Wenn die Nacht stirbt und die Zeit still steht. Lisa Lamp
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Wenn die Nacht stirbt und die Zeit still steht - Lisa Lamp страница 10
»Ist deine Schwester auch hier?« Wieder kassierte Jeremy von Nicole einen Todesblick und auch Du schlugst ihm gegen den Oberarm für seine Frage. Wahrscheinlich war er zu sehr mit dem Essen beschäftigt gewesen und hatte nur mit halbem Ohr zugehört, aber allen anderen war die Vergangenheitsform, die Orion verwendet hatte, aufgefallen. Die Stimmung am Tisch schlug um. Sie war vorher schon nicht ausgelassen gewesen, aber nun schien sie mich zu erdrücken. Orion biss die Zähne zusammen und das Jaulen der drei Hunde ertönte, als wüssten sie genau, dass irgendwer ihren Besitzer verletzt hatte.
»Sie ist tot«, sagte er scharf. »Sie hat den Angriff von Rabiana auf ihre Schule nicht überstanden.« Seine Miene wurde ausdruckslos und er fuhr sich durch die Haare, um seinen Händen etwas zu tun zu geben, nachdem er das letzte Stückchen Fleisch verzehrt hatte.
»Also Orion wie das Sternenbild?« Ich wusste, dass es ein kläglicher Versuch von Nicole war, das Gespräch noch mal zu kippen, aber es nutzte nichts. Orions Gesichtszüge wollten sich nicht mehr entspannen und seine Stimme klang gepresst: »Nein, wie der Geliebte von Artemis.« Orion schob seinen Stuhl zurück und stand auf.
»Wie war dein Name, bevor du dich den Jägern angeschlossen hast?«, bohrte Jeremy wenig feinfühlig nach und diesmal sah ich Orion mitleidig an, obwohl er nicht wie der Typ wirkte, der Mitleid wollte. Er war am Gehen und unsere Fragerei verhinderte das.
»Ein paar Geheimnisse sollten geheim bleiben, aber wenn es dich interessiert, Mary hieß vor ihrer Ernennung zur Jägerin Diethilde. Kannst du gern gegen sie verwenden, wenn sie dir dumm kommt, und glaub mir, das wird sie. Der Name macht sie rasend.« Auch wenn Jeremy gefragt hatte, galt seine Antwort mir, bevor er sein Messer vom Tisch wieder in seine Gürteltasche steckte und auf seine Hunde zuging. Er machte seine Gefährten los und verschwand mit ihnen durch die Tür, als wäre er nie da gewesen.
»Entschuldigt mich«, sagte Nicole hastig, ließ ihren halben Salat stehen und folgte Orion so schnell, dass niemand von uns sie aufhalten konnte. In ihrer Eile rannte sie beinahe Hunter nieder, der auf dem Weg zu unserem Tisch war und gerade noch ausweichen konnte. Im Schlepptau hatte er Aletheia, die uns angepisst betrachtete und die Nase erhoben hatte, als würden wir stinken.
»Gutes Essen?«, fragte er, um das Eis zu brechen, aber niemand antwortete ihm, sodass ich leicht nickte, damit keine unangenehme Stille entstand. Wenig erfolgreich, Mel. Sein aufgesetztes Lächeln verschwand aus seinem Gesicht und er streckte mir fragend die Hand entgegen. »Hast du eine Minute?« Wieder nickte ich, weil ich meiner Stimme nicht traute. Ich wollte nicht mit ihm reden und schon gar nicht mit ihm allein sein, aber ich brauchte Antworten und Hunter schien sich bestens auszukennen. Wenn Nicole recht hatte und Morena Morgan uns hier mit Absicht festhielt, müsste er es wissen. »Aletheia zeigt euch eure Zimmer«, sagte Hunter bestimmt, als ich ihm die Hand reichte und er mich hinter sich herzog. Gekonnt dirigierte er mich durch die Gänge zwischen den Tischen und führte mich aus dem Raum. Aber er hielt nicht an, sondern bog an der Ecke ab, um mich in ein anderes Zimmer zu ziehen. Es war kleiner als der Aufenthaltsraum, aber nicht weniger beeindruckend. Die Bibliothek von St. Ghidora war wunderschön, aber diese Ansammlung von Büchern übertraf alles, was ich bis jetzt gesehen hatte. Regale reihten sich aneinander, dicke Wälzer waren aufeinandergestapelt, Leselichter hingen an den Wänden, Podeste, auf denen besonders wertvolle Bände zu liegen schienen, waren im ganzen Raum verteilt und überall standen Hocker, auf denen man sich niederlassen konnte. Ich verlor mich in diesem Paradies für Leseratten, sodass ich nicht bemerkte, wie Hunter meine Hand losließ und ich meine Deckung fallen ließ. Er trat einen Schritt näher. Zu nah. Die Armlänge Abstand war nicht mehr gegeben und das machte es schwer, mir Fragen zurechtzulegen. Die Nähe zwischen uns legte meinen Verstand lahm und mein gebrochenes Herz wurde angreifbar. Automatisch trat ich einen Schritt zurück, um mehr Distanz zwischen uns zu bringen. Vielleicht würde sich der Sturm aus Gefühlen, der sich in meinem Inneren zusammenbraute, legen, wenn ich nur weit genug von ihm wegkam. Doch die Möglichkeit war nicht gegeben. Ich saß in der Falle. Eingeschlossen zwischen ihm und dem Bücherregal, das ich angestarrt hatte wie den Heiligen Gral. Blöd wie ich war, hatte ich nicht aufgepasst und der Ausgang lag weit von mir entfernt und wurde mir von Hunters Körper versperrt. Kurz legte sich ein Grinsen auf seine Lippen, bevor er mich umdrehte, sodass ich ihn ansehen musste, sich mit beiden Armen an den Büchern hinter mir abstützte und mich nicht von der Stelle ließ. Ich konnte nicht weg. Wie ein unvorsichtiges Reh, das den Jäger erst spürte, als er die Pistole an seine Stirn hielt. Eigentlich hätte ich nun Panik bekommen sollen oder den Drang verspüren wegzulaufen, aber mein klopfendes Herz und meine schweißnassen Hände hatten nichts mit Angst zu tun. Ich wollte mich befreien, ihn wegstoßen, ihn treten oder anspucken. Ich hätte nach Hilfe schreien und ihm die Augen auskratzen sollen, aber mich überkam das Bedürfnis, mich näher zu ihm lehnen zu wollen, seine Haut an meiner zu fühlen, meine Lippen an seine zu schmiegen und seinen unvergleichlichen Duft einzuatmen. Göttin sei Dank hatte ich noch genug Selbstbeherrschung, keiner dieser Dummheiten nachzugeben und mir einen Rest Würde zu bewahren, anstatt mich anzubiedern wie ein williges Flittchen.
»Rede mit mir«, flüsterte Hunter an mein Ohr und senkte den Kopf, sodass seine Stirn meine berührte und ich die Wärme in mich aufnehmen konnte, die er ausstrahlte.
»Was hattest du mit Jaimies Entführung zu schaffen?«, fragte ich schroff und lehnte mich gegen die Bücher, um den letzten Rest meiner Rückzugsmöglichkeit auszukosten und so viel Abstand zwischen uns zu bringen wie möglich.
»Nicht darüber«, erwiderte er mit rauer Stimme und musterte mich eingehend, als würde er meine Gefühlslage abschätzen. Ob er damit rechnete, dass ich einen Nervenzusammenbruch bekam? Oder wollte er nur nicht den Moment verpassen, indem ich ausrastete und ihm das Gesicht wegbrannte?
»Ich wüsste nicht, worüber wir reden sollten, wenn du nicht über Jaimie sprechen möchtest. Dann habe ich dir nämlich nichts zu sagen«, zischte ich, aber ich klang längst nicht so bissig wie beabsichtigt. Eher spiegelte mein Ton meine Empfindungen wider. Müde. Kraftlos. Gebrochen. Verletzt.
»Doch, das weißt du und du weißt auch, dass ich dir nichts tun könnte. Das habe ich bewiesen, als ich lieber selbst gestorben wäre, als dir ein Leid zuzufügen. Und ich weiß, dass du das, was du gerade fühlst, bei niemandem anderen je fühlen wirst. Du gehörst zu mir.« Damit war wohl geklärt, ob er die Erinnerungen auch sehen konnte. Waren es die gleichen oder sah er uns in anderen Jahrhunderten?
Ja. »Nein. Vielleicht war das Schicksal der Meinung, dass wir zusammengehören, aber du hast alles zwischen uns zerstört, obwohl du mir alles bedeutet hast. Du bist ein Verräter und ich werde nicht zulassen, dass mich das umbringt, falls das einer von Rabianas perfiden Plänen gewesen sein sollte. Ich empfinde gar nichts mehr für dich. Überhaupt nichts.« Lüge. Ich war eine Lügnerin, Mel, sonst würde mein Herz nicht wie wild klopfen und in meinen Augen würden keine Tränen schwimmen, die deutlich machten, dass ich doch nicht so eiskalt war, wie ich gerne gewesen wäre.
»Schwachsinn! Du liebst mich. Gerade bist du verletzt, weil ich Scheiße gebaut habe, aber das Strahlen in deinen wunderschönen Augen jedes Mal, wenn wir uns ansehen, zeigt mir, dass du mich liebst. Sag mir, dass ich dich küssen darf. Lass mich dir beweisen, dass ich dich genauso sehr liebe wie du mich.«
Stark bleiben! Wie ein Mantra sagte ich es mir immer wieder, aber Hunter klang so traurig, fast verzweifelt und ich war erschöpft. Das ewige Kämpfen machte mich müde und laugte mich aus. Mein Herz stockte und ich hatte das Gefühl, den Verstand zu verlieren, wenn nicht bald etwas passierte. Mir wurde alles zu viel. Als wäre die Wahnsinnige, die mich jagte, nicht Strafe genug. Nein, da musste mir das Schicksal