'I'-Gene. C.-A. Rebaf
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Schließlich schob Patrick alle Schubladen wieder zurück und sagte zu Björn: „Ich sehe, wir kommen nicht weiter! Wir brauchen eine Luftveränderung! Ich habe da eine Idee, komm mit!“ Patrick nahm Björn am Arm, sie verließen das Museum und stiegen ins nächste Londoner Taxi. „To London Eye please“, gab Patrick dem Driver Anweisung und kurz darauf fand sich Björn in einer Glasgondel des Londoner Riesenrads wieder. Patrick wusste natürlich nicht, dass Björn extreme Höhenangst hatte. Dieser hielt sich schon gleich zu Anfang auf der hölzernen Sitzbank fest und vermied es, nach unten zu schauen. „Na, habe ich dir zu viel versprochen? Das ist doch eine echte Luftveränderung! Wir werden 135 m über der Stadt kreisen! Da ist die Luft viel besser!", triumphierte Patrick. „Wenn du meinst“, erwiderte Björn kleinlaut. Als sie ganz oben angelangt waren, konnte sich Patrick nicht mehr halten und zog Björn am Arm von der Mitte an die Glaswand. Björn schrie nur: „Nein! Nein! Ich habe extreme Höhenangst!“ Er wurde ganz panisch und Patrick schlang seine Arme wie zum Schutz um ihn. Dabei kam seine Hand an Björns Schlüsselbein, das ziemlich heraus stand. Björn stürmte zurück auf die Holzbank, schloss die Augen und setzte sich. „Das ist es: 'Schlüsselbein'! Das ist die Lösung! Ich bin sicher, der kleine Knochen ist ein Teil eines Hunde-schlüsselbeins.“ Björn verstand gar nichts mehr und wollte in seiner Panik nur raus. Patrick hatte alle Mühe, ihn davon abzuhalten, den 'Not-Aus-Knopf' zu drücken. „Sorry, Patrick, aber ich muss mich jetzt etwas erholen. Das war zu viel für mich! Außerdem geht mein Rückflug in vier Stunden. Ich sollte mich auf die Socken machen.“ Er ließ Patrick wie einen begossenen Pudel mit einem Hundeschlüsselbein stehen.
Am nächsten Tag hatte Thor großspurig ein Gruppenseminar mit dem Titel ‚Björn berichtet über die Recherche-Ergebnisse im British Museum‘ angekündigt. Auch Andromeda wurde eingeladen. Björn schwante schon zu Anfang, dass dies sein Waterloo bedeuten würde. Alle saßen gebannt im Seminarraum und der Beamer summte. Björn kam mit hochrotem Kopf herein und stellte sich an das Rednerpult. "Ja, Herrschaften…“ stotterte er. „Ergebnisse wollt ihr hören …“, er räusperte sich erneut. Dann deklamierte Björn mit einem vielsagenden Lächeln: „Patrick hat mir im London Eye ganz oben an mein Schlüsselbein gefasst und meinte, das Knöchelchen sei ein Teil eines Hundeschlüsselbeins. Keine Ahnung, wie er dazu kommt! Das war's!“ „Was? Das war's?“, empörte sich Thor. „Ja“, Björn schaltete den Beamer aus und fragte: „Sonst noch Fragen?“ Da meldete sich Andromeda: „In dem Bericht von Carters Diener ist die Rede von einer ganzen Reihe von Knochen, die zusammen gefunden wurden. Wie viele sind das denn und sind die alle erfasst und katalogisiert?“ „Gute Frage, Andromeda!“, heuchelte Björn. Er wollte dieses Thema eigentlich vermeiden. „Ja, es sind etwa 250 Knochen, aber auch viele eindeutig humanen Ursprungs, Oberschenkel, Ellen, Speichen, Rippen.“ „Na, das ist doch etwas! Ran an den Speck! Fitzgerald soll Proben nehmen, wir sequenzieren alle, zumindest einige wichtigen Gene von jeder Probe zur Eingruppierung!“ Björn wurde bleich. Das war Arbeit für ein Jahr! „Wenn sie meinen Chef“, sagte er kleinlaut.
Björn war nur noch am Sequenzieren. Er hatte mit den kleinen Knochen begonnen, weil er dachte, dass er bei denen eher eine Chance hätte, ein Canoidea-Gen zu finden. Aber sie waren alle von humanem Ursprung. Als letztes nahm er sich die Probe Patricks von dem großen Oberschenkelknochen vor. Er war völlig demotiviert und wollte schon kündigen. Da geschah es: er fand eine Übereinstimmung von 99,8%. Das Hundeschlüsselbein und der Menschenoberschenkelknochen waren eindeutig von ein und demselben Individuum! Wie konnte das sein?
Thor erzählte Andromeda von den Ergebnissen und die sagte nur kurz: „Ich hatte gleich an 'Anubis' gedacht, als ihr dieses 'Hucanoidea-Genom' beschrieben hattet.“ „Können wir es wagen, eine solche These ernsthaft in einem seriösen wissenschaftlichen Journal zu publizieren?“ Thor war das erste Mal in seinem Leben ratlos.
Leipzig, 2054 n.Chr.: Andromeda erleidet einem literarischen Interruptus
Sie sehnte sich im Stillen einen Orgasmus herbei und scrollte in dem bei eBay gekauften Dokument, um wieder eine ‚scharfe‘ Stelle zu finden. Der Zusammenhang an sich interessierte sie zunächst weniger. Der erschien ihr in dem gefundenen ‚Werk‘ eh sehr wirr. Ihre Augen stolperten über einen Begriff als Überschrift, der sie neugierig machte:
‚Schwefelgasig‘
Wir sehen ein vertrautes Bild: Ich sitze arbeitend im Zug. Ich, Walt, der Mann, der benannt ist nach Walter Faber, nein bitte noch einmal, aber mit englischer Aussprache: Walter Faber, der ja gerade in New York wohnt und mit Ivy Schluss machen will. Eben gerade jener Walter Faber, der Held aus Max Frischs Roman HOMO FABER.
In welcher Zeit befinden wir uns? Sitzen wir hier einer fast vergessenen Romanfigur der fünfziger Jahre gegenüber, der hageren Gestalt eines Sam Shepard, aber einem Gesicht wie Robert Redford, angezogen mit einem weiten, fast zu großen Jackett? Seinen breitkrempigen Hut hat er auf den Tisch neben sein Notebook gelegt, auf dem er gerade konzentriert tippt. Sein blondes Haar hat er wild ohne Scheitel nach hinten gekämmt. Er fährt in einem ICE der 3. Generation mit Neigetechnik, den Zügen, die die Steckdosen für Notebooks unter jedem Sitz haben. Er reist oft mit dem Zug, aber auch mit dem Flugzeug, nur selten mit dem Auto, jedoch fast immer, um seinen Geschäften nachzugehen, wie einst der Walter Faber, der Macher, der HOMO FABER, der Mensch als Handwerker.
Nein, der echte Walter Faber kann ich wirklich nicht sein. Ich reise zwar auch viel, wie er, und tippe dabei, wie er. Aber ich benutze keine schlanke, leichte 'HERMES Baby', die elegante, mechanische schweizerische Reiseschreibmaschine, die keine Energie aus Steckdosen benötigte, damals. Nein, ich benutze heute ein Notebook unter Windows.
Dennoch ist die Ähnlichkeit von mir mit Walter Faber frappierend! Handelt es sich hier etwa um eine Wiedergeburt, ein Baumscher Klon? Oder nur um einen Menschen, der die Romanfigur nach lebt? Jedenfalls benimmt er sich gerade eben wie sein literarisches Vorbild, einen Liebesbrief an seine Freundin tippend. Einen Liebesbrief in exakt gedruckten Lettern, die Ausdrucksform des Technokraten. Genauso übernahm Walt es von seinem Idol und hielt es sein Leben lang auch durch: In jungen Jahren schrieb er Liebesbriefe mit seiner Schreibmaschine, einer alten somnambulen AEG, die noch dieses typische runde Schriftbild der 20er Jahre hatte. Auf diese, meine AEG war ich stolz, damals und identifizierte mich mit ihr, die ich noch zu Schulzeiten von einem Händler gebraucht, jedoch generalüberholt, gekauft hatte. Sie war in ihrer Wuchtigkeit ein echtes Bollwerk und symbolisierte die Schwere meiner zögerlichen literarischen Anfänge. Aber ich trotzte ihr dennoch einige Texte ab – damals.
Wie so ganz anders war dagegen die schlanke 'HERMES Baby' meines Vorbilds. Wie scheinbar leicht und elegant schien der Held meines Lieblingsromans mit dieser Maschine Sätze zu formulieren. In meiner Fantasie verschmolz ich immer völlig mit dem Autor. Eine 'HERMES Baby' war damals etwas vom Feinsten, Schweizer Hightech, für eine solche Maschine war unser junger Walt nicht reif und außerdem konnte er sie sich nicht leisten, damals. Er, der er lediglich auf seiner gebrauchten alten AEG die ersten Buchstaben sammelte, seine eigene Handschrift verachtend, die Klarheit der Maschinenschrift bevorzugend.
Wie anders ist alles jetzt im Hier und Heute: Ich habe es geschafft und jette durch die Welt, genau wie er, Walter Faber: Jetzt, im ICE 'Clara Schumann', auf dem Weg von Weimar nach Frankfurt, tippe ich auf meinem Notebook mit dem triumphalen Gefühl, eine riesige technologische Überle-genheit über Walter Fabers 'HERMES Baby' zu benutzen, wenn ich ausreichend Energie habe. Höre ich doch auch noch gleichzeitig ein Chopin-Klavierkonzert aus dieser Maschine über Kopfhörer. Der Pentium-Prozessor im Notebook erledigt das alles mit links. Die MP3-Technologie komprimiert Musik in höchster Qualität, so dass meine Festplatte keinerlei Speicherplatzprobleme hat. In welcher Steinzeit lebte dagegen Walter Faber in den fünfziger Jahren?
Etwas enttäuscht,