Fälle und Lösungen zum Eingriffsrecht in Nordrhein-Westfalen. Christoph Keller
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Lesen Sie den Sachverhalt zweimal. Beim ersten Lesen „nur querlesen“ (Überblick verschaffen).
Grundsätzlich ist jede Information, die der Sachverhalt enthält, insbesondere auch Zahlen und Daten, erheblich; selten finden sich lediglich ausschmückende Anmerkungen. Echte Sachverhaltsfehler oder -lücken bilden ebenfalls eine absolute Ausnahme. Sachverhaltsangaben dürfen auf keinen Fall geändert werden. Unterstellen Sie keinen unzutreffenden Sachverhalt („Tatbestandsquetsche“).
Der Sachverhalt ist, wie er ist!
Gerade das mutmaßliche Wiedererkennen von bekannten Sachverhalten mit ihren Problematiken verleitet zu sachverhalts-losgelöster Fallbearbeitung.110 Ist der Sachverhalt unklar oder mehrdeutig, gehen Sie von einem lebensnahen Normalfall aus. Die Gefahr, die Klarheit eines gegebenen Sachverhalts zu verkennen, scheint gerade bei Anfängern groß. Es ist davon auszugehen, dass der Ersteller der Klausur genaue Überlegungen bei Fertigung des Sachverhaltes angestellt hat. Der Klausurbearbeiter sollte den Klausurfall nicht allzu misstrauisch betrachten. Entsprechende Angaben dienen in aller Regel der Klärung, nicht der Verunsicherung („Der Bearbeiter hat in der Regel nicht mit üblen Fallstricken zu rechnen“111). Der Bearbeiter muss sich davor hüten, einen Sachverhaltstext korrigierend zu bearbeiten. Keinesfalls sind Angaben „hinzuzudichten“ oder wegzulassen. Unterstellungen sind ausnahmsweise dann erlaubt, wenn es (nur) um formale Fragen geht (z. B. zu Zuständigkeiten, Formen).112 Macht der der Sachverhalt tatsächlich keine Angaben z. B. über das Erfordernis des Anfertigens eines Durchsuchungs- und Sicherstellungsprotokolls (§ 107 StPO), ist es zulässig davon auszugehen, dass die Verfahrensvorschrift beachtet wurde.113 („Der Sachverhalt macht keine Angaben, ob … ich gehe von einer Beachtung der Vorschrift aus …“).
Unablässig für jede zufriedenstellende Klausur ist das korrekte Verständnis des Sachverhaltes
In Klausursituationen ist es elementar, die Probleme des Falls zu (er)kennen. Nur wem dies in der Kürze der Zeit gelingt, der kann eine vollständige Lösung abliefern und damit gute Bewertungen erreichen.114 Die gute Klausurbearbeitung verlangt Problembewusstsein, das bei der schriftlichen Ausarbeitung in der richtigen Proportionierung der Ausführungen zum Ausdruck kommt. Im Sachverhalt besonders angesprochene Probleme müssen indes stets behandelt werden. Der Schwerpunkt der Fallproblematik muss also erkannt werden. Das Fehlen von Schwerpunkten ist ein gravierender Fehler. Es sollten nur solche Punkte problematisiert werden, die ernstlich zweifelhaft sind. Weniger wichtige und unproblematische Aspekte sind nicht im Gutachtenstil, sondern im Urteilsstil abzuhandeln. Man sollte sich dann der Auffassung anschließen, die einen selbst am meisten überzeugt. Häufig wird dabei auch die sogenannte herrschende Meinung gefunden. Man muss also nicht zu den unzähligen Problemen die hierzu vertretenen Auffassungen auswendig lernen.115
5. Gliederungskonzept (Konzeptpapier)
Eine erfolgreiche juristische Fallbearbeitung hängt im Wesentlichen davon ab, ob es dem Bearbeiter gelingt, in kurzer Zeit den Sachverhalt zu strukturieren und dabei die juristischen Probleme zu erfassen.116 Dabei hilft eine Lösungsskizze den meisten Menschen beim Schreiben. Eine gute Gliederung zeichnet sich dadurch aus, dass die Niederschrift relativ zügig erfolgen kann, weil erneute Blicke in den Sachverhalt und in das Gesetz kaum mehr erforderlich sind. Hat der Bearbeiter eine solche Gliederung vor sich liegen, kann er die Klausur praktisch ohne große Unterbrechung herunterschreiben und die Qualität der Arbeit dadurch heben, dass sie sich durch einen flüssigen Schreibstil auszeichnet. Erstellen Sie also auf separatem Blatt eine Gliederung (Konzeptpapier);117 eine Lösungsskizze ist zwar nicht Bestandteil der Klausur. Die Skizze sollte aber mit abgegeben werden, insbesondere dann, wenn die Niederschrift unvollständig geblieben ist. Unnötige Ausformulierungen einzelner Lösungsgedanken auf einem ,,Schmierblatt“ sollten möglichst vermieden werden, da die zur Verfügung stehende Arbeitszeit bei der Reinschrift benötigt wird.118
Die Zeit, die für Klausuren gegeben wird, ist in der Regel recht knapp bemessen. Die Zeitknappheit gehört zu den besonderen Herausforderungen jeder juristischen Klausur. Eine gute Zeiteinteilung ist daher entscheidend, denn die Klausur sollte unbedingt zu Ende gebracht werden. Die Gesamtarbeitszeit muss richtig eingeteilt werden.
Mindestens zwei Drittel der Arbeitszeit sollten für die Reinschrift der Arbeit aufgespart werden.119
Man sollte also nicht zu viel Zeit bei der Sachverhaltsanalyse und der Gliederung der Lösung aufbrauchen. Wenn die Lösungsskizze gut ist (also ihre Anfertigung ein Drittel der Bearbeitungszeit für konzentriertes Nachdenken gebraucht hat), kann man sich schreibend an ihr entlangarbeiten, ohne noch inhaltlich viel zu überlegen. Die Konzentration beim Schreiben kann dann ganz auf saubere Formulierungen gerichtet sein.120
Wer mehr Zeit für die Reinschrift der Arbeit und weniger Zeit fürs Denken aufwendet, unterschätzt mitunter die Schwierigkeiten, die in dem harmlos aussehenden Sachverhalt stecken. Es ist zu berücksichtigen, dass häufig zunächst ins Auge gefasste Lösungsansätze bei der Niederschrift, bei der in der Regel am konzentriertesten gearbeitet wird, wieder verworfen werden. Eine teilweise oberflächliche Klausur, die aber bis zu einem abschließenden Ergebnis gebracht wird, hinterlässt beim Korrektor einen positiveren Eindruck als eine kleinteilige, aber mittendrin abgebrochene Bearbeitung. Somit hat immer die Gesamtklausur im Vordergrund zu stehen und nicht die Bearbeitung einzelner Probleme. Es nützt nichts, das erste Problem bis ins kleinste Detail zu beleuchten, wenn infolgedessen die Zeit für die weiteren Fragestellungen fehlt. Sollte also zum Ende der Bearbeitungszeit absehbar sein, dass die Klausur nicht in der nötigen Ausführlichkeit fertig geschrieben werden kann, empfiehlt es sich, zu einer verkürzten Darstellung überzugehen, die aber dennoch alle rechtlich relevanten Gedanken enthält.121