Fälle und Lösungen zum Eingriffsrecht in Nordrhein-Westfalen. Christoph Keller

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Fälle und Lösungen zum Eingriffsrecht in Nordrhein-Westfalen - Christoph Keller

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Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG, da dieses Grundrecht nicht nur vor Eigentumsbeeinträchtigungen im engeren Sinnen, sondern auch vor Besitzentziehungen schützt. Ein Eingriff in die Eigentumsgarantie liegt dann vor, wenn eine schutzfähige Position entzogen oder ihre Nutzung, Verfügung oder Verwertung beschränkt wird. Ein Eingriff kann auch dann vorliegen, wenn faktisch oder mittelbar auf das Eigentum eingewirkt wird.2 Dieser Eingriff darf nur vorgenommen werden, wenn ein Gesetz der Polizei dieses erlaubt. Die von den Beamten getroffene Maßnahme ist dem Gefahrenabwehrrecht zuzurechnen, da die Maßnahmen nicht darauf abzielen, eine Straftat zu erforschen bzw. zu verfolgen. Hier geht es einzig und allein um die Abwehr von drohenden Lebens- und Gesundheitsgefahren. Insofern sind Ermächtigungsgrundlagen aus dem Polizeigesetz zu entnehmen. Die nach dem Vorbehalt des Gesetzes erforderliche Ermächtigungsgrundlage könnte sich aus § 8 Abs. 1 PolG NRW ergeben. Maßnahmen der Polizei, die von dem Pflichtigen ein bestimmtes Handeln, Dulden oder Unterlassen verlangen, sind Verwaltungsakte i. S. des § 35 Satz 1 VwVfG NRW.3

       II. Formelle Rechtmäßigkeit

       1. Zuständigkeit

       a) Örtliche Zuständigkeit

      Die örtliche Zuständigkeit könnte sich aus § 7 Abs. 1 POG NRW ergeben. Hiernach sind örtlich zuständig die Polizeibehörden, in deren Polizeibezirk die polizeilich zu schützenden Interessen verletzt oder gefährdet werden. Hier bestehen Lebens- bzw. Gesundheitsgefahren für die Heimbewohner. Es sind polizeilich zu schützende Interessen gefährdet. Die örtliche Zuständigkeit regelt als Territorialzuständigkeit den räumlichen Bereich („Wirkungskreis“), innerhalb dessen eine sachlich und instanziell zuständige Behörde zu handeln befugt ist.4 Festgelegt wird der räumliche Tätigkeitsbereich der behördlichen Aufgabenwahrnehmung. Dabei handelt es sich bei den §§ 7 ff. POG NRW um verwaltungsorganisationsrechtliche Regeln, die den staatsrechtlichen Begriff der Gebietshoheit konkretisieren. Die örtliche Zuständigkeit setzt somit immer eine sachliche Zuständigkeit voraus. Dadurch wird verhindert, dass sich Behörden mit gleicher sachlicher Zuständigkeit ins Gehege kommen und sich dadurch unter Umständen gegenseitig behindern.5 Die örtliche Zuständigkeit folgte hier aus der Regelzuständigkeit § 7 Abs. 1 POG NRW; denn die Beamten haben ihre Aufgabe im eigenen Polizeibezirk wahrgenommen.

       b) Sachliche Zuständigkeit

      Die sachliche Zuständigkeit könnte sich aus § 1 Abs. 1 Satz 1 und 3 PolG NRW i. V. m. § 11 Abs. 1 Nr. 1 POG NRW ergeben. § 1 PolG NRW ist die Generalklausel des Polizeiaufgabenrechts. Sie statuiert den allgemeinen Grundsatz der polizeilichen Aufgabenzuweisung, gilt als solche jedoch nicht abschließend.6

       Die aufgabenrechtliche Generalklausel ist in mehrfacher Hinsicht eine subsidiäre Regelung:

      – Sie ist subsidiär gegenüber einem Anwendungsvorrang beanspruchenden höherrangigen Recht von Bund (Art. 31 GG) und EU

      – Sie ist subsidiär gegenüber gesetzlichen Spezialregelungen des Landesrechts7

      – Sie ist subsidiär gegenüber aufgabenbezogenen Spezialregelungen im PolG NRW selbst.8

      § 11 Abs. 1 Nr. 1 POG NRW weist die Aufgabe der Gefahrenabwehr den Kreispolizeibehörden zu.9 Die eingreifenden Polizeibeamten mussten demnach Beamte einer Kreispolizeibehörde (§ 2 POG NRW) sein. Mangels gegenteiliger Angaben im Sachverhalt ist hiervon auszugehen. Die Voraussetzungen des § 11 Abs. 1 Nr. 1 POG NRW lagen demnach vor. Gem. § 1 Abs. 1 Satz 1 PolG NRW hat die Polizei die Aufgabe, Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren (Gefahrenabwehr).

       BVerwG, Urt. v. 26.2.1974 – I C 31/72, NJW 1974, 807

       Eine Gefahr liegt vor, wenn eine Sachlage oder ein Verhalten bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehen mit Wahrscheinlichkeit ein polizeilich geschütztes Rechtsgut schädigen wird.

      Gem. § 1 Abs. 1 Satz 1 PolG NRW hat die Polizei die Aufgabe, Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren (Gefahrenabwehr). Gefahr ist eine Sachlage, die einen Schaden für die öffentliche Sicherheit erwarten lässt. Das Rechtsgut der öffentlichen Sicherheit umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Ehre, Freiheit und Vermögen der Bürger, die Unverletzlichkeit des Staates, seiner Einrichtungen und Veranstaltungen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung. Die öffentliche Ordnung wird als Gesamtheit der ungeschriebenen Regeln angesehen, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden und mit dem Wertgehalt des Grundgesetzes zu vereinbarenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten Zusammenlebens innerhalb eines Gebiets angesehen wird.10

       Klausurhinweis: Nicht einheitlich beantwortet wird die Frage, ob das Vorliegen einer Gefahr schon bei der Feststellung der Zuständigkeit nach § 1 Abs. 1 Satz 1 PolG NRW zu prüfen ist. Ohne eine Gefahr handelt die Polizei nicht zur Gefahrenabwehr, auf der anderen Seite würde eine Erörterung der vielschichtigen Anforderungen einer Gefahrenlage unter dem Prüfungspunkt „Zuständigkeit“ Aspekte, die erst in der materiellen Rechtmäßigkeitsprüfung unter dem Punkt „tatbestandliche Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage“ zu behandeln sind, vorziehen. Überdies gibt es Ermächtigungen, die keine Gefahrenlage voraussetzen, gleichwohl aber zu Maßnahmen ermächtigen (z. B. § 12 Abs. 1 Nr. 2a PolG NRW). Entgegen der hier favorisierten Lösung ist es somit vertretbar, bei der sachlichen Zuständigkeit lediglich auf den präventiven Charakter des Handlungswillens der Polizeibeamten abzustellen.11 Verfehlt wäre es indes, innerhalb der – zumeist unproblematischen – Zuständigkeitsprüfung – eingehend darzulegen, dass eine konkrete oder gar qualifizierte (z. B. gegenwärtige) Gefahr vorliegt. Eine solche Erörterung wirkt besonders befremdlich, wenn die spätere Eingriffsnorm überhaupt keine konkrete Gefahr voraussetzt (z. B. § 12 Abs.1 Nr. 2a PolG NRW).12

      Im vorliegenden Sachverhalt stand schon ein Zimmer des Altenheimes in Flammen. Die Gefahr für zumindest die Einrichtung, also die Sachwerte, war schon realisiert. Im Heim befand sich eine unbekannte Zahl von Bewohnern, denen der Fluchtweg durch den Mittelgang versperrt war. Die Gefahr, dass die eingeschlossenen Heimbewohner körperlichen Schaden erleiden könnten, war gerade angesichts des körperlichen Zustandes der meist älteren Leute unmittelbar bevorstehend. Somit lag eine Gefahr sowohl für das Eigentum als auch für die körperliche Unversehrtheit der Heimbewohner vor.

      Klausurhinweis: In der eingriffsrechtlichen Fallbearbeitung sind alle in Betracht kommenden Aspekte zu erörtern. Häufig verstößt ein Verhalten gegen (mehrere, vollständig zu nennende) Normen der objektiven Rechtsordnung und beeinträchtigt zugleich Individualrechtsgüter. Zwar würde ein mit hinreichender Wahrscheinlichkeit drohender Schaden (bzw. eine bestehende Störung) für ein geschütztes Gut ausreichen, eine Gefahr zu begründen. Es kann jedoch für die Verhältnismäßigkeitserwägungen relevant sein, ob etwa neben eine Normverletzung zusätzlich die Gefährdung eines hochrangigen Rechtsgutes tritt (zum Verhältnis der öffentlichen Sicherheit zur öffentlichen Ordnung). Vorrangig sollten allerdings Verstöße gegen die objektive Rechtsordnung untersucht werden, zumal dies aus prüfungstaktischen Gründen eine Subsumtion unter die Voraussetzungen der möglicherweise verletzten Rechtsnorm ermöglicht.13

      Unstreitig ist bei einer hinzutretenden Fremdgefährdung das Interesse des Staates an gefahrenabwehrendem Handeln gegeben. Die Ursache für die Fremdgefährdung ist dann zweitrangig (durch andere Personen oder durch sonstige Gefahrenquellen, z. B. Brandgefahr). Es besteht eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Öffentliches Interesse ist vorliegend gegeben. Die Beamten wurden zur Abwehr dieser Gefahren tätig.

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