Wenn die Nacht stirbt und die Zeit still steht. Lisa Lamp
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Читать онлайн книгу Wenn die Nacht stirbt und die Zeit still steht - Lisa Lamp страница 13
»Weil wir beste Freunde sind?« Jaimies Stimme war nicht mehr als ein Hauch. Gerade laut genug, dass ich es verstehen konnte. Und wieder hatte ich das Bedürfnis, ihn zu umarmen, weil er die Veränderung bei Jona nicht sehen konnte und sich unnötig sorgte.
»Sind wir das? Ist es das, was du denkst, wenn du mich ansiehst?«, fragte Jonathan und seine Stimme hatte einen merkwürdigen Unterton, der mir sagte, dass er die Antwort schon wusste. Das Verhalten der beiden ließ mich lächeln. Sie wirkten wie schüchterne Kinder, die in unterschiedlichen Ecken standen und nicht wussten, ob sie aufeinander zugehen und miteinander spielen sollten.
»Natürlich.« Erschrocken atmete Jaimie ein und schlug sich die Hände vor den Mund, als ihm klar wurde, dass er viel zu schnell und zu laut reagiert hatte, um glaubwürdig zu erscheinen. »Ich weiß nicht«, murmelte er, um seinen Ausbruch abzuschwächen, aber Jona lachte schallend und strich Jaimie zärtlich eine verirrte Strähne aus dem Gesicht.
»Ich hab dein Tagebuch gefunden«, erklärte Hunters Bruder zusammenhanglos und ich zog verwirrt die Augenbrauen zusammen, während Jaimies Augen größer und größer wurden, bis nichts mehr außer seinen Pupillen zu sehen war, hinter denen Rädchen sich drehten und Jaimie daran erinnerten, was er in sein Tagebuch geschrieben hatte.
»Was?«, schrie Dein Bruder und neue Tränen stiegen in seinen Augen auf. Ein Schluchzen brach aus seiner Kehle hervor und er begann Silben zu stottern, die keinen Sinn ergaben. Er fuhr sich durchs Haar und schüttelte den Kopf, als könnte er Jonathan damit zwingen, alles zu vergessen, was er gelesen hatte. Um zu verhindern, dass Jaimie sich weiter in seine Panik hineinsteigern konnte, unterbrach Jona ihn und hielt seine Hände fest, die wild gestikulierten: »Bevor ich Alex verlassen habe, musste ich einfach wissen, dass ich es mir nicht einbilde und ich nicht am Ende euch beide verletze, weil ich ein Idiot bin und mir Zeichen erträume, die gar nicht da sind. Aber deine Texte und die ganzen Tränen …« Jonathan brach ab und diesmal schüttelte er verzweifelt den Kopf, als könnte er die Bilder von seinem verzweifelten Freund so aus seinem Kopf verbannen. »Du hast gelitten. Ich mag Alex, versteh das nicht falsch und sie hat es nicht verdient, dass ich nicht dasselbe fühle wie sie, aber die Aussicht, dass ich, ohne es zu merken, dein Herz brechen könnte …« Wieder ließ er das Ende des Satzes offen. Ich wusste nicht, ob er es tat, weil ihm die Worte fehlten oder er es nicht schaffte, es auszusprechen.
Jona fuhr Jaimies Wangen mit dem Handrücken entlang und ließ seine Hand auf der Schulter seines Freundes liegen, während er ihn eindringlich ansah. Jaimie hing gebannt an Jonathans Lippen und knabberte nervös an der Innenseite seiner Backe. Er hielt den Atem an, um kein Wort zu verpassen. »Ich hätte alles getan, um das zu verhindern und dir den Schmerz zu ersparen. Uns. Ich konnte nicht länger so tun, als wäre nichts, wenn ich schwarz auf weiß habe, dass ich nicht der Einzige mit diesen Gefühlen bin. Ich hatte solche Angst, mir einzugestehen, dass …« Jona stöhnte frustriert und fuhr sich mit der freien Hand durch die widerspenstigen Haare, bevor er noch mal zum Sprechen ansetzte. »Streich das! Alex ist nicht du und nur einen von euch liebe ich. Das ist das Einzige, was zählt.« Jaimie zog erschrocken die Luft ein und gab einen Laut der Überraschung von sich. Seine Gesichtszüge entgleisten und seine Tränen versiegten schlagartig, weil sein ganzer Körper für einen Moment aufhörte, sich zu bewegen. Ob sein Herz ebenfalls kurz den Dienst versagte, um das Gehörte zu verarbeiten?
Ich musste in der Zwischenzeit an mich halten, um nicht auf und ab zu springen und freudig zu schreien. Aber ich wollte die beiden nicht stören. Wer wusste, wann sie wieder Zeit für sich haben würden. Sie sollten es genießen dürfen. Wollte mir das die Göttin damit sagen? Kam der Drang in meinem Inneren von ihr? Hätte ich diesen Moment unmöglich gemacht, wenn ich an ihnen vorbeigegangen wäre?
»Du hast also mein Tagebuch gelesen?«, bohrte Jaimie nach und ein schelmisches Grinsen legte sich auf seine Lippen, als er sich über das Gesicht wischte, um die Tränenspuren loszuwerden. Trotzdem erinnerten seine geröteten Wangen immer noch an das Desaster aus Gefühlen in ihm und die Tränen, die vor wenigen Sekunden Jaimies Welt eingenommen hatten.
»Von meinem Vortrag ist nur das hängen geblieben? Wirklich? Was ist damit, dass ich dich liebe?« Jona klang bestürzt, doch sein Lächeln zeigte, dass es gespielt war, und wieder dachte ich daran, dass es genau so sein sollte. Gerade war alles ernst gewesen, als ginge es um Leben und Tod, und keine Minute später konnten sie miteinander lachen. Jaimie stellte sich auf die Zehenspitzen und schloss die Lücke zwischen sich und Jona. Er sah seinen besten Freund neckend an.
»Ich wollte es dich einfach noch einmal sagen hören«, feixte Jaimie und kicherte, nachdem er Jona die Zunge entgegengestreckt hatte. Verspielt kniff er in Jonathans Seite, doch der Ältere ging nicht darauf ein, sondern umfasste das Gesicht Deines Bruders liebevoll mit beiden Händen und wiederholte immer wieder: »Ich liebe dich.« Er küsste Jaimies Stirn und seine Schläfen. »Ich liebe dich.« Seine Wangen, sein Kinn und den Ansatz seines Halses. Er sah Jaimie tief in die Augen und senkte seine Lippen auf die Deines Bruders. »Fuck, ich liebe dich«, hauchte er, bevor er seinen Mund mit Jaimies verschloss, der seinen Nacken packte, um Jona näher zu sich zu ziehen.
»Süß die zwei, oder?« Ich erstarrte und hielt mir die Hand vor den Mund, um nicht zu schreien, wobei ich mir nicht sicher war, ob Jona und Jaimie in ihrer Seligkeit meinen Schrei überhaupt bemerkt hätten. Mein Herz raste und ich glaubte einen Augenblick, einen Herzinfarkt zu bekommen. Ein fremdes Mädchen hatte mir von hinten eine Hand auf die Schulter gelegt, an deren Fingern verschieden große Silberringe hingen, die alle geformt waren wie wunderschöne Drachen. Schnell drehte ich mich zu ihr um und blickte in braune Augen, die mich an die Farbe von flüssigem Karamell erinnerten. Hinter ihr waren ein grünes und ein blaues Augenpaar zu erkennen, worüber ich froh war, da ich sonst vermutet hätte auf Drogen zu sein und alles dreimal zu sehen. Vor mir standen drei Mädchen in schwarzer Kleidung. Sie alle hatten kinnlange, braune Haare und waren einen Kopf größer als ich. Auch Orion war ein Riese. Gaben die Jäger irgendetwas ins Essen, dass sie schneller wuchsen?
Außer der Augenfarbe waren die Mädchen nicht auseinanderzuhalten. Ihre Gesichtszüge waren identisch und auch ihre Haltung war aufeinander abgestimmt. Bewegte eine sich, bewegten sich die anderen mit. Als wären sie eine Symbiose. Doch eine Kleinigkeit unterschied die Braunäugige von ihren Gefährtinnen. Auf ihrem Schlüsselbein prangte das Brandmal der Hexen. Der dreizehnzackige Stern leuchtete mir entgegen und faszinierte mich. Er wollte nicht zu den Runen passen, die in ihre Kleidung eingestickt worden waren. »Selten so ein süßes Paar gesehen. Die sind den ganzen Monat umeinander herumgeschlichen, während sie darauf gewartet haben, dass du aufwachst. Es freut mich, dass es doch noch zwischen ihnen geklappt hat.« Die Stimme der Hexe hatte einen hellen Klang und war freundlicher, als ihr grimmiges Gesicht vermuten ließ. Sie beobachtete Jaimie und Jona, bis die beiden gemeinsam den Gang hinunterliefen und aus unserer Sichtweite verschwanden. Ihr Lachen war noch eine ganze Weile zu hören und sandte Stiche durch mein schutzloses Herz. Würde es bei Hunter und mir jemals so sein? Vermutlich nicht. Es wurde einfach nicht leichter.
»Komm, wir sind spät dran! Morena wartet schon«, murmelte die Hexe enthusiastisch. Na toll! Wie lange hatte ich schon an der Wand gestanden, wenn Jonathans Mutter es bereits für notwendig gehalten hatte, noch jemanden als meine Eskorte zu schicken? Oder hatte sie gewusst, dass Mary mir keine große Hilfe sein würde? Dann kannte sie ihre Jäger schon ziemlich gut.
Schnell folgte ich den dreien und war froh, dass die Hexe ununterbrochen redete, damit ich die peinliche Stille nicht füllen musste, die zwischen mir und ihren Gefährtinnen herrschte. Außerdem erfuhr ich eine Menge über Megaira, die Jägerin, die gebrandmarkt wurde und keine Luft zum Reden brauchte, und ihre Schwestern, Tisiphone und Alekto, die die unfreundlichste aus dem Trio war. Als Megaira mir erzählte, dass sie sich vor über fünf Jahren den Jägern angeschlossen hatten, weil sie eine Schwester im Krieg gegen Amazonen verloren hatten, fragte ich, ob es wirklich Amazonen gab oder ob ich mich verhört