USA. Hannelore Veit

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trinkt aus seiner Wasserflasche, atmet kurz durch und widmet sich sofort wieder mit vollem Elan seinen Tour-Gästen. Er ist ein wandelndes Lexikon der Stadt – kaum ein Straßenblock, den er nicht mit einer historischen Anekdote kommentiert.

      »In diesem Gebäude ist Nikola Tesla gestorben … und in dieser Nachbarschaft wurde Präsident Franklin D. Roosevelt geboren … Und hier haben sich die irischen Hafenarbeiter angesiedelt, nachdem man sie vom alten Dock am East River vertrieben hatte.«

      Der Bus biegt in die 34. Straße ein. »Hier zu meiner Linken sehen sie Macy’s, eines der größten Kaufhäuser der Welt«, erzählt der junge Guide, »das Gebäude soll demnächst zu einem Wolkenkratzer umgebaut werden, die Amazon-Konkurrenz setzt ihnen offenbar ziemlich zu …«

      »… Zu meiner Rechten befindet sich das berühmte Empire State Building, wussten Sie, dass es ursprünglich als Zeppelin-Landeplatz konzipiert war?«

      »… Und hier in dieser Kirche hat Trump seine Melania geheiratet – the GREATEST wedding ever«, ergänzt er mit einer gekonnten Stimm-Imitation des US-Präsidenten.

       Die Occupy-Wall-Street-Tour

      Michael Pellagatti ist seit sechs Jahren als Touristenführer in Manhattan tätig. Zwei bis drei solcher Bus-Rundfahrten absolviert er pro Tag, 17 Dollar beträgt der Stundenlohn. »Kein Vermögen, aber ich bin krankenversichert, das ist das Wichtigste.« Nebenbei jobbt er als freischaffender Pressefotograf. Doch Michaels Herzblut steckt in einem anderen Projekt, seiner sogenannten Occupy-Wall-Street-Tour. Bei dieser Spezialführung habe ich ihn 2016 kennengelernt und für eine ORF-Sondersendung zur Wahlnacht interviewt. Thema des damaligen Beitrags war die Frage, wie die junge Generation der unter 35-Jährigen, manchmal auch »Millennials« genannt, politisch tickt. Eine Frage, die untrennbar mit einer Protestbewegung verknüpft ist, die hier in New York City im Jahr 2011 ihren Ausgang genommen hat.

      »Occupy Wall Street war so etwas wie die politische Geburtsstunde meiner Generation«, erzählte mir Michael Pellagatti bei unserem ersten Treffen. Er selbst stand im September 2011 an vorderster Front, als Tausende junge Menschen einen Straßenblock rund um die New Yorker Börse mit Zelten besetzt hielten, ein Protest gegen die Nachwehen des 2008 kollabierten Finanzsystems, gegen die Gier der großen Investmentbanken, gegen die Untätigkeit der Politik. Nach knapp zwei Monaten wurde das Protestcamp schließlich recht brutal geräumt – noch heute hat Pellagatti Videos auf seinem Mobiltelefon, die zeigen, wie die weitgehend friedlichen Demonstranten von übereifrigen Polizisten mit Pfefferspray eingekesselt wurden.

      »Präsident Obama hat die Räumung des Protestcamps damals zugelassen – für uns ist er damit gestorben und damit auch die Hoffnung, dass sich dieses System durch Wahlen ändern lässt.«

      Die Protestbewegung sei zwar mit ihren Zielen und Forderungen gescheitert, aber sie habe damals die Büchse der Pandora geöffnet und landesweit viele weitere Protest- und Bürgerrechtsbewegungen inspiriert, sagt Pellagatti. »Für mich wurde damals klar, dass ich mich politisch und vor allem aktivistisch engagieren muss – ich habe mein überteuertes und nutzloses Studium abgebrochen und mich mit Gleichgesinnten vernetzt. Ich habe mir damals unzählige Bücher gekauft und begonnen, die sozialrevolutionäre Geschichte meiner Heimatstadt zu studieren.«

      Mit seiner Occupy-Wall-Street-Tour will der junge New Yorker den Geist der Protestbewegung am Leben erhalten und interessierten Besuchern aus aller Welt vermitteln – zuletzt etwa einer Studentengruppe aus dem deutschen Münster.

      »Ich habe auch schon Schulklassen bei meiner Tour begrüßt, einige Schüler haben mir dann ein paar Wochen später geschrieben, dass sie nach meiner Tour zum ersten Mal selbst an einer Demonstration teilgenommen haben – das war ein echtes Erfolgserlebnis.«

      Die Tourismusbranche sei ein idealer Ort für politischen Aktivismus, eine Sphäre, in der sozialrevolutionäre Theorie und Geschichte unterhaltsam und gleichzeitig bewusstseinsbildend vermittelt werden könne, so Pellagatti. »Und bei den Tour-Gästen kommt mein Stil überraschend gut an, den touristischen Einheitsbrei kann man ja ohnehin woanders nachlesen.«

      Der rote Tour-Bus fährt an den Hudson Yards vorbei – einem kürzlich aus dem Boden gestampften und neu eröffneten Luxus-Stadtviertel entlang der 11th Avenue. Mehrere gläserne Wolkenkratzer beheimaten dort Nobelapartments – darunter befindet sich ein riesiges, steriles Einkaufszentrum mit Boutiquen namhafter Marken. Vor dem Eingang ragt eine etwas bizarr anmutende Kunstskulptur in den Himmel, das sogenannte »Vessel«. Sie besteht aus über 150 ineinander verzahnten und protzig verkupferten Treppenaufgängen, die, auf 16 Stockwerke gestapelt, Besucher zum kostenpflichtigen Erklimmen anregen sollen und vom Kritiker der »New York Times« spöttisch als »mistkübelförmiges Treppenhaus ins Nichts« bezeichnet wurde.

      Der gesamte Hudson-Yards-Gebäudekomplex wird nach seiner Fertigstellung über 20 Milliarden Dollar gekostet haben – das teuerste privat finanzierte Immobilienprojekt der US-Geschichte. Viele New Yorker sehen darin aber vor allem eine architektonische Sünde und einen weiteren öffentlichen Ort, der alles bietet außer Sitzbänken und somit zum Konsum zwingt, statt zum Verweilen einzuladen.

      »Hier sehen Sie eine weitere Oase der Superreichen«, richtet sich Mike Pellagatti an seine Tour-Gäste, ohne seine Abneigung gegenüber dem neuen Stadtviertel zu verbergen. »Ein weiterer Ort, an dem Menschen mit zu viel Einkommen ihr Geld in irgendwelchen gläsernen Wolkenkratzern anlegen können – ja, von denen haben wir hier in New York wahrlich mehr als genug.«

      Die US-Immobilienbranche sei seiner Meinung nach überhaupt der größte Killer der US-Mittelklasse, erzählt mir Mike anschließend im Interview, »sogar noch schlimmer als die Finanzbranche«. Wundere es irgendjemanden, dass ausgerechnet ein Bauherr und Immobilienhai aus New York im Weißen Haus sitzt?

       Stadt des Widerstands, Stadt der Armut

      Pellagattis Ausführungen verdeutlichen: New York City besitzt in den Vereinigten Staaten der Gegenwart eine interessante Doppelrolle. Die Metropole ist die ehemalige Heimatstadt Donald Trumps – das Biotop, in dem er zum Baumogul aufgestiegen ist. Gleichzeitig verkörpert die Stadt die absolute Antithese zu Trumps Amerika. Das multikulturelle und bunte New York ist eine Hochburg der Demokraten. Hillary Clinton war Senatorin des Bundesstaates New York, ehe sie gegen Trump ins Rennen ging und den Kürzeren zog.

      Mike Pellagatti hat bei den Vorwahlen 2016 den demokratischen Sozialisten Bernie Sanders unterstützt, der seiner Konkurrentin Clinton nur knapp unterlag. Sanders ist zum Zeitpunkt unseres Treffens erneut im Rennen um das Weiße Haus, doch der junge New Yorker bezweifelt, dass ihn die Demokraten wirklich zu ihrem Kandidaten nominieren werden. »Das ist doch alles geschoben: Unser politischer Prozess ist mittlerweile eine einzige Reality Show und deswegen hat Trump gute Karten, wiedergewählt zu werden. Ich denke, die aufrichtigen Demokraten werden es schwer haben, mit Inhalten durchzukommen, und ich befürchte, dass die Dinge zuerst noch viel schlechter werden müssen, ehe sie wieder besser werden. Wer weiß, vielleicht steht der nächste Finanzcrash schon vor der Tür?«

      Der Tour-Bus fährt weiter und erreicht den Stadtteil Greenwich Village – Pellagatti setzt seine revolutionär angehauchte Stadtführung fort.

      »Zu unserer Linken befindet sich jener Straßenblock, in dem in den 1960er Jahren die berühmten Stonewall-Proteste stattfanden, die sich heuer zum 50. Mal jähren. Hier haben sich Homo- und Transsexuelle im Kampf um Bürgerrechte Straßenschlachten mit der New Yorker Polizei geliefert …«

      »… Und an dieser Ecke haben New Yorks Straßenmusiker vor mehreren Jahrzehnten das Recht erkämpft, ohne Genehmigung allerorts spielen zu dürfen

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