Die Sanduhr in meinem Kopf. Michael Bohm
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Dafür, dass ich kein Römer war, hatte ich viel erreicht, was auch meiner besseren Bildung – ich konnte lesen und schreiben – zu danken war. Ich hatte die Führung über zwanzig Soldaten, Teil einer Kohorte, die im Kastell Massalia (Marseille) stationiert war, um einen bestimmten Strandabschnitt und das dahinter liegende Land bis zum nächsten Schnittpunkt zu kontrollieren.
Seit Tagen wurden wir von wütendem Sturm und peitschendem Regen heimgesucht, zu dieser Jahreszeit allerdings kaum ungewöhnlich. Bist du bei diesem Wetter als Soldat auf einem Kontrollgang, musst du die Unbilden stoisch hinzunehmen lernen.
Ich hatte die Protokolle vom Abend und dem ersten Teil der Nacht fertig gemacht, mich gerade eben auf die Pritsche gelegt. Wieder einmal war ich hundemüde, hatte keinen dankbaren Gedanken übrig für die Wohltat der kurzen Ruhezeit im Trocknen und Warmen, da fühlte ich mich an der Schulter gepackt und angerufen.
Noch duselig im Kopf erfasste ich, es ging um ein Schiff, das den Felsen zu nahe gekommen und zerschellt war. Darauf eingeübt im Schlaf noch richtig zu funktionieren, sprang ich vom Lager, warf mir den noch feuchten Umhang über, stülpte mir den breiten Hut auf den Kopf. Gleich waren wir draußen in der so hässlichen wie finsteren Nacht. Sturm und Regen kamen immer noch vom Meer her. Besser würde es erst, wenn sich die Richtung änderte.
Wir stolperten zu viert tief gebückt dem Wald entgegen, der uns für eine Weile gegen den Wind schützte. Gleich darauf waren wir am oberen Strand, jetzt als Winzlinge den bösen Riesen hilflos ausgesetzt.
Wir eilten den flachen Hang im nassen Sand hinunter. Vor uns tauchten als dunkle Ungeheuer die schroffen Felsen auf. Die wildschäumenden Wellen umspülten immer wieder unsere Füße. Wir achteten nicht darauf, starrten in das diffuse Dunkelgrau, in dem wir das zerschlagene Segelschiff mehr ahnten als sahen. Wir konnten keine Lebenszeichen am Wrack erkennen. Nur ein helles Blitzen war hin und wieder auszumachen, die zerfetzten Reste des Segeltuchs.
Aus Erfahrung war uns klar: Zu machen war da im Moment nichts. Wir wandten uns ab, stapften im nassen Sand mit krummen Rücken den Strand entlang bis zu der Stelle, wo wir über uns die Höhlen wussten. Sehen konnten wir sie nicht. Dennoch zog es mein Gesicht in die Höhe, setzte es ungeschützt dem Regen aus. Ahnte ich da schon das Ungewöhnliche, das dort oben wartete und mein Leben verändern sollte?
Wir kehrten dem Sturm den Rücken und traten den Rückzug an.
Stunden später, der Sturm war zu einem harmlosen Wind geworden, der Regen kaum noch der Rede wert, der Himmel heller, ich saß am Tisch und schrieb, da wurden zwei fremde Männer in den Raum geführt. Mir wurde gesagt, sie seien vom Strand her ins Dorf gekommen. Immer wieder hätten sie vergeblich versucht, Kontakt aufzunehmen.
Die Fischer hier sprachen ihren Dialekt. Sie konnten kein Latein. Und die Fremden sprachen gutes Latein, was auf bessere Kreise, nicht auf Seeleute schließen ließ. Sie standen mitten im Raum, ich hörte ihnen vom Tisch aus zu, was sie zu sagen hatten.
Meine erste Vermutung, sie stammten von dem zwischen die Felsen geschleuderten Schiff, stellte sich schon nach den ersten Sätzen als richtig heraus. Sie hatten sich an Land gerettet, dem Himmel sei Dank. In einer der Höhlen über dem Strand hatten sie Zuflucht gefunden. Ihre Namen gaben die Männer mit Joseph und Lazarus an. Mit ihnen waren drei Frauen, ein kleines Kind und ein Seemann, der sie mit dem Segelschiff über das Meer gebracht hatte, gekommen. Dieser hatte sich bei der Rettung der Frauen verletzt. Er lag in der Höhle und brauchte Hilfe.
Für mich gab es also zwei Gründe, um unverzüglich aufzubrechen: zum einen der Verletzte, zum anderen, um mich mit meinen Augen zu versichern, ob die Männer die Wahrheit sagten. Die Schmuggler, von denen es nicht wenige gab, waren ziemlich findig und geschickt, um uns immer wieder an der Nase herumzuführen.
Wir waren zu Dritt, geführt von den Fremden. Als wir den Felsen näherkamen, brach der erste Sonnenstrahl durch die dahinfliegenden grauen Wolken. Vor dem Höhleneingang setzten zwei Männer Fackeln in Brand. Vorsichtig gingen wir in das vor uns liegende Dunkel. Unsere Augen gewöhnten sich an das flackernde Licht der Fackeln. Wir sahen drei Frauen und einen am Boden liegenden Mann.
Die eine Frau hatte einen Säugling im Arm, eine war tief Schwarz mit großen erschrockenen Augen, die dritte bemühte sich um den auf dem harten Fels liegenden Mann. Es war nicht zu übersehen, dass alle jämmerlich froren.
Es dauerte eine ganze Weile und kostete einige Anstrengung, um die Schiffbrüchigen, vor allem den Verletzten in Sicherheit zu bringen. Wir brachten die Fremden in einem Nebengebäude unseres Hofes unter, sorgten für Feuer, Essen und Trinken, und ließen vom Heilkundigen den Verletzten untersuchen. Er hatte sich ein Bein gebrochen und mehrere Schnittwunden durch die scharfen Felskanten erlitten.
Während das alles geschah, saß ich in meinem Raum, dachte nach. Zweifel hatte ich keine mehr, dass diese Menschen Flüchtlinge waren. Ihre Angabe, sie stammten aus Palästina, also aus einer römischen Provinz, musste ich erst einmal glauben. Ich hatte keine Möglichkeit, das zu prüfen.
Erst am nächsten Tag fand ich die Gelegenheit ohne Zeugen mit dem Mann, der sich Joseph nannte, zu reden. Er war hochgebildet, sprach das reine Latein der Elite, war diplomatisch, versteckte sehr geschickt Fakten hinter allgemeinen Worten. Das Wort Flucht kam bei ihm nicht vor. Er behauptete, Kaufmann zu sein. Was natürlich wahr sein konnte.
Ich machte schließlich dem Getue ein Ende mit der Bitte, mir die Frauen vorzustellen. Wir gingen über den Hof, Joseph schritt voraus in das kleine Haus, winkte mich gleich darauf hinein. Die Frauen saßen auf der Bank an der Feuerstelle.
Da war Mirjam, die Frau mit dem Kleinkind. Sie schien der Mittelpunkt der Gruppe zu sein. Auch Joseph begegnete ihr mit auffallender Ehrfurcht. Martha war eine stille, auch noch junge Frau, und die schwarze Frau, Sarah, ihre Dienerin.
Es wurde mir erst einige Zeit später klar, dass das Kind, das sie David nannten, der unbedingte Mittelpunkt des kleinen Kreises war. Lazarus, ein netter, fröhlicher Mann, bezeichnete das Kind eines Tages, wohl aus Unachtsamkeit, als Heiliges Blut. Das war schon zu einer Zeit, als ich mir über den Sinn hinter dem Versprecher bereits einen Reim machen konnte.
Ich hatte mir keine Eile auferlegt, um über den Schiffbruch und die betroffenen Menschen nach Massalia zu berichten. Meine Worte dazu klangen harmlos und es wurde nie nachgefragt. Ich konnte weiterhin meine Hände über die Fremden halten. Sie stellten keine Gefahr dar, obwohl ich mir sicher war, dass sie ein Geheimnis hatten, das unmittelbar mit ihrer Fahrt über das Meer zusammenhing.
Nachdem die Fremden ihre Besonderheit im kleinen Fischerdorf verloren hatten, sich niemand mehr mit neugierigen Augen nach ihnen umdrehte, ihnen keine bösen Blicke mehr folgten, hielt ich die Zeit für gekommen, noch einmal mit Joseph zu sprechen. Ich wusste von ihm, dass sie keine armen Leute waren, sie nicht das blanke Leben gerettet hatten, sondern auch die prallen Säckchen mit den geprägten Münzen. Nicht direkt am, aber in unmittelbarer Nähe des Dorfplatzes stand ein Haus zum Kauf. Ich bot es Joseph an, machte den Vermittler zum Besitzer, dem Bürgermeister. Als sie wenige Tage später von unserem Hof übersiedelten, machte das kein Aufsehen im Ort. Sie sprachen bereits den provenzalischen Dialekt, schon besser als ich am Anfang hier.
Der Sommer kam ins Land und Joseph betrat meinen Amtsraum. Er fragte, ob ich ihn hindern würde, wenn er seine Reise fortsetzen würde. Allein? Ja, allein. Wohin? Zur Nebelinsel im Westen. Um was zu machen? Auch dort vom auferstandenen Erlöser zu erzählen.
Inzwischen wusste ich, von was er sprach, und ließ ihn ziehen.
Nur einige weitere Monde vergingen, als Lazarus mit dem gleichen Auftrag nach Massalia