Little Pearl. Madlen Schaffhauser

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Little Pearl - Madlen Schaffhauser Little Pearl

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      »Du wirst das Ding schon schaukeln.«

      »Oh, schaukeln lieber nicht«, meint er schmunzelnd.

      »Dann halt flitzen.«

      »Das klingt schon besser.«

      »Wann geht’s los?« Ich stehe wieder auf, weil mir die Gelenke anfangen zu schmerzen.

      Dad schaut auf seine Uhr, die er um sein Handgelenk trägt. Eine Multifunktionsuhr, ein Weihnachtsgeschenk von uns Kindern letztes Jahr. »In fünfundfünfzig Minuten bin ich dran.«

      Als Dads Start immer näher rückt, rollt er zur Startposition und wir anderen stellen uns irgendwo an die Seite, wo wir ihn anfeuern können. Dabei suche ich ständig die Menge nach Cécile ab. Ich frage mich wo sie bleibt, und ob mit ihr alles in Ordnung ist. Es macht mich fast wahnsinnig, dass sie nicht auf meine WhatsApp-Nachrichten reagiert, oder dass mein Anruf vor wenigen Minuten auf ihrer Mailbox landete. In meiner letzten Nachricht habe ich ihr geschworen, ihr den Kopf umzudrehen, wenn ich sie sehe.

      Als ich schon glaube, die Nerven zu verlieren, tippt mir jemand auf die Schulter. Cee steht hinter mir und lächelt mich an. Sie wirkt glücklich, richtig glücklich, wie seit Tagen nicht mehr. Ihr Strahlen in den Augen hält mich davon ab, meinen Schwur in die Tat umzusetzen. Trotzdem soll sie erfahren, wie angepisst ich bin.

      »Warum hast du dich nicht gemeldet oder meinen Anruf entgegengenommen? Verdammt nochmal«, zische ich.

      »Tut mir leid, ich war am Fahren. Eigentlich wollten wir viel eher hier sein, sind aber in einen Stau geraten.«

      »Wir?« Erst jetzt bemerke ich Emily, die soeben den anderen Hallo gesagt hat.

      »Hey Evan.« Em scheint nicht überrascht zu sein, als sie mein blaues Auge entdeckt. Aber ihr Gesichtsausdruck erinnert mich an eine schreckliche Zeit zurück. An eine Zeit, in der Em selbst mit einem geschwollenen Auge herumlief. Sie ist nicht hingefallen oder hat sich an irgendwas gestoßen. Und sie hatte sich auch bestimmt nicht geprügelt. Lange Zeit konnte ich nur Vermutungen anstellen. Erst nach langer Zeit erzählte sie mir, wie ihr Ex auf sie losgegangen war.

      »Tut’s noch sehr weh?«, fragt sie mich, nachdem wir uns zur Begrüßung umarmt hatten.

      »Eigentlich nicht. Wahrscheinlich sieht es schlimmer aus, als es sich anfühlt.«

      Emily streicht sich ein paar Strähnen ihres dunkelbraunen Haars, das praktisch die gleiche Länge wie Cees hat, hinter die Ohren. »Als ich dir das wegen Dylan erzählt habe ... ich wollte nicht, dass du zu ihm fährst und ihn verhaust.«

      Fassungslos starre ich sie mit zusammengezogenen Brauen an. »Warum nicht? Er hat es verdient.«

      »Mittlerweile bin ich anderer Ansicht.« Sie lächelt schwach, legt dabei den Kopf schräg und schielt zu Cécile, die sich gerade mit Mom unterhält. Dann sieht sie wieder mich an. Ihre grünen Augen haben einen flehenden Ausdruck angenommen. Warum werde ich gleich erfahren. »Sie haben sich wieder versöhnt –«

      »Was?!« Ich wirble herum, damit ich meine Schwester zur Rede stellen kann.

      Gerade als ich anfangen will, sie zusammenzustauchen, wird der Startschuss abgegeben. Die Rollstuhlfahrer sind gestartet und preschen über die Tartanbahn. Um mich herum beginnen die Zuschauer die Wettkämpfer anzufeuern.

      Na warte Schwesterherz, nachher wirst du was zu hören bekommen.

      Hat schon sein Vorteil so groß zu sein. Ich kann über die Köpfe der anderen sehen und entdecke Dad. In diesem Moment rauscht er an uns vorbei. Auf dem Rücken prangt seine Glückszahl in schwarzen Zahlen auf weißem Hintergrund.

      »Hopp Vierundzwanzig!«

      »Mach schon Dad!«

      »Los, los, los John!«

      »Zeig es ihnen, Schatz! Ich liebe dich!«

      In ohrenbetäubender Lautstärke feuern wir ihn an, als ginge es hier um unser Leben. Oder eher um sein Leben? Diese Wettkämpfe retten ihn vor Depressionen. Sein größtes Ziel ist ein Platz auf dem Siegerpodest, und ich drücke ihm die Daumen, dass ihm sein Wunsch bald in Erfüllung geht. Vor einem Monat war er ja schon mal vierter – bis jetzt seine beste Leistung.

      Chase streckt sein Handy in die Höhe und filmt. Cee steckt sich ein paar Finger zwischen die Lippen und gibt einen lauten Pfiff von sich, während ich mir die Hände vor den Mund halte und einen Trichter bilde. »Schneller Vierundzwanzig! Du schaffst das!« Ich würde gerne rufen: »Mach sie fertig!«. Allerdings befürchte ich, würde das bei den anderen Zuschauern nicht gut ankommen. Daher schreie ich einfach immer wieder dasselbe. Bis die letzte Kurve kommt, bin ich heiser. Egal, meine Hopp-Rufe werden schneller, wie auch das Tempo der sechs Teilnehmer. Wenn Dad jetzt unter den ersten drei durchs Ziel kommt, ist er eine Runde weiter. Ich halte die Luft an und drücke die Daumen. Der erste ist soeben über die Linie. Dad kämpft Kopf an Kopf mit zwei anderen um den zweiten, dritten und vierten Platz.

      »Bitte Dad, bitte«, flüstere ich, bete beinahe.

      Em boxt mir ihren Ellbogen in die Seite, als ich nicht reagiere. Verwundert sehe ich auf sie hinab. Sie strahlt mich an, und erst da merke ich, dass Dad auf dem zweiten Platz gelandet ist.

      Die Zuschauer verteilen sich in alle Richtungen. Nach einigen Minuten kommt Dad mit feuchter Stirn zu uns. Mom reicht ihm sofort ein Handtuch, mit dem er sich den Schweiß abwischen kann, ehe sie ihn ganze fünf Minuten lang abknutscht.

      »Lass ihn wieder mal Luft holen, Mom«, meint Coben mit verzogenem Gesicht.

      Mom lächelt nur, drückt Dad nochmal einen langen Kuss auf den Mund und hält ihm dann eine Flasche Wasser hin. »Ich bin wahnsinnig stolz auf dich«, meint sie, fährt ihm mit der Hand über die Wange, bevor sie uns Platz macht.

      Ich klopfe ihm stolz auf die Schulter. »Unglaublich, Dad. Das war vielleicht ein Rennen.«

      Er strahlt, als er nickt. »Die letzten paar Metern waren ein hartes Stück. Ich dachte schon, ich würde mir trotz Handschuhe die Hände verbrennen, so heiß wurde es unter meinen Finger.«

      »Angeber«, meint Kyle lachend.

      Wir fallen alle in sein Lachen ein. Ich lasse meinen Blick über meine Familie schweifen. Mich überkommt ein warmes Gefühl, während ich in die erfreuten Gesichter blicke. Und zum allerersten Mal in meinem Leben frage ich mich, ob ich auch irgendwann eine eigene haben werde.

      Sofort schüttle ich den Gedanken wieder ab. Ich liebe meine Familie, aber selbst eine? Nein. Dafür bin ich nicht stark genug - in vielerlei Hinsicht.

      Da Dad erst wieder in neunzig Minuten antreten muss, suchen wir uns einen Platz, wo wir uns hinsetzen und etwas essen können. Es werden Witze gerissen, Sachen hin- und hergeworfen und Mahnungen von Mom ausgesprochen, die jedoch niemand ernst nimmt. Ich mag solche Sonntage, wo alle zusammensitzen und glücklich sind. Ich mag es, wie Cécile strahlt, trotzdem werde ich noch ein Hühnchen mit ihr rupfen müssen.

      Dad macht sich fertig für seinen nächsten Wettkampf, wir anderen positionieren uns wieder an der Seite, um ihn mit unseren ohrenbetäubenden Schreien und Rufen anzuheizen.

      An der Startlinie haben sich wieder sechs in Stellung gebracht, warten darauf, dass endlich der Startschuss fällt. Gegen den einen

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