Echte Kerzen wären schon schöner. Neue Weihnachtsgeschichten. Ingrid Kaltenegger

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Echte Kerzen wären schon schöner. Neue Weihnachtsgeschichten - Ingrid Kaltenegger Reclam Taschenbuch

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sein müssen. Als er bemerkte, dass keine anderen Menschen mehr im Wagen waren, sie und der Fahrer waren die Einzigen, blieb die Straßenbahn auch schon stehen, und die Türen gingen auf. Durch den Lautsprecher schallte eine Ansage, aber Bassam verstand kein Wort und beschloss, einfach sitzen zu bleiben und abzuwarten.

      Der Fahrer öffnete die kleine Tür und kam nach hinten in den Wagen. Sanna hielt Bassams Hand und schaute den Mann neugierig an, der sich vor die Kinder stellte und zu reden begann. Bassam verstand nur wenige Worte, kaputt, Garage, aussteigen. Der Fahrer deutete mit dem Arm in Richtung Tür, und da packte Bassam seine kleine Schwester und sprang mit ihr aus dem Wagen.

      Sie standen in einer Halle, in der sich lauter Straßenbahnen befanden, wahrscheinlich war das eine Art Garage für Straßenbahnen, dachte Bassam und ging zielstrebig in Richtung Ausgang.

      »Komm Sanna, komm mit, wir müssen zurück, damit wir den richtigen Weg finden.«

      »Ja, Bassam.«

      »Wir suchen uns einfach die Station in die andere Richtung und fahren wieder zurück. Dann erkenne ich es bestimmt wieder, und ich weiß, wo wir umsteigen müssen.«

      »Ja, Bassam.«

      Die Mutter hatte ihm genau zwei Straßenbahnfahrscheine mitgegeben, einen für die Hinfahrt, einen für die Rückfahrt. Sanna war noch klein, sie brauchte keinen. Doch er wusste – die Mutter hatte es ihm erklärt –, dass ein Fahrschein immer nur in eine Richtung zählte, er hatte seinen schon entwertet, das Zurückfahren war also verboten. Doch sie hatten keine Wahl. Er wechselte die Straßenseite, hielt dabei die kleine Schwester fest an der Hand, und nach kurzer Zeit kamen sie an eine Kreuzung mit einer Straßenbahnhaltestelle. Bassam achtete nicht auf die Nummer der Linie, er war froh, als ein Wagen um die Kurve bog und sie rasch hineinspringen konnten. Kalt war es geworden, der Wind pfiff durch ihre dünnen Jacken, wenigstens Sanna hatte eine Mütze auf. Bassam zog die Kapuze seines Pullis tief ins Gesicht.

      Es waren wenige Leute in der Straßenbahn, und die Kinder setzten sich ganz nach hinten. Schließlich hatte Bassam keinen gültigen Fahrschein, da wollte er nicht in der Nähe des Fahrers sitzen. Wer weiß, vielleicht durfte der auch kontrollieren?

      Lange fuhren sie. Bassam sah aus dem Fenster, verzweifelt hoffend, dass ihm irgendetwas bekannt vorkommen würde, ein Haus, ein Geschäft, eine Haltestelle. Doch genauso angespannt blickte er immer wieder zur Tür, um einen Kontrolleur gleich zu erkennen. Dass diese ganz normal aussahen, wusste er, sein Vater und er waren einmal kontrolliert worden. Der Mann damals hatte keine Uniform angehabt, war eigentlich recht freundlich gewesen. Er hatte nur kurz die Fahrscheine angesehen, genickt und war weitergegangen.

      Inzwischen waren sie schon sehr lange unterwegs, und die Stadt sah ganz fremd aus. Es gab kaum Häuser, dafür viel mehr Bäume, und die Abstände zwischen den Stationen wurden länger. Plötzlich zog ihn Sanna am Ärmel und deutete begeistert nach draußen:

      »Schau mal, Bassam! Es schneit!«

      »Ja, Sanna, ich sehe es. Jetzt sei schön still, ich muss aufpassen, dass ich die richtige Station nicht verpasse.«

      Bassam wusste längst nicht mehr, welche die richtige Station war. Er hatte keine Ahnung, wo sie sich befanden und was er jetzt tun sollte. Das Wichtigste jedoch erschien ihm, ruhig zu bleiben, damit Sanna nur keine Angst bekam. Sie vertraute ihrem Bruder vollkommen und war überhaupt nicht beunruhigt, baumelte mit ihren kurzen Beinen und zeichnete Striche an die angelaufene Fensterscheibe. Da stieg ein Mann ein, mit dicken Stiefeln und einer blauen Mütze auf dem Kopf, und als Bassam ihn erblickte, erfasste ihn Panik. Das musste einer der Kontrolleure sein, der Junge war sich sicher. Stiefel und Mütze trug er, weil er den ganzen Tag draußen unterwegs sein musste. Der Wagen stand noch in der Station, der Mann machte keine Anstalten, sich zu setzen und schaute in ihre Richtung, da packte Bassam seine kleine Schwester am Arm, riss sie vom Sitz und drückte den Knopf an der Tür. »Wir müssen hier raus, komm schnell«, rief er und sprang mit Sanna an der Hand aus dem Wagen. Hinter ihnen schlossen sich die Türen, die Straßenbahn fuhr davon.

      Inzwischen war der Schneefall dichter geworden, und nun erst bemerkte Bassam, dass es fast schon dunkel war. Wie spät es wohl war? Er hatte keine Uhr und auch kein Zeitgefühl, wusste nur, dass sie längst hätten zu Hause sein müssen, die Eltern würden sich schreckliche Sorgen machen und ihn ausschimpfen.

      Sanna schien das alles wenig auszumachen. Sie lachte, trat auf den weichen Flaum, suchte mit dem Fuß absichtlich jene Stellen, wo er dichter zu liegen schien, hob ihr Gesichtchen gegen den Himmel und versuchte die dicken Flocken mit der Zunge zu fangen.

      Sie waren in einem Teil der Stadt, in dem Bassam noch nie gewesen war, ja, er wusste nicht einmal, dass es hier solche Gegenden gab. Es sah alles ganz anders aus als bei ihnen zu Hause. Große Häuser für reiche Leute, davor parkähnliche Gärten, riesige Bäume, die ihre kahlen Äste in den dunklen Himmel streckten.

      Inzwischen fiel der Schnee so dicht, dass Sannas rote Jacke schon ganz weiß war, ihre Schuhsohlen knirschten beim Gehen, der Boden war ebenmäßig mit dem weißen Pulver bedeckt. Sie war immer noch begeistert, und Bassam war froh, dass seine kleine Schwester anscheinend keine Angst hatte, war er mit seiner eigenen Angst doch schon beschäftigt genug.

      Der Weg führte ein wenig aufwärts, und warum Bassam in diese Richtung ging, konnte er nicht sagen. Vielleicht dachte er, dass man von oben einen Überblick haben und er dann den Weg nach Hause finden würde. Hinter ihnen sah man die Fußspuren nur noch ganz kurze Zeit, so rasch wurden sie vom Schnee bedeckt.

      »Ich sehe keine Häuser mehr, Bassam.«

      »Vielleicht sind nur die Gärten hier so groß, dass wir sie wegen des Schneiens nicht sehen können.«

      »Ja, Bassam.«

      »Wir werden jetzt den Weg zurückgehen und die Straßenbahn suchen. Ich habe zwar keinen Fahrschein mehr, aber ich kann ja den Leuten erzählen, dass wir uns verlaufen haben.«

      »Wo sind wir denn, Bassam?«

      »Ich weiß es nicht, aber ich bring dich schon heim.«

      »Ja, Bassam.«

      Doch sie fanden nicht mehr zurück zur Station, rings um sie herum war nichts als das brennende Weiß, überall das Weiß, das einen immer kleineren Kreis um sie zog und dann in einen lichten, streifenweise niederfallenden Nebel überging, der alles Weitere verhüllte.

      Irgendwo waren die Kinder falsch abgebogen, und so liefen sie immer weiter weg von der Station, deren Straßenbahn sie wieder zurück in die Stadt gebracht hätte. Niemand war auf den Straßen, sie sahen kaum Häuser und stapften leicht bergan durch das dichte Schneetreiben. Das kleine Mädchen ging ohne Murren neben Bassam, bemüht, mit ihm Schritt zu halten. Er wechselte immer wieder die Hand und wies seine kleine Schwester an, die andere in die Jackentasche zu stecken, damit sie nicht zu kalt werde. Irgendwann blieb er stehen, hängte seinen Anorak an einen Gartenzaun, befahl Sanna, es ihm mit ihrem Jäckchen gleichzutun, schlüpfte aus seinem Kapuzenpulli und streifte ihn Sanna über den Kopf, bevor er die Jacke wieder über sein T-Shirt zog. »Der ist mir doch viel zu groß«, kicherte sie und schlenkerte mit den Ärmeln. »Das macht nichts«, sagte Bassam, half ihr, die Jacke wieder anzuziehen, und klopfte den nassen Schnee von ihrer Mütze. »Steck jetzt schön deine Hände in die Ärmel, sonst erfrieren sie.«

      Inzwischen war es ganz und gar dunkel geworden, die Kinder wussten nicht, wie lange sie schon unterwegs waren, und vor allem Sanna war erschöpft. »Sind wir bald zu Hause?«, fragte sie den Bruder, der erneut versuchte, sie zu beruhigen. Längst hatte

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