Genial erfolgreich. Marcus Kutrzeba
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Unsere Gesellschaft hat Qualitäten wie Sensibilität, Mitgefühl und Herzlichkeit also in die Schublade »weiblich« gesteckt. Sie sind außerdem mit dem Stempel »minderwertig« versehen und für Männer daher mit Scham behaftet. »Männer weinen nicht«, ausgenommen natürlich bei einer Beerdigung, dort aber dann richtig, bitteschön! Bei Trauerfeiern wird in unseren Breiten erfahrungsgemäß ziemlich alles herausgelassen an Gefühlen, was sonst nirgends hinzupassen scheint: Kummer, Niedergeschlagenheit, Wut, Schwere, Leid, Angst und Leere, um nur einige zu nennen. Gefühle brauchen eben ein Ventil – egal ob bei Frau oder Mann.
Alle diese Eigenschaften sind natürlich weder männlich noch weiblich, sie sind menschlich. Und menschliche Gefühle haben kein Geschlecht. Wenn wir trotzdem daran glauben und uns danach verhalten, zementieren wir nicht nur die althergebrachten, stereotypen Geschlechterbilder weiter ein, sondern stehen uns auch noch permanent bei unserem eigenen Glück und Erfolg im Weg. Wer ist zur Rechenschaft zu ziehen? Wir alle, jeder Einzelne, in jeder Situation. Wir dürfen uns nicht darauf berufen, dass wir es nicht gelernt haben, keine guten Vorbilder hatten oder haben. Es wird uns aber nicht leicht gemacht. Weil Emotionen wahrzunehmen und danach zu handeln für unsere Gesellschaft zu den größten Bedrohungen gehören. Der Status quo in unseren Firmen, Beziehungen und in der Welt kann nur erhalten werden, indem gewisse Gefühle wie Empathie und Liebens-würdigkeit gesamtgesellschaftlich geringgeschätzt werden. Die Abwertung von Gefühlen hat also nur ein einziges Ziel: den Systemerhalt.
Das ganze Spektrum an Gefühlen zu fühlen und unsere Entscheidungen und unser Verhalten danach zu richten, ist keine Schwachstelle. Es ist Menschlichkeit und in Wahrheit unsere Stärke! Nebenbei bemerkt die einzige, die uns im weiteren Verlauf des digitalen Zeitalters von Robotern unterscheiden und einen Vorteil verschaffen wird können. Schon heute sollen sich Menschen am besten nach einem bestimmten Muster verhalten, damit Abläufe wie gewohnt funktionieren und festgefahrene Systeme, Macht- oder Ressourcenverteilungen ja nicht in Frage gestellt werden. Man nennt das auch Kontrolle. Erstaunlicherweise fühlen sich viele in so einem System wohl und sicher. Ich nicht.
1.4 Selbstsicherheit ist tot, Kontrolle ist besser
In den vergangenen vier Jahren bin ich oft mehrmals wöchentlich auf Kinderspielplätzen unterwegs gewesen. Als Vater eines motorisch geschickten Kleinkindes war ich dabei meistens nur als Partner beim Versteckspiel oder für das Zeitnehmen beim Wettrennen gefragt. In der restlichen Zeit habe ich als stiller Beobachter aber einiges mitbekommen, was mir sonst wahrscheinlich nicht aufgefallen wäre: Eltern kontrollieren ihre Kinder. Sie kontrollieren alles. Es fängt harmlos an mit Vorschlägen, welche Dinge sie tun und welche Spiele sie spielen könnten. Als ob Kindern das nicht von selbst einfallen würde. Gefolgt von Anweisungen, was sie besser nicht tun, und wo sie auf gar keinen Fall hingehen dürfen. »Keinen Sand auf die Schuhe, Schatzi!« »Die Rutsche ist aber noch zu hoch für dich.« »Nicht in den Wald laufen, ist das klar?« Wie hoch sie klettern dürfen. Welches Bein zuerst kommt. Was man in der Sandkiste macht. Ernsthaft, ich habe ambitionierte Eltern gesehen, die den eigenen Kindern die Schaufel wegnehmen, um ihnen zu zeigen, wie ein »richtiger« Sandkuchen geht. Am Ende der Skala standen dann die Vorwürfe, Drohungen und Verbote, die mir als erwachsenem Mann noch in den Ohren wehtun. »Jetzt habe ich es dir schon fünf Mal gesagt.« »Wenn du damit nicht aufhörst, gehen wir sofort heim!« »Morgen gibt es für dich keine Süßigkeiten.«
Wieso? Wieso meinen diese Eltern, ihre Kinder bräuchten alle diese Vorgaben und Maßregelungen? Oder brauchen sie am Ende gar nicht die Kinder, sondern vielmehr ihre Eltern? Wenn ja, warum ist das so? Ich habe mir diese Fragen nicht nur einmal gestellt und versuche sie hier zu beantworten. Dabei greife ich nicht nur auf mein Wissen als junger Vater, sondern auf meine Erfahrung als Berater und Trainer in Unternehmen zurück – das bin ich zum Glück ja schon ein bisschen länger. Da gibt es nämlich gewisse Parallelen. Achtung, Spoiler: Die Eltern verhalten sich wie die Führungskräfte in den Firmen, in denen sie vor dem Spielplatzbesuch waren.
Das Thema, das sie gemeinsam haben, ist Angst. Es könnte ja etwas passieren: Das Kind könnte schmutzig oder nass werden. Das Kind könnte sich wehtun oder etwas anstellen. Das Kind könnte aus Langeweile andere Kinder ärgern. Das Kind könnte durch sein Verhalten die Eltern bloßstellen. Oder aber: Die Verkaufszahlen könnten zurückgehen. Ein Projekt könnte nicht rechtzeitig fertig werden. Der Folgeauftrag könnte wackeln. Ein unmotivierter Mitarbeiter könnte die Stimmung im Team stören. Der Chef könnte sich beschweren. Die Ergebnisse könnten nicht stimmen.
Konkret geht es also um die Angst vor Kontrollverlust und einem Verlangen nach Sicherheit. Kontrolle beruht auf dem psychologischen Konzept, dass das eigene Handeln und dessen Folgen vorhersehbar zusammenhängen. Sobald andere Menschen und Faktoren ins Spiel kommen, ist der Zusammenhang für viele nicht mehr in ausreichendem Maß vorhanden. Sie glauben dann, dass sie sich absichern können, indem sie alles genau und sorgfältig kontrollieren: »Sicher ist sicher, und ich setze noch eins drauf.« Aber Kontrolle gibt keine Sicherheit, nur den Anschein davon. Allerhöchstens ist es eine temporäre Sicherheit, die so lange andauert wie die Kontrolle selbst und aufhört, sobald sie wegfällt. Nun könnte man permanent alles kontrollieren – was de facto nicht geht, so landen wir in der Psychiatrie. Besser man setzt auf eine andere Qualität: Selbstsicherheit.
Damit Selbstsicherheit entstehen kann, braucht es zuerst ein Selbstbewusstsein. Nur wer sich darüber im Klaren ist, was er kann und will, ist sich wortwörtlich »seines Selbst bewusst«. Selbstbewusstsein ist aber nicht zu verwechseln mit Selbstvertrauen. Wenn du dich selbst gut genug kennst (Selbstbewusstsein) und auch danach verhältst, dann kannst du dir vertrauen. Du entwickelst Selbstvertrauen. Kannst du dir selbst vertrauen, dann vertrauen dir auch die anderen; weil du authentisch bist, entsprechend deines Selbst lebst und deine Entscheidungen immer nach deinen Talenten, Werten und Potenzialen ausrichtest. So entsteht schließlich Selbstsicherheit. Diese (Selbst-)Sicherheit strahlst du aus.
»Hui, der hat aber ein Selbstbewusstsein.« »Der bildet sich was auf sich ein.« »Ganz schön überheblich.« So oder so ähnlich begegnen mir Menschen häufig im Augenblick unseres Kennenlernens. Es stört mich nicht. Trotzdem habe ich mich oft gefragt, warum ich so rüberkomme. Meine Antwort wird den Leuten nicht gefallen – und sie wahrscheinlich in ihrer Annahme noch bestärken –, dennoch: Sie haben selber zu wenig davon. Und das macht ihnen Angst. Wahrscheinlich ist es ein Kreislauf, das beobachte ich: Menschen, die selbst unsicher sind, haben Angst vor Menschen, die es nicht sind. Interessanterweise sind Menschen, die gern kontrollieren und sich absichern, diejenigen mit dem größten Mangel an Selbstsicherheit. Sie gelten in der Außenwelt aber oft als besonders souverän. Warum ist das so?
Unsere Gesellschaft verwendet die Begriffe Selbstbewusstsein, Selbstvertrauen und Selbstsicherheit oft synonym. Und zwar nicht nur als Schlagwörter untereinander, sondern auch als Ersatz für negativ besetzte Eigenschaften wie Arroganz und Überheblichkeit. Es braucht uns also nicht zu wundern, dass sich nur wenige Menschen trauen, wirklich selbstsicher aufzutreten. Sie machen sich klein und passen sich der Mittelmäßigkeit an, anstatt erfolgreich aus der Masse hervorzuragen. Das Hervorragen, die »Prominenz«, überlassen sie lieber anderen. Lieber sind sie unscheinbar als (unangenehm) auffallend. Lieber auf der sicheren Seite, als selbstsicher.
Das wirklich Traurige daran ist – und das ahnen die meisten nicht –, dass sie auf diese Weise ihren eigenen Erfolg sabotieren. Der bedingt nämlich Selbstsicherheit. Vom Kontrollieren ist noch keiner erfolgreich geworden. In einer Welt, die den Einzelnen klein, still und bescheiden sehen will, kann nichts erfolg-en. Die Glaubenssätze, dass ein Kind »nett und brav sein« soll, »nicht zu laut« sein darf, (Erwachsene) »nicht stören« soll, oder die Befürchtungen, was »die anderen denken« könnten, sind fest in unser Unterbewusstsein eingemauert. Es ist ein ziemlicher Gedanken-Akt, diese Verhaltensanleitungen dort wieder herauszuschleifen.
Als Erstes musst du also in der Grube deiner