Echte Kerzen wären schon schöner. Neue Weihnachtsgeschichten. Ingrid Kaltenegger

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Читать онлайн книгу Echte Kerzen wären schon schöner. Neue Weihnachtsgeschichten - Ingrid Kaltenegger страница 4

Echte Kerzen wären schon schöner. Neue Weihnachtsgeschichten - Ingrid Kaltenegger Reclam Taschenbuch

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in einem der parkähnlichen Gärten.

      »Können wir nicht irgendwo klingeln und dann Mama anrufen?« Sanna war stehen geblieben und starrte durch ein hohes schmiedeeisernes Tor in einen Garten. Leuchtete da ein Fenster durch das Schneegestöber?

      »Nein, Sanna, das können wir nicht.«

      »Warum nicht?«

      »Sie mögen uns nicht.«

      »Wer mag uns nicht?«

      »Die Österreicher, die hier wohnen. Sie mögen uns nicht. Das sagt die Mama immer.«

      »Sie kennen uns gar nicht!«

      »Das ist, weil wir Ausländer sind. Flüchtlinge.«

      Bassam nahm Sanna noch fester an die Hand und führte sie schnellen Schrittes vom Zaun weg. Sie zog die Schultern hoch und folgte ihm.

      Nur noch wenige Häuser sah man jetzt, und in der letzten Stunde war kein einziges Auto an ihnen vorbeigefahren. Sanna schien im Gehen zu schlafen und setzte müde einen Fuß vor den anderen; und so stark Bassam auch war, er konnte seine Tränen kaum mehr zurückhalten.

      »Schau mal, Bassam, da vorne sind lauter kleine Lichter.«

      »Wo denn, Sanna?«

      »Na, da.« Sie war stehen geblieben und wies mit dem Arm nach vorne, der lange Ärmel baumelte nach unten.

      Nun sah auch Bassam die vielen kleinen Lichter, die zwischen den Schneeflocken und der Dunkelheit flackerten, und ohne zu wissen, was das war, wurden die Kinder magisch davon angezogen. Als sie durch das schmiedeeiserne Tor getreten waren, blieben sie nach wenigen Schritten stehen und sahen sich um. Soweit das Auge reichte, sah man Steine, dazwischen Kreuze, die sich dunkel, fast schwarz gegen den Himmel abhoben. Und überall kleine Lichter, die flackernde Schatten auf die Steine warfen.

      »Bassam, was ist das?«

      »Das ist ein Friedhof, Sanna.«

      »Was ist ein Friedhof?«

      »Da werden die Toten begraben. Weißt du das denn nicht?«

      »Doch, schon. Aber ich hab noch nie einen gesehen.«

      Bassam überlegte kurz, dann fiel ihm ein, dass er in seiner alten Heimat öfter mit seiner Großmutter auf dem Friedhof gewesen war, um das Grab seines Großvaters zu besuchen. Sanna war damals noch gar nicht auf der Welt oder zu klein gewesen; und in ihrer neuen Heimat gab es kein Grab, das sie besuchen konnten.

      »Schau mal, wie schön das ist.« Sanna ließ Bassams Hand los und lief ohne Furcht zwischen den Gräbern davon. »Die Lichter, sie flackern so schön.«

      »Sanna! Komm zurück! Es ist dunkel, du könntest verloren gehen. Das ist gefährlich!« Bassam rannte ihr nach, und seine Stimme war voller Angst.

      Da holte er sie ein, und beide Kinder fanden sich am Abgrund einer tiefen Grube wieder. Sanna wankte ein wenig, Bassam zog sie zurück.

      »Schau, ich sage ja, das ist gefährlich. Wir könnten in eine Grube fallen, dann tun wir uns weh und kommen nicht mehr raus. Weine nicht, ich bitte dich, weine nicht. Wir suchen uns einen trockenen Platz, und dann essen wir die Dinge, die uns die Khala mitgegeben hat.«

      Er nahm die kleine Schwester am Arm und führte sie von der Grube weg in Richtung eines Gebäudes, das er ein Stück weiter weg gesehen hatte. Es war eine kleine Kapelle, und Bassam hielt den Atem an, als er die schwere Türklinke nach unten drückte. Sie gab nach, und die Tür öffnete sich langsam, nachdem er mit seinem ganzen Gewicht dagegengedrückt hatte.

      »Schau, Sanna, jetzt wird alles gut. Da drinnen ist es ein bisschen wärmer, da können wir uns den Schnee abschütteln und unsere Brote essen. Vielleicht finden wir auch etwas zu trinken.«

      »Ja, Bassam.«

      »Komm, ich schüttle dir den Schnee ab, damit du nicht ganz nass wirst. Und dann setzen wir uns hin und essen.«

      »Ja, Bassam.«

      »Wir dürfen aber nicht schlafen, es ist zu kalt. Ich hab in einem Buch gelesen, dass man erfrieren kann, wenn man einschläft.«

      »Nein, ich werde nicht schlafen«, sagte das Mädchen matt.

      Erst als sie sich hingesetzt hatten, merkten sie, wie müde sie inzwischen waren. Bassam wickelte die Brote aus dem Papier, auch zwei Mandarinen und eine kleine Tafel Schokolade waren dabei. Sanna aß begierig, erst eines der Brote, dann von dem zweiten auch noch einen Teil. Den Rest reichte sie Bassam, als sie sah, dass er nicht aß. Er nahm es und aß es auf. Von da an saßen die Kinder und schauten sich um.

      »Können wir uns auf eine Bank setzen?«, fragte Sanna. Sie stellte sich in den Mittelgang und streckte die Arme in beide Richtungen aus. »Warum sind hier so viele Bänke? Ist das eine Schule?«

      »Nein, du Dummerchen. Das ist eine Kirche. Hierher kommen die Menschen, um zu Allah zu beten. Und in den Bänken können sie sitzen.«

      »Aber in der Moschee gibt es keine Bänke. Ich bin kein Dummerchen.«

      »Ja, du hast recht. Das ist aber auch eine Kirche und keine Moschee.«

      Sie kletterten in die hintere Reihe, Bassam stellte seine Füße auf das kleine Bänkchen, und Sanna lehnte sich an ihn.

      »Ich werde dir eine Geschichte erzählen, damit du nicht einschläfst.«

      »Ja, Bassam.«

      Er erzählte ihr von ihrem Haus in Aleppo, von den weißen Mauern, die den Hof umschlossen, und von den Orangenbäumen, die im Garten wuchsen. Von der Großmutter, deren Bild in seinem Inneren immer mehr verblasste, und von den Ausflügen ans Meer, die sie manchmal unternommen hatten. Nach einer Zeit empfand er ein sanftes Drücken gegen seinen Arm, welcher immer schwerer wurde. Sanna war eingeschlafen und lehnte sich an ihn.

      »Sanna, schlaf nicht, ich bitte dich, schlaf nicht«, sagte er.

      »Nein«, lallte sie schlaftrunken, »ich schlafe nicht.«

      Er rückte weg von ihr, um sie in Bewegung zu bringen, sie aber sank um und hätte auf der Bank liegend weitergeschlafen, wenn er sie nicht an der Schulter genommen und gerüttelt hätte. »Komm, Sanna, wir sehen uns die Kirche jetzt an. Wir gehen rundherum und schauen uns alle Bilder an. Dann werden wir wieder wach.«

      »Ich mag nicht mehr gehen, Bassam. Ich bin so müde, und kalt ist mir auch.«

      »Ja, Sanna, ich weiß. Aber ich zeig dir alles, schau mal, da sind Bilder von Engeln, und diese Frau da, das ist die Maria.«

      »Wer ist Maria?«

      »Ich weiß es auch nicht genau. Die Mama von Jesus.«

      »Ich will zu Mama, Bassam.« Das Wort Mama war wohl zu viel für Sanna, sie zog den Kopf zwischen die Schultern und begann zu weinen.

      »Ich weiß, hör auf zu weinen. Bald ist die Nacht vorbei, dann gehen wir den Weg wieder zurück und fragen jemanden. Mama

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