliche Berufszweige des Film-Business informiert wird. Die wichtigsten kreativen Künstler – der Drehbuch-Autor, der Regisseur und die Schauspieler arbeiten nicht gleichberechtigt und nicht synchron an dem Werk. Manchmal ist für den Schauspieler nicht einmal die Anwesenheit des Dialogpartners nötig.

       2SEI MUTIG

       2.1Scheiter heiter

       2.2Die Falle der Selbst-Etikettierung

       2.3Es gibt keine Fehler – Mach was draus

       2.4Freiheit vor dem Urteil anderer

       2.5Wabi Sabi: Prozess statt Produkt

       2.6Wovor sich Impro-Spieler fürchten

       2.7Die Kanäle der Angst

       2.8Wie überwinden wir unsere Angst?

       2.1Scheiter heiter

      Unser Alltag ist von einem seltsamen binären Code geprägt – dem Dualismus von Falsch und Richtig. Diese Prägung fängt bei der Kindeserziehung an und setzt sich später in der Arbeitswelt fort. Fehler gilt es um jeden Preis zu vermeiden. Für Fehler werden wir bestraft, ausgelacht, gerügt. Nur langsam zieht in einigen Bereichen die Erkenntnis ein, dass ohne Fehlertoleranz keine Entwicklung zu haben ist.

      In manchen Bereichen des Lebens ist Präzision ja durchaus wichtig: Wer will schon einen nur ungefähren Betrag des Gehalts auf sein Konto überwiesen haben? Wer will schon, dass der Zahnarzt einen beliebigen Zahn statt des kranken anbohrt? Die Dualität von Richtig und Falsch ist vor allem dort angemessen, wo Exaktheit das primäre Kriterium ist – in Wissenschaft und Technik.

      Aber schon in einer der mathematischsten Künste – der Musik – wird die Frage von Richtig und Falsch rasch sinnlos. Gewiss schmälert es den Genuss, wenn Musiker „falsche“ Töne spielen. Aber ob uns der Vortrag einer Mozartschen Klaviersonate gefällt oder nicht, hängt nicht unbedingt damit zusammen, dass der Musiker das Stück „richtig“ gespielt hat. Mehr noch: Eine schöne Interpretation wird uns wahrscheinlich selbst noch mit ein, zwei Patzern besser gefallen als dasselbe Stück, wenn es „richtig“ aber seelenlos gespielt wird. Und in der Improvisation geht es sogar noch einen Schritt weiter: „Wir improvisieren“ heißt, es gibt kein Richtig und kein Falsch, denn wer wollte das festlegen als wir allein.

      Eine der Grundübungen im Improtheater ist die freie Assoziation: Ich nenne dir einen Begriff, du assoziierst möglichst flott auf diesen Begriff ein neues Wort, auf das ich wiederum eine Assoziation finden muss. Per definitionem kann es hier kein Richtig und kein Falsch geben. Was immer du assoziierst, es ist in deinem Kopf entstanden. Angenommen ich höre den Begriff Salami, dann kann es durchaus sein, dass ich dazu Punkrock assoziiere, was für Außenstehende vielleicht nicht unbedingt nachvollziehbar ist, aber das ist egal, denn es ist schließlich mein Leben, das meine Synapsen derart verschaltet hat, dass ich Punkrocker vor mir sehe, wenn ich dieses Wort höre.

      Nehmen wir dasselbe Spiel. Ich sage „Punkrock“, und meine Mitspielerin versteht „Bangkok“, was man durchaus als Fehler im Sinne von Hörfehler auffassen kann. Wenn sie nun aber „Ostasien“ assoziiert, bleiben wir im Spiel.

      Der Fehler wird als Fehler oft erst dann erkannt, wenn wir ihn als Fehler markieren – wenn wir die Augenbrauen skeptisch verziehen, wenn wir innehalten, wenn wir aus der Szene heraustreten, kurz – wenn wir das Spielen beenden. Solange

Скачать книгу