Fälle und Lösungen zum Eingriffsrecht in Nordrhein-Westfalen. Christoph Keller
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2. Besondere Verfahrensvorschriften
Über die (allgemeinen) Form- bzw. Verfahrensvorschriften aus dem VwVfG NRW hinaus sind keine besonderen Formvorschriften zu beachten. Für notwendige Maßnahmen nach § 8 Abs. 1 PolG NRW hat das Gesetz keine speziellen Form- und/oder Verfahrensvorschriften vorgesehen.
3. Adressatenregelung
Grundsätzlich hat die Polizei ihre Maßnahmen gegen den Störer zu richten. Das ergibt sich aus dem Prinzip, dass der auch für die Beseitigung herangezogen werden soll, dem dieser Gefahrenzustand zuzurechnen ist. Die Gefahr kann durch sein vorausgegangenes Handeln hervorgerufen worden sein (Handlungsstörer, § 4 Abs. 1 PolG NRW). Es kann auch „nur“ sein, dass allein seine Verantwortlichkeit für den Zustand einer Sache den Bezug bringt (§ 5 PolG NRW). Auf ein Verschulden des Betreffenden kommt es nicht an. Nur im Ausnahmefall darf die Polizei auch andere Personen zur Beseitigung einer Gefahr heranziehen. Sind Maßnahmen gegen den Verhaltens- oder Zustandsstörer nicht oder nicht rechtzeitig möglich, z. B. weil dieser nicht mehr vor Ort ist, kann die Polizei unter den Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 PolG NRW auch nicht verantwortliche Personen (Nichtstörer/Dritte) in Anspruch nehmen (sog. Polizeilicher Notstand):
– Nr. 1: Abwehr einer gegenwärtigen erheblichen Gefahr
– Nr. 2: Maßnahmen gegen die nach den §§ 4 oder 5 Verantwortlichen sind nicht oder nicht rechtzeitig möglich oder versprechen keinen Erfolg
– Nr. 3: die Polizei kann die Gefahr nicht oder nicht rechtzeitig selbst oder durch die Beauftragung Dritter im Rahmen des Abschlusses eines Vertrages abwehren und
– Nr. 4: die nicht verantwortliche Person kann ohne erhebliche Eigengefährdung und ohne Verletzung höherwertiger Pflichten in Anspruch genommen werden.
Die Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 PolG NRW müssen kumulativ erfüllt sein. Erforderlich ist insbesondere, dass die Gefahr durch die Polizei auf andere Weise – insbesondere durch Inanspruchnahme von Störern – nicht hätte abgewehrt werden können. Dieses Tatbestandsmerkmal ist die entscheidende Sperre gegen die durchaus verständliche Versuchung, den Weg des geringsten Widerstandes zu beschreiten. Grundsätzlich ist die Polizei verpflichtet, alle ihr tatsächlich zur Verfügung stehenden eigenen und alle ihrer Verfügung zu unterstellenden fremden Kräfte einzusetzen, ehe sie sich für das Einschreiten gegen Nichtstörer entscheiden darf. Vorliegend ist bei dem Brand der Nachbar weder für den Zustand der Sache verantwortlich, noch war sein vorausgehendes Handeln die Ursache für den Brand. Wenn ihm aber dennoch ein Mitwirken an der Brandbekämpfung abverlangt wird (Leiter zur Verfügung stellen), dann wird er als „nichtverantwortlicher Dritter“ (§ 6 PolG NRW) in Anspruch genommen. Auch eine gegenwärtige, erhebliche Gefahr (Lebensgefahr) liegt vor. Bei der gegenwärtigen Gefahr steht das schädigende Ereignis unmittelbar bevor oder hat bereits begonnen. Soweit ein Schaden schon eingetreten ist (realisierte Gefahr, Störung der öffentlichen Sicherheit) und durch den eingetretenen Zustand weiterhin Schäden drohen (Schadensausweitung), besteht die Gefahr weiterhin. Bei der gegenwärtigen erheblichen Gefahr wird dem Zeitfaktor ein qualitatives Element hinzugefügt. Gefahr droht einem bedeutsamen Rechtsgut, insbesondere Leben, Gesundheit oder wichtigem Gemeinschaftsgut. Der Nachbar ist, da er weder durch sein Handeln noch für den Zustand der Sache verantwortlich zeichnet, unbeteiligter Dritter im Sinne des § 6 PolG NRW.
Auch wenn die drei erstgenannten Voraussetzungen im konkreten Fall gegeben sind, scheidet die Inanspruchnahme des Nichtverantwortlichen aus, wenn bei ihm eine erhebliche eigene Gefährdung oder eine Verletzung höherwertiger Pflichten zu besorgen ist. Diese Opfergrenze ist Ausdruck des Übermaßverbots und gilt deshalb auch dort, wo sie das positive Recht nicht ausdrücklich normiert. Eine erhebliche Selbstgefährdung bei Hilfeleistungen darf nicht gefordert werden.
Die wesentlichste Voraussetzung ist der Ausschluss seiner eigenen Gefährdung. Polizeiliche Maßnahmen dürfen nicht die durch § 6 Abs. 1 Nr. 4 PolG NRW markierte Zumutbarkeitsgrenze überschreiten. Durch die Verfügung, die Leiter herauszugeben, wird der Nachbar weder in seiner Gesundheit noch in einem anderen wesentlichen Rechtsgut gefährdet. Überdies dürfen die Maßnahmen nach Absatz 1 nur aufrechterhalten werden, solange die Abwehr der Gefahr nicht auf andere Weise möglich ist. Daher durfte die Verfügung gem. § 6 PolG NRW rechtmäßig sein.
4. Rechtsfolge der konkret herangezogenen Ermächtigungsgrundlage
a) Rechtsfolge entspricht der Ermächtigungsgrundlage
Die Rechtsfolgen der Generalklausel sind auf den Erlass der „notwendigen Maßnahmen“ gerichtet. Die „notwendigen Maßnahmen“ sind die Maßnahmen, die auch i. S. des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erforderlich sind. An dieser Notwendigkeit bestehen vorliegend keine Zweifel.
b) Bestimmtheit (§ 37 Abs. 1 VwVfG NRW)
§ 37 VwVfG NRW enthält mit dem Bestimmtheitserfordernis in Abs. 1 ein materiell-rechtliches Erfordernis.35 Mit dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot in § 37 Abs. 1 VwVfG NRW erfährt der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung eine einfachgesetzliche Konkretisierung. Die Bestimmung trägt damit insbesondere der Individualisierungs- und Klarstellungsfunktion des Verwaltungsaktes Rechnung. Die Behörde wird gezwungen, sich eindeutig und unmissverständlich gegenüber dem Adressaten zu äußern. Darüber hinaus wird durch die Forderung nach der Bestimmtheit auch deren Akzeptanz durch den Adressaten erhöht.36 Verstöße sind hier nicht ersichtlich.
c) Ermessen (§ 3 PolG NRW)
Gem. § 3 Abs. 1 PolG NRW trifft die Polizei ihre Maßnahmen nach pflichtgemäßem Ermessen. Das Ermessen ist also nicht frei, sondern an Recht und Gesetz gebunden und in die Systematik des Polizeirechts integriert. Im Rahmen des Opportunitätsprinzips kann die Polizei die ihr rechtmäßig zur Verfügung stehenden Maßnahmen ergreifen. Das Ermessen kommt auf der Rechtsfolgenseite zur Anwendung und ist im Polizeirecht in Entschließungs- und Auswahlermessen zu unterscheiden. Grundsätzlich entscheidet die Polizei, ob die Störung überhaupt ein Einschreiten des Staates abverlangt (Entschließungsermessen). Denkbar sind dabei Situationen, wo jede andere Entscheidung als einzuschreiten falsch ist (Ermessensreduzierung auf Null).37
Ob eine Ermessensreduktion auf Null vorliegt, ist im Rahmen einer Güterabwägung zu ermitteln. Ermessensreduzierende Gründe sind dabei:38
– Schwere und Ausmaß der Gefahr,
– die hohe Bedeutung des gefährdeten Rechtsguts und
– die Möglichkeit der Polizei zum Handeln und das Fehlen anderer vorrangiger