Improvisationstheater. Dan Richter
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Improvisationstheater - Dan Richter страница 8
Was deine Fähigkeiten oder die Könnerschaft einer bestimmten Form betrifft, so kannst dir das Training nicht ersparen. Aber: Du kannst trotzdem mutig auf die Bühne springen wie am ersten Impro-Tag, denn Scheitern gehört dazu. Außerdem gibt es nie die eine Art, eine Geschichte zu erzählen. Wenn du deine Kollegin vielleicht dafür bewunderst, wie es ihr gelingt, aus jeder Story-Plattform das herrlichste Melodram zu basteln, so sei dir darüber im Klaren, dass Melodramen zwar bewegend sein mögen, aber längst nicht das einzige Genre auf diesem Planeten.
Wir müssen auch die Tatsache akzeptieren, dass wir nie so klug sein werden wie unsere Mitspieler. Aber sie auch nie so klug wie wir. Ich beobachte immer wieder, dass Impro-Spieler ein überaus reiches Wissen in den unterschiedlichsten Bereichen haben. Sie haben Lebenserfahrungen gemacht, um die man sie beneidet. Aber sie wagen oft nicht, aus diesem Brunnen zu schöpfen. Im Idealfall ergänzen sich unsere Kenntnisse und Weisheiten perfekt.
Nutze deine Intelligenz und sei dir deiner Intelligenz bewusst! Leider spielen immer noch viel zu viele Impro-Spieler dumme Charaktere, um nicht für dumm gehalten zu werden. Das mag paradox klingen, aber es scheint zunächst leichter und sicherer, einen betrunkenen Zahnarzt zu spielen, der von nichts eine Ahnung hat, als einen nüchternen, kompetenten. Außerdem kommt der Lacher aus dem Publikum schneller. Natürlich gehen wir ein Risiko ein, wenn wir einen kompetenten Zahnarzt spielen. Aber da müssen wir eben behaupten! Wir dürfen nicht aus Angst, für dumm gehalten zu werden, dumm spielen!
Die Angst, für humorlos oder langweilig gehalten zu werden, findet auf der Bühne ihr Ventil im Gagging – dem Zerstören einer Szene für den schnellen Lacher.14 Gagging bricht sich auch in anderen Situationen Bahn, zum Beispiel wenn der Spieler die Spannung der Szene, die Verletzlichkeit der Figur oder einfach nur die Stille im Publikum nicht aushält. Niemand will das Publikum langweilen. Das Problem ist nur, dass wir auf der Bühne kaum ein Signal aus dem Publikum bekommen, das uns verrät, ob es sich langweilt oder nicht. Wenn man von extremen Äußerungen wie Jubeln oder Schluchzen absieht, dann ist die einzige regelmäßige akustische Äußerung des Publikums das Lachen. Dieses positive Feedback ist für einige Spieler dermaßen anregend, dass sie nervös werden, wenn einmal nicht gelacht wird.
Dieses Phänomen beobachten wir auch bei Gruppen, die den Übergang von Kurz- zu Langformen wagen. Klassische Impro-Spiele sind, wenn man sich nur halbwegs anstellt, fast eine Lacher-Garantie, ein Selbstläufer. Langformen funktionieren anders, und zwar selbst dann, wenn man langformatige Comedy spielt. Der Rhythmus der Lacher ist ein anderer, die Art der Lacher abwechslungsreicher. Es geht nicht nur um Gags, komische Figuren und Situationen, sondern um den Aufbau von Spannungsmomenten und einer ganzen Story. Wenn wir aber jeden Story-Ansatz für einen Gag opfern, kann nichts entstehen. Du bekommst zwar vielleicht noch deinen Lacher, aber deine Partner sind nun am Zuge, die Story-Karre wieder zum Laufen zu bekommen. Bei Improvisationen, die nicht in erster Linie auf Comedy abzielen, ist die Herausforderung noch größer: Schweigt das Publikum, weil es sich langweilt oder weil es von der Story gefesselt ist? Die Versuchung ist für viele Spieler übermächtig, doch noch hier und da ein kleines Witzchen zu platzieren, um sich als lustiger Typ darzustellen, der bei allem Ernst die Story ironisiert. Haltet die Spannung aus. Haltet es aus, gerade in der Anfangsphase von Langform-Impro nicht zu wissen, was das Publikum gerade empfindet.15
Während die Angst, für humorlos gehalten zu werden, vor allem junge Männer betrifft, dreht sich das Geschlechterverhältnis bei der Angst, für unattraktiv gehalten zu werden, um.16 Die darunter liegende Angst ist natürlich die Angst vor der Verletzlichkeit. Die Flucht ins Sexy-Sein macht eine Spielerin unangreifbar und unveränderlich. Aber als Impro-Spielerin musst du dich verändern lassen, du musst in der Lage sein, wütend und hässlich zu werden, deine Figur die falschen Entscheidungen treffen lassen. Du musst beweglich bleiben. Aber im Theater geht es nicht um dich! Es geht um die Szene, um die Story. Wenn du auf der Bühne stehst, um Männern oder Frauen zu gefallen, oder überhaupt um jemanden zu beeindrucken, was du für ein toller Mensch bist, dann bist du im Improtheater fehl am Platz. Improtheater lebt davon, dass die Spieler in der Lage sind, ihr Ego auszuschalten, ihr kleines „Ich will doch geliebt werden“ zuhause zu lassen und stattdessen in der großen Gemeinsamkeit aufzugehen.
2.6.3Die Angst, nicht weiterzuwissen
Fast scheint die Angst, nicht weiterzuwissen rational. Schließlich stellen sich die Spieler ohne Text auf die Bühne! Einfach so entsteht, ohne dass sie sich abgesprochen hätten, eine Szene. Manchmal fragt man sich selbst als Improspieler: Wie kann das denn eigentlich funktionieren?
Die Angst, dass einem überhaupt nichts mehr einfällt, führt zu verkrampftem Spielen. Spieler, die fürchten, nicht weiterzuwissen, tendieren oft zum Blockieren oder Auslöschen von Angeboten, in der Szene verharren sie auf der Stelle, indem sie vor sich her plappern. Wenn sie im Off sind, trauen sie sich nicht, die Szene zu betreten.
Nach meiner Erfahrung ist keine Angst so einfach zu bekämpfen wie diese. Viele Spiele nehmen genau diese Angst aufs Korn. Gleich einem Bierfass stechen wir das Fass der Phantasie und der Assoziation an, und es beginnt zu sprudeln. Sobald die Schüler sehen, dass alles, was sie sagen, konstruktiv verwendet werden kann, wird die Angst, nicht weiterzuwissen, erlöschen.
Aber wie jede Angst kann sie auch bei Profis wieder auftauchen. Wenn wir etwa komplexere Storys spielen, wenn wir uns bei fremden Genres bedienen, wenn wir andere Stile verwenden als bisher, schleicht sich bei einigen Spielern die alte Angst wieder ein. Es hilft, hier immer wieder zu den einfachsten Übungen zurückzukehren, vor allem zur freien Assoziation, deren Komplexität sich nach und nach steigern kann.
Übung: Assoziationsstufen
Stufe 1)
Einfache bildliche Assoziation: Holz – Schrank – Kleid – Hochzeit …
Stufe 2)
Einfache Assoziation, die emotional angereichert wird: Holz – ein düsterer Schrank – ein frisches Kleid – eine chaotische Hochzeit … (Entscheidend sind hier weniger die Adjektive, sondern dass die Assoziationen mit emotionalisiertem Atem und emotionalisierter Stimme genannt werden.)
Stufe 3)
Biografisch-narrative Assoziation: Holz – „Auf dem Dachboden meiner Großeltern stand ein alter verschlossener Schrank. Ich hatte mich immer gefragt, was sich darin befinden möge. Und eines Tages fand ich den Schlüssel auf dem Oberteil des Schranks. Ich öffnete ihn und sah darin ein weißes Kleid …“
2.6.4Die Angst vor Veränderung
Du spielst in einer erfolgreichen Impro-Gruppe. Eure Shows sind gut besucht, die Qualität eurer Aufführungen wird allenthalben gelobt. Und da schlägt ein Spieler der Gruppe eine Veränderung vor: Ein neues Format, ein neues Genre, einen Stil, der euren jetzigen Shows