Die Sanduhr in meinem Kopf. Michael Bohm

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Die Sanduhr in meinem Kopf - Michael Bohm

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er dann tatsächlich für einige Tage vorbeikam, hoch zu Pferde, leuchteten seine Augen, berichtete er vom Leben der wachsenden Gemeinde in der Stadt. Er setzte sich mit Mirjam zusammen. Im Kreis erinnerten sie sich an den, dessen Gefährtin Mirjam gewesen war. Ein Wort, das ich aus ihrem Mund nie hörte. Sie sagte auch nicht Witwe, nur Erbin ließ sie gelten.

      Dieses Erbe hatte Mirjam im Laufe der Zeit in eine leicht verständliche Form gegossen. Mit ihrem Charisma, ihrer Beredsamkeit, mit ihren blauen Augen, ihrer Lebendigkeit war sie eine Menschenfischerin. Mit der Zeit sammelte sie eine immer größere Anhängerschar aus dem Dorf und der Umgebung, in der Mehrzahl Frauen, um sich. Geeignete Mitglieder ihrer Gemeinschaft bildete sie selbst aus, um die frohe Botschaft weiter ins Land zu tragen. Meine Aufgabe, die ich mir selbst gestellt hatte, weil auch ich inzwischen an ihre Botschaft glaubte, war es, ihrem unbedingten Wollen den Rücken frei zu halten. Ein nicht immer leichtes Unterfangen.

      Jesus, dem Mirjam und ihre Schar nachfolgten, der von sich sagte, »ich bin der, der ich bin«, war nach Mirjams Worten ein Nachkomme eines gewissen David von königlichem Blut. Mirjam war ein wichtiges Mitglied unter den Begleitern, die sie Jünger nannte, von diesem Jesus. Beide hatten eine besonders innige Verbindung zueinander gehabt. Er hatte sie ganz selbstverständlich in aller Offenheit auf den Mund geküsst. Mit verklärtem Gesicht schilderte sie mir einmal die Szene, wie sie Jesus die Füße mit kostbarem wohlriechendem Öl gesalbt hatte. Das war kurz vor dessen Tod gewesen. Er war am Kreuz gestorben, ein politischer, ein grausamer Tod. Und Mirjam war ihm bis zum Ende beigestanden. Sie war es auch, als alle seine Anhänger sich ängstlich versteckt gehalten hatten, die zum Grab gegangen war und es leer vorgefunden hatte. Kurz darauf war ihr der Gekreuzigte erschienen, der von den Toten Auferstandene.

      Was für eine rührende Geschichte. Nicht nur allein weil Mirjam die Zeugin war, glaubte ich ihren Worten. Ich fühlte auch in mir die Wahrheit der Geschichte. Zudem meinte ich zu wissen, dass das eine völlig neue, eine große Geschichte war, deren Worte sie, Joseph und Lazarus mit dem Wind verbreiteten.

      Und ich war dabei. Das empfand ich als Auszeichnung.

      So oft es mir möglich war, betrat ich Mirjams Haus, nahm die gelassene Stimmung in mich auf. Alles war wahr in diesem Haus, die Lüge hatte keine Chance, Friede ging von hier aus.

      In späteren Jahren zeigte sich bei dem Kind eine starke Persönlichkeit. David spielte die wilden Spiele der Dorfkinder mit, bestimmte allerdings mit feinem Gespür die Regeln. Streit schlichtete er schon geschickt, bevor er richtig ausbrach. War Mirjam von dunklem Typ, so war der Junge ihr Gegenteil. Er hatte eine leicht braune Haut, aber hellblonde dichte Locken. War Mirjams Gesicht eher voll, war seines schmal. Aber beide hatten dieses durchdringende Blau der Augen.

      Eines Tages, David war inzwischen zehn Sommer alt, erschien wieder einmal Lazarus bei uns. Irgendwie ahnte ich, dass er dieses Mal mit einem Vorsatz gekommen war. Ich ließ ihn nicht aus den Augen. Er saß lange mit Mirjam im Schatten der Bäume im Garten.

      Am nächsten Morgen ritt David, der Erbe des Heiligen Blutes, auf einem Esel neben Lazarus aus dem Dorf in Richtung Massalia. Aus welchem Grunde Lazarus ihn von den Frauen wegholte, habe ich nicht erfahren.

      Kaum war David weg, zog sich Mirjam in die Höhle zurück, wie sie es von Zeit zu Zeit tat. Sie war für Mirjam ein Rückzugsort, an dem sie Zwiesprache mit ihrem Gefährten hielt, wie ich vermutete.

      Irgendwann, David war schon länger nicht mehr da, nahm ich meinen ganzen Mut zusammen und wagte es, Mirjam in der Höhle aufzusuchen, sie in ihrer Ruhe zu stören. Ich meinte, sie trotz des schwachen Lichts lächeln zu sehen, als ich im Eingang meine Entschuldigung stotterte. Mirjam lud mich zum Sitzen neben ihr auf dem harten Boden ein. Lange schwiegen wir. Dann begann sie von dem Mann zu erzählen, den sie Rabbi nannte, von seinem Leben als Wanderprediger, seiner radikalen Gewaltlosigkeit. Sie malte mit Worten die Bilder vieler Menschen am Hang eines Berges, wo er von der Nächstenliebe predigte und die Leute fragten, »wer bist du?«.

      »Ich bin der Menschensohn und immer da.«

      Nach seinen so unverständlichen wie aufwühlenden Worten speiste er die Menge mit ein wenig Brot und einer Handvoll Fische.

      Mirjam starrte an die Höhlenwand, wo sie in den springenden Schatten ihre Erzählung lebendig sah. Ich wusste von ihren Visionen, kannte diesen abwesenden Blick.

      Sie sprach auch von der Hochzeit in einem Ort mit Namen Kana, wo es lustig zugegangen und voller Übermut gefeiert worden war. Ich fragte mich im Stillen, ob es ihre Hochzeit mit dem Rabbi gewesen war.

      Mirjam sagte mir, ich dürfe immer zu ihr in die Höhle kommen, um mit ihr zu schweigen und auf ihre Worte zu hören. Einmal war ich bei ihr, als sie sich traurige, fast sehnsuchtsvolle Gedanken um ihre früheren Kameraden, den Jüngern des Herrn, machte. Wo waren Andreas, Simon, Philippos, Johannes, Jakobus, Thomas geblieben? Diese Namen habe ich mir gemerkt. Es können auch mehr gewesen sein.

      Noch viel später, ich war längst zu einem Vertrauten geworden, sprach sie häufig über das Mysterium des Kreuzes. Diese mir dennoch rätselhaft gebliebene Frau betrachtete dieses Marterholz als ein göttliches Symbol. Für sie war es kein Zeichen des Todes sondern vielmehr eines des Lebens. Sprach sie solche Worte aus, leuchtete Mirjam von innen.

      Viele Jahre gingen über unsere friedliche Gegend und sie erscheinen mir heute wie ein schöner langer Tag. Ich durfte diese Zeit nicht neben ihr, aber ganz in der Nähe Mirjams sein. Sie war zu einer bekannten Frau geworden und schon rankten sich Legenden um sie. Was da an Erzählungen entstand, hatte mit dem, was ich erlebte und hörte, nicht viel gemein. Die Menschen brauchen Leitbilder und schaffen sich aus besonderen Menschen gern Märchenfiguren. Ich weiß, dass es nicht wenige gibt, die im Namen Maria Magdalenas, meiner Mirjam, in Nöten den Himmel anrufen.

      Eines Tages habe ich Mirjam in der Höhle gefunden. Obwohl mir der Weg, früher ein Katzensprung, viel Mühe, auch Schmerzen bereitete, verließ ich voller Freude mein kleines Haus. Es war mir nach den vielen Jahren Dienst zum Geschenk gemacht worden. Zudem war ich jetzt ein Römer. Ich hatte mir beides wahrlich verdient.

      Mirjam lag im hellen Bereich der Höhle, nahe dem Eingang. Ihre blauen Augen sahen direkt in den ebenso blauen Himmel. Auf ihrem noch immer schönen Gesicht war ein Lächeln zurückgeblieben. Kein Zweifel, sie war freudig hinübergegangen in das unbekannte Land, das sie ewiges Leben nannte.

      Wo ist Mirjam jetzt? Ist sie bei ihrem Gefährten, dem, der gesagt hat, »ich bin der, der ich bin«, dem von den Toten auferstandenen Rabbi?

      Wenn ich heute auf meiner Bank über Mirjam nachdenke, geht mein Blick ebenfalls in eine helle Zukunft. Ich habe meine Angst vor dem Tod verloren. Im Jenseits werde ich Mirjam wiedersehen und für immer in ihrer Nähe bleiben.

      Mein Bild von Roxane

      Die Prinzessin aus der Wüste

      Roxane.

      Ich habe Roxane gesehen. Das war vor zwei Tagen. Mir gelingt es nicht, ihr Bild festzuhalten. Sie widersetzt sich dem Stift, erst recht dem Pinsel, will sich partout nicht auf Papier oder Leinwand sehen.

      Seit dem flüchtigen Moment im Mark Twain hat sie mein Herz in der Hand und sitzt in meinem Kopf. Was hat sie dagegen, dass ich sie malen will? Wer ist sie überhaupt?

      Roxane?

      Auf den ersten Blick

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