Fälle und Lösungen zum Eingriffsrecht in Nordrhein-Westfalen. Christoph Keller

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Fälle und Lösungen zum Eingriffsrecht in Nordrhein-Westfalen - Christoph Keller

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kamen die Beamten durch den Anruf bei der Feuerwehr nach.

       Das PolG NRW folgt dem Grundsatz, dass Gefahrenabwehr primär den dafür zuständigen Behörden der allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsverwaltung obliegt. Das Gefahrenabwehrrecht von Nordrhein-Westfalen zeichnet sich durch eine formelle und materielle Trennung von Polizei und Ordnungsbehörden aus.14 Die Regelungen der jeweiligen Aufgaben und Befugnisse finden sich in unterschiedlichen Gesetzen: einerseits im Polizeigesetz des Landes Nordrhein-Westfalen (PolG NRW) sowie andererseits im Gesetz über Aufbau und Befugnisse der Ordnungsbehörden (OBG NRW). Dabei ist von einem grundsätzlichen Vorrang des ordnungsbehördlichen Handelns auszugehen. Die Polizei wird in der Regel erst dann tätig, wenn ein Handeln der anderen Gefahrenabwehrbehörden nicht oder nicht rechtzeitig möglich erscheint (§ 1 Abs. 1 Satz 3 PolG NRW: Grundsatz der Subsidiarität). Dieses Prinzip der Eilzuständigkeit wird auch als „Recht zum ersten Zugriff“ bezeichnet, obwohl sich hieraus keine formelle Berechtigung gegenüber der an sich zuständigen Behörde ergibt.15 Allerdings wird der häufig zu lesende Hinweis, die Polizei sei hier nur in „Eil- und Notfällen“ zum Handeln berufen, der Realität polizeilicher Einsätze nicht gerecht: Meist ergibt sich die Zuständigkeit schon allein daraus, dass die Polizei als erste Gefahrenabwehrbehörde vor Ort ist. Nur wenn das Eintreffen der Ordnungsbehörden abgewartet werden kann, hat die Polizei in diesem „subsidiären“ Handlungsfeld die Ordnungsbehörden gem. § 1 Abs. 1 Satz 4 PolG NRW unverzüglich von allen Vorgängen zu unterrichten, die deren Eingreifen erfordern.16 Diese Unterrichtungspflicht ergänzt die Regeln über das Verhältnis der Polizei zu den anderen Behörden der Gefahrenabwehr, um einen möglichst lückenlosen Schutz der öffentlichen Sicherheit zu gewährleisten, der unter Zuständigkeitsabgrenzungen mehrerer Behörden nicht leiden soll. Die Unterrichtungspflicht besteht nur bei solchen Vorgängen, die ein weiteres Tätigwerden der in erster Linie zuständigen Behörde erfordern.

      Auf der Grundlage des § 1 Abs. 1 Satz 4 PolG NRW ist die Unterrichtung aber nur insoweit zulässig, als sachbezogene Daten mitgeteilt werden. Zur Übermittlung personenbezogener Daten bedarf es einer speziellen Ermächtigungsnorm (§ 27 PolG NRW).17

       2. Verfahren

      Polizeiliche Verfügungen als Eingriffsverwaltungsakte lösen grundsätzlich eine Pflicht zur Anhörung aus (§ 28 Abs. 1 VwVfG NRW). Von der Anhörung kann gem. § 28 Abs. 2 VwVfG NRW unter den dort genannten Voraussetzungen abgesehen werden.18 Der Verwaltungsakt ist entsprechend § 41 Abs. 1 VwVfG NRW bekannt zu geben.

       3. Form

      Gem. § 37 Abs. 2 VwVfG NRW kann ein Verwaltungsakt schriftlich, elektronisch, mündlich oder in anderer Weise erlassen werden.19 Bei den mündlich erlassenen Verwaltungsakten nach § 37 Abs. 2 VwVfG NRW handelt es sich typischerweise um Verwaltungsakte der (Vollzugs-)Polizei nach § 80 Abs. 2 Nr. 2 VwGO.

       III. Materielle Rechtmäßigkeit

       1. Tatbestandliche Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage

      Fraglich könnte sein, ob dieses Herausgabeverlangen durch die Polizei eine Sicherstellung gem. § 43 PolG NRW sein könnte. Aus dem Sinn der Norm, insbesondere aus der gesetzlichen Vorgabe, wie mit der sichergestellten Sache umzugehen ist („sichergestellte Sachen sind in Verwahrung zu nehmen“ – § 44 Abs. 1 PolG NRW), ist zu entnehmen, dass die Sicherstellung der Abwehr der Gefahr dienen soll, die von der Sache selbst ausgeht oder zumindest durch sie verursacht wird. Hier aber geht von der Leiter keinerlei Gefahr aus, vielmehr wird sie selbst zur Gefahrenabwehr benötigt. Es liegt mithin kein Anwendungsfall des § 43 PolG NRW vor. Soll eine Sache, der weder eine Gefahr droht noch von der eine Gefahr an sich ausgeht, vorübergehend zur Gefahrenabwehr genutzt werden, so ist das aufgrund der Generalklausel möglich.20 Die Generalklausel des PolG NRW ist jedoch nur dann anzuwenden, wenn eine Spezialnorm diesen Bereich nicht erfasst. Auf § 8 Abs. 1 PolG NRW können nur sog. atypische Maßnahmen gestützt werden, d. h. solche, die nicht in den §§ 9 ff. PolG NRW oder in anderen Rechtsvorschriften i. S. des § 8 Abs. 2 speziell geregelt sind. Eine solche Spezialnorm könnte § 323c StGB (unterlassene Hilfeleistung) sein. Zwar dient diese Vorschrift der Abwendung von Gefahren für Individualrechtsgüter in Not geratener Personen. Hier ist aber Ziel der Norm, ein bestimmtes, nicht hinzunehmendes Verhalten unter Strafe zu stellen, nicht jedoch eine Basis zu schaffen für Verfügungen öffentlich-rechtlicher Art. Insofern scheidet § 323c StGB hier aus. Da eine andere Norm diesen Sachverhalt nicht speziell regelt, bleibt nur der Rückgriff auf die Generalklausel des § 8 Abs. 1 PolG NRW.21

       Generalklauseln sind gesetzliche Ermächtigungen, mit denen die Gesetzgeber durch allgemein gehaltene Voraussetzungen (Prämissen) den Gefahrenabwehr- oder Strafverfolgungsbehörden die notwendige Befugnis einräumen, besondere Anordnungen und geeignete Rechtsfolgen zu treffen (§ 8 PolG NRW; § 163 Abs. 1 Satz 2 StPO).22 Im Verhältnis zur Generalklausel besteht zugunsten der Standardermächtigungen ein Anwendungsvorrang (Sperrwirkung der Standardmaßnahmen). Ein Rückgriff auf die Generalklausel ist im Regelungsbereich der Standardmaßnahmen ausgeschlossen. Die Standardmaßnahmen (§§ 9–46 PolG NRW) gehen der Generalklausel nach dem Grundsatz leges speciales derogant legibus generalibus vor. Der den Rückgriff ausschließende Regelungsbereich bestimmt sich dabei nicht nach einzelnen Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Standardbefugnisnorm, sondern nach der in der Rechtsfolge normierten behördlichen Maßnahme.23 Der Anwendungsbereich der Generalklausel ist in mehrfacher Hinsicht subsidiär:24

      – Die Generalklausel des § 8 PolG NRW gilt nur im Anwendungsbereich des Polizeirechts

      – Die Generalklausel des § 8 PolG NRW ist subsidiär anzuwenden, soweit das PolG NRW nur subsidiär Anwendung findet (§ 8 Abs. 2 PolG NRW)

      – Die Generalklausel des § 8 PolG NRW gilt nicht im Anwendungsbereich der polizeilichen Standardmaßnahmen.

      Auf die Generalklausel des § 8 Abs. 1 darf nicht zurückgegriffen werden, wenn es sich um Maßnahmen zur Gefahrenabwehr nach den §§ 9 bis 46 handelt. Die Voraussetzungen für diese Maßnahmen sowie deren Art und Umfang sind in den genannten Vorschriften abschließend geregelt (VV 8.0 zu § 8 PolG NRW).

       Beispiel:25 Der Polizeibeamte P möchte die Wohnung des X durchsuchen, um dort die Zündschlüssel des falsch geparkten Pkw des X zu finden. Die Voraussetzungen des § 41 PolG NRW liegen aber offensichtlich nicht vor. Die Maßnahme kann dann nicht („ersatzweise“) auf die Generalklausel gestützt werden, um die durch den Verkehrsverstoß entstandene konkrete Gefahr abzuwehren.

      Die gefahrenabwehrrechtliche Generalklausel des § 8 Abs. 1 PolG NRW ist eine vollständige Rechtsnorm mit Tatbestand und Rechtsfolge.26 Sie besitzt auf Tatbestandsseite neben der konkreten Gefahr mit den Merkmalen öffentliche Sicherheit und Ordnung unbestimmte Rechtsbegriffe (ohne Beurteilungsspielraum) und auf Rechtsfolgenseite Ermessen, was durch den Begriff „kann“ ausgedrückt wird.27 Mit ihren unbestimmten Rechtsbegriffen ist die polizeirechtliche Generalklausel zwar in besonderem Maße der Auslegung und Konkretisierung bedürftig. Aber sie ist in jahrzehntelanger Entwicklung durch Rechtsprechung28 und Lehre nach Inhalt, Zweck und Ausmaß hinreichend präzisiert, in ihrer Bedeutung geklärt und im juristischen Sprachgebrauch verfestigt.29 Typische Maßnahmen auf der Grundlage der polizeirechtlichen Generalklausel sind z. B. die Gefährderansprache30, Meldeauflagen31 Blutprobenentnahmen aus präventiv-polizeilichen Gründen32 sowie insbesondere Nichtstörungsgebote („Unterlassen Sie nächtliche Telefonanrufe, Ruhestörungen“, Verbot, vor Geschwindigkeitsmessungen

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