Echte Kerzen wären schon schöner. Neue Weihnachtsgeschichten. Ingrid Kaltenegger

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Читать онлайн книгу Echte Kerzen wären schon schöner. Neue Weihnachtsgeschichten - Ingrid Kaltenegger страница 5

Echte Kerzen wären schon schöner. Neue Weihnachtsgeschichten - Ingrid Kaltenegger Reclam Taschenbuch

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waren seitlich an den Bänken vorbeigegangen, magisch angezogen von dem großen Tisch ganz vorne, von den Blumen und den Kerzen. Und weil es so dunkel war, sahen sie den großen Baum erst, als sie direkt davorstanden. Geschmückt mit Strohsternen und silbernen Kugeln stand der Tannenbaum links vor dem Tisch. Sanna blieb ehrfürchtig stehen, streckte immer wieder ihre kleine Hand aus, berührte eine Kugel, strich über einen der Zweige, und dann begannen ihre Augen zu leuchten. Bassam sah es, obwohl es so dunkel war. Er folgte ihrem Blick und entdeckte das Baby, das in einer Futterkrippe lag, daneben ein Mann und eine Frau, die sich über das Kind beugten. Natürlich wusste Bassam, dass es keine echten Menschen waren, sie waren ja auch viel kleiner und aus Holz, aber trotzdem. Das Kind hatte große blaue Augen und Locken und sah so schön aus, dass man meinen konnte, es schliefe da wirklich ein Kind auf seinem Bett aus Stroh. Sanna stieg über den kleinen Zaun und hockte sich direkt vor das Kind, gleich neben seine Mutter aus Holz. Und obwohl Bassam wusste, dass dies bestimmt verboten war, sagte er nichts und tat es seiner Schwester gleich. »Schau mal, Bassam, da ist auch eine Kuh und ein Esel, und das Baby liegt auf einer Decke.« Das Mädchen berührte das Gesicht des Kindes so vorsichtig und zärtlich, dass man meinen konnte, sie glaubte, es wäre ein echtes.

      Vergessen schienen die Kälte und die Müdigkeit, Sanna hockte glückselig vor der Krippe und betrachtete alles genau. »Was macht das kleine Baby hier, Bassam?«

      Er erinnerte sich an die Geschichte von der Geburt des Jesuskindes zu Weihnachten und dass seine Eltern arm und auf der Flucht gewesen waren, und dies versuchte er seiner Schwester so langatmig wie möglich zu erzählen, so dass sie alles andere ringsherum vergessen mochte. »Und deswegen feiert man hier Weihnachten, weil da das Jesuskind geboren wurde«, beendete er schließlich seine Geschichte. Da sagte Sanna:

      »Wir waren auch auf der Flucht, oder? Als wir zu Papa gezogen sind, da waren wir auf der Flucht.«

      Bassam sagte nichts, konnte er sich doch noch daran erinnern, wie die Mutter der kleinen Schwester damals immer von einer großen Reise erzählt hatte, einem aufregenden Abenteuer, aber Sanna hatte anscheinend genau gewusst, warum sie diesen langen Weg auf sich genommen hatten.

      Wie er da so erzählte und auch ein wenig nachdachte, setzte sich Sanna auf den Boden und grub ihre Füße unter das Stroh, das rund um die Figuren ausgestreut war. Da kam Bassam eine Idee: Er schob das Stroh in einer Ecke zusammen, nahm das Jesuskind vorsichtig hoch und zog die graue Decke darunter hervor. »Da Sanna, hier kannst du dich hinlegen und ein bisschen schlafen, das Stroh ist weich, und ich decke dich damit zu.«

      Die kleine Schwester sah ihn dankbar an und streckte sich im Nu aus. Er wickelte die Decke um ihren Körper, zog ihr die Kapuze über den Kopf und setzte sich ganz nah zu ihr. Sie plapperte noch ein bisschen über Weihnachten, dass sie auch einen Christbaum wollte und das Jesuskind liebte, und war in Windeseile eingeschlafen.

      Bassam aber saß da, streckte seine kalten Füße ein wenig unter Sannas Körper, der sich schon viel wärmer anfühlte, und dachte nach. Was würden wohl Mutter und Vater jetzt tun? Wie spät mochte es nun sein? Mitten in der Nacht, das wusste er, aber waren sie schlafen gegangen? Suchten sie nach ihnen? Gemeinsam mit der Tante? Doch wo sollte man sie denn suchen, in dieser großen Stadt. Er wusste ja gar nicht, ob sie überhaupt noch in der Stadt waren, schließlich sah das hier alles so anders aus. Würden sie mit ihm schimpfen? Ihm die Schuld geben? Vielleicht waren sie auch zur Polizei gegangen, obwohl er das nicht glaubte, denn er wusste, dass seine Eltern Angst vor der Polizei hatten, auch wenn sie das nie sagten. Aber er spürte das, wie sie ihn immer an der Hand nahmen, wie sie schnell die Straße überquerten, wenn der Polizist am Weg zur Straßenbahn an der Ecke stand, obwohl dieser ihn schon einmal freundlich angelächelt hatte.

      Ein ganz kleines bisschen würde er jetzt auch die Augen zumachen, hier war es ja wärmer, sie würden schon nicht erfrieren, und Sanna hatte er fest eingewickelt. Morgen früh, wenn es hell war, dann würde er den Weg finden, dann würde er jemanden fragen und seinen Eltern alles erklären …

      »Oh mein Gott! Was ist das denn?«

      Bassam schreckte aus dem Schlaf hoch und sprang auf die Beine, die fast unter ihm nachgaben, so kalt waren sie inzwischen geworden. Vor ihm stand ein großer, dicker Mann mit einem Bart und starrte ihn an. Für einen Moment bewegte sich keiner von ihnen, Bassam war wie gelähmt. Es fiel ihm auch kein einziges Wort ein, zumindest nicht in der Sprache, die der Mann verstehen würde. Und dann bewegte sich Sanna zu seinen Füßen, wühlte sich aus ihrer Ecke, setzte sich auf, gähnte und streckte die Arme von sich, gerade so, als wäre sie zu Hause in ihrem eigenen Bett und müsste jetzt aufstehen, um in den Kindergarten zu gehen.

      »Was, in Gottes Namen, macht ihr hier, Kinder? Was macht ihr in unserer Krippe?«

      »Wir sind Bassam und Sanna und haben uns verlaufen«, antwortete Bassam in seinem besten Deutsch, und Sanna riss die Augen auf und fragte:

      »Bist du Gott?«

      INGRID KALTENEGGER

      Momenti divini

      Nel mezzo del cammin di nostra vita

      mi ritrovai per una selva oscura

      chè la diritta via era smarrita.

      Auf der Hälfte des Weges unseres Lebens

      fand ich mich in einem finsteren Wald wieder,

      denn der gerade Weg war verloren.

       Die Göttliche Komödie, Inferno, Dante Alighieri

      Ich hätte darauf bestehen sollen, dass Nico die Funzel im Flur austauscht.

      »Die Decke ist fünf Meter hoch, Carmen, und eine Energiesparbirne hält ewig.«

      Dadurch unterscheidet sich die Energiesparbirne von allem anderen. Die Leiter hat er mitgenommen.

      Ein handgeschriebenes Kuvert unter den Rechnungen und Prospekten. Die Musikschule. Immerhin. Wünscht mir ein frohes Fest und hofft auf gute Zusammenarbeit im neuen Jahr. Aha.

      Kann ins Altpapier.

      Ich schlüpf aus den Stöckeln und trage die Einkäufe ins Wohnzimmer. Billa, Billa, Sapori d’Italia, Douglas, Douglas, Douglas, Brot. Eine der nachhaltigen Tragetaschen bleibt aufrecht stehen. Da ist Tonicwater drin, eine Gurke und zwei Flaschen Gin, in Geschenkpapier. Mit Selbstbetrug hat das nichts zu tun. Selbstschutz trifft es eher. Du weißt nie, wer dich beim Einkaufen sieht. Deshalb auch die Pumps, au.

      In der Tasche vom italienischen Feinkosthändler nur eingelegtes Gemüse in durchsichtigen Plastiktöpfchen – die Oliven, der Wahnsinn – und ein Panettone. Den hat mir die Verkäuferin dazugepackt, strahlend, diesen Kuchen in der Schachtel. Als Geschenk für treue Kundinnen. Dabei war ich das ganze letzte Jahr nicht dort. Außerdem mag ich keine Aranzini. Rosinen auch nicht. Trockenfrüchte generell.

      Apropos.

      Bei Douglas verpacken sie die Geschenke heuer mattschwarz mit glänzenden Schleifen. Eigentlich wollte ich nur die Meeresalgenmaske kaufen. Ich weiß wirklich nicht mehr, was in den sechzehn anderen Päckchen ist. Umso besser, Überraschung muss sein.

      Ah, das Badekugel-Sortiment. Hübsch. Sehen aus wie Pralinés oder kleine Törtchen aus Seife, in Blüten gewälzt. Zimt, Orange, Vanille. Divine Moments. Da fällt mir auf, es ist ja still.

      Ausnahmsweise hämmert keine elektronische

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