Improvisationstheater. Dan Richter
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Improtheater bleibt nur lebendig, wenn wir neue Pfade beschreiten. Tatsächlich gelingt das manchen Gruppen innerhalb des immergleichen Formats, und zwar dann, wenn dieses offen genug ist, um künstlerische Weiterentwicklung zuzulassen. Aber selbst dann ist es oft lohnenswert, sich mal links und rechts umzuschauen.
Je größer das Team, umso mehr neigt es zu Inflexibilität, da viele Stimmen gehört werden müssen.17 Gerade deshalb solltet ihr auch strukturell offen bleiben.
Wenn ich von ausgetretenen Impro-Pfaden spreche, meine ich aber nicht nur Formate, Stile und Genres, sondern sämtliche Aspekte einer Impro-Show: Die dramatische Herangehensweise an Szenen, Szenenübergänge, die Präsentation einer Show – von der Moderation bis zur Kleidung -, die Entscheidung zwischen Kurz- und Langform, die Themenvielfalt, der Story-Aufbau.
Manche Änderungen werden von der Gruppenmehrheit verworfen, nur weil die neue Form einmal nicht funktioniert hat. Auch hier braucht man Beharrlichkeit und Ausdauer. Die Angst vor Veränderung ist verschwistert mit der Bequemlichkeit. Denn natürlich ist jede Veränderung mit Mühe verbunden. Jedes neue Format muss ausprobiert werden, man muss sich damit geistig auseinandersetzen, man muss unter Umständen lesen, diskutieren, Meinungsunterschiede aushalten. Und schließlich: Der Erfolg ist nie sicher. Improtheater ist eine flüssige Kunst, man kann sie nicht festhalten oder fixieren. Man muss sich mit ihr bewegen.
2.7Die Kanäle der Angst
Angst sucht sich auf der Bühne ihre Kanäle. Sie kommt selten als pure Angst daher, manchmal spüren wir sie nicht einmal. Denn meist tritt sie maskiert auf.
Blockieren
Angst offenbart sich, wenn wir Angebote unseres Spielpartners regelmäßig blockieren. Jedes Angebot ist die Zumutung einer neuen Ungewissheit und Unsicherheit. Unsicherheit ist angstbeladen, und deshalb verharrt so mancher Impro-Spieler und verbarrikadiert sich hinter Nein und Geht-nicht. Spricht man ängstliche Spieler darauf an, werden sie oft ihre Antworten szenisch rechtfertigen:
„Aber meine Figur konnte wirklich nicht das Päckchen annehmen.“
oder
„Nicht ich, sondern meine Figur hatte Angst.“
Negativität
Negativität ist eng verwandt mit dem Blockieren. Allerdings wird hier nicht das Angebot blockiert, sondern der Spieler gibt jedem Aspekt der Szene einen negativen Anstrich. Es wird genörgelt, gemäkelt, gedroht. Wenn wir uns junge unsichere Teenager anschauen, sehen wir dieses Verhalten wie unter der Lupe: Viele Jugendliche neigen zu dieser negativen Coolness, um sich zu schützen, um sich unangreifbar zu machen. Aber Veränderbarkeit und Verletzlichkeit sind unersetzbare Eigenschaften im Improtheater.
Dominanz und Zurückhaltung
Die Stresshormone, die in den Spielerkörper ausgeschüttet werden, wenn die Dinge auf der Bühne zu unübersichtlich oder zu unsicher werden, führen dazu, dass die meisten Spieler in solchen Situationen entweder mit übermäßiger Dominanz oder übermäßiger Zurückhaltung spielen. Lass das Chaos auf der Bühne eskalieren, und fast jeder Spieler wird regelmäßig zur einen oder zur anderen Seite neigen.
Die einen versuchen, die Szenen „in den Griff“ zu bekommen, indem sie ihre Mitspieler herumkommandieren und sich nicht verändern lassen. Die anderen bleiben entweder im Off oder schwimmen einfach nur mit der Szene mit, ohne etwas beizutragen.
Gagging
Wir haben es bereits diskutiert: Spieler, die glauben, die Szene sei schlecht, sobald mal eine halbe Minute nicht gelacht wird und die dann schnell auf Teufel komm raus lustige Sprüche klopfen oder sich ulkig benehmen, zerstören die Szene. Panik-Gagger von ihrer Witzelsucht zu befreien, ist eine der wichtigsten Aufgaben im Impro-Unterricht.
Schwatzen
Die Angst, das Publikum zu langweilen und also für dumm gehalten zu werden, kanalisiert sich gerne in einer Angst vor der Stille. Stille ist in unserer Kultur manchmal schwer auszuhalten. Also wird geschwatzt. Und das setzt sich auf der Impro-Bühne fort. Das Problem ist nur: Wer schwatzt, hört erstens nicht richtig zu, denn er gibt dem, was der andere sagt, keine Chance, sich zu entfalten (und wird sich selbst nicht verändern). Zweitens wird alles Gesagte auf die Ebene des Smalltalks herabgezogen. Drittens: Sprache ist im Theater zu wichtig, um die Lücken mit Geschwätz aufzufüllen. Gib dem Gesagten Bedeutung und halte die Stille aus.
Verharren
Vor allem bei Anfängern kann man ein seltsames Phänomen beobachten: Sie fürchten sich vor dramatischen Gefahren, als seien sie echt. Wenn Georgia zum Beispiel eine vor dem Fernseher strickende Frau spielt und Marvin als Einbrecher in die Wohnung einsteigt, reagiert sie als Spielerin panisch und versucht zu verhindern, dass sie und der Einbrecher aufeinandertreffen. Sie wird dann wahrscheinlich die Türen und Fenster verrammeln, statt ihrem Einbrecher-Mitspieler den Rücken zuzuwenden. Dabei ist das gerade das, was wir als Zuschauer sehen wollen.
Wenn die Figur eines ängstlichen Spielers vor einer schwierigen Aufgabe steht, zum Beispiel einen Hubschrauber fliegen, so findet er 999 Gründe, warum er diese Aufgabe nicht erfüllen kann: Schlüssel vergessen, Termin beim Arzt, erst mal eine rauchen usw. Fortgeschrittene Impro-Spieler kennen dieses Phänomen natürlich, und dennoch schleicht es sich auch bei ihnen ein: Sie weichen Gefahren aus, sie lassen ihre Figuren nur ungern verletzen oder töten. Und später wundern sie sich, dass die Story nicht vorangekommen ist.
Über-Ritualisierung
Diese Form der Kanalisierung ist vergleichsweise harmlos. Wir finden sie oft als Ausdruck des Lampenfiebers vor der Show. Die meisten Gruppen haben irgendeinen Ablauf der Show-Vorbereitung gefunden: Technik-Check, Warm Up, Umziehen usw. Diese Vorbereitung in gewissem Maße zu ritualisieren, ist durchaus in Ordnung, da man auf diese Weise nicht jedes Mal neu zu diskutieren braucht, wie man sich vorbereiten soll.
Aber ich habe Gruppen erlebt, die vor Panik im Dreieck sprangen, wenn zum Beispiel ein Aufwärmspiel durch ein anderes ersetzt werden sollte: „Ohne Ich-bin-ein-Baum können wir uns nicht richtig aufwärmen.“ Ich kenne Gruppen, deren Spieler sich vor der Show eine halbe Stunde einsingen, inklusive vierstimmiger Harmonisierungen, obwohl am Abend selten mehr als zwei Lieder gesungen werden.
Diese Über-Ritualisierungen sind im Grunde nervöse Reaktionen eines fürs Rennen bereiten Pferdes. In ihrer Form sind sie erst mal nur kurios, aber sie haben auch eine Kehrseite: Die Zeit vor der Show ist wertvoll, da wir uns geistig, körperlich und seelisch vorbereiten. Die Über-Ritualisierungen können uns vielleicht das Gefühl vermitteln, dass nun alles in Ordnung sei, aber wir brauchen ein Grundvertrauen, wir können die Zeit genauso zum Zusammenfinden oder zur Meditation nutzen, um das allgemeine Stresslevel zu senken.
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