Wenn die Nacht stirbt und die Zeit still steht. Lisa Lamp
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»Sie? Hab ich etwas verpasst?«, fragte Jona mit hochgezogener Augenbraue und Ekel zeichnete sich auf seinen Zügen ab. Er sprach mir aus der Seele. Hatte Hunter sich gegen uns entschieden und gehörte plötzlich zu denen, wer auch immer die waren?
»Wir«, verbesserte er und machte eine wegwerfende Handbewegung, als wäre es dasselbe. »Mutter will dich sprechen«, sagte er und deutete mit dem Kopf Richtung Tür, damit Jonathan ihm folgte, aber der dachte nicht daran. Er bewegte sich nicht von der Stelle und sah böse zu Hunter.
»Nein, danke. Ich bleibe lieber hier. Bei meinen Freunden. Bei Nicole. Ich hänge nämlich an ihr.« Nicole lachte schamlos und Alex begann ebenfalls wegen Aletheias verdutzten Gesichtsausdrucks zu kichern. Jonas Ton war scharf, auch wenn er am Ende eine belustigte Note annahm. Doch die Nachricht war klar. Er würde uns nicht verlassen, anders als sein Bruder.
»Schön. Ich werde es ihr ausrichten«, meinte Hunter ungerührt und wandte sich zum Gehen um, ohne mich auch nur eines Blickes zu würdigen. Er ignorierte mich eiskalt, als wäre ich gar nicht da. Ein Kloß bildete sich in meinem Hals und ich musste ein Schluchzen unterdrücken. Ein Stich ging durch mein Herz und der Schmerz schien stärker zu werden, solange er bei mir war und gleichzeitig doch nicht. Es war schlimmer als damals mit Nathalia. Auch zu dieser Zeit wollte ich schreien und weinen, doch nun hatte ich das Gefühl innerlich zu verbrennen und an meinen Gefühlen zu ersticken. Im Türrahmen stockte er und drehte sich noch mal um. Kurz flackerte Hoffnung in mir auf, dass er mit mir reden, sich entschuldigen oder die Situation erklären würde. Es hätte schon gereicht, wenn er sich nach meinem Befinden erkundet hätte. Aber nichts. »Aletheia, du sollst ihnen alles zeigen«, sagte er, bevor er den Raum verließ und mich mit tausend Fragen zurückließ.
»Wieso ausgerechnet ich?«, fragte Aletheia theatralisch und machte keinen Hehl daraus, dass sie uns hasste, doch Hunter hörte sie nicht mehr oder überhörte sie mit Absicht. Scheiße, ignoriert zu werden, oder? Am liebsten hätte ich mich über sie lustig gemacht, um mich über die Tatsache hinwegzutrösten, dass er mit ihr geredet hatte und mit mir nicht, aber es war nicht die beste Idee, sich mit der einzigen Person anzulegen, die uns aus diesem Raum bringen konnte. »Na los, bewegt endlich eure Ärsche aus den Betten. Je schneller wir anfangen, umso schneller sind wir fertig und ich muss nicht mehr den Babysitter für euch spielen.« Zögerlich stieg ich aus dem Bett und sah, dass auch meine Freunde sich bewegten. Meine Füße schwankten leicht, als sie den Boden berührten, und ich musste mich noch mal auf die Bettkante setzen, damit die schwarzen Flecken vor meinen Augen verschwanden. Beim zweiten Anlauf gelang es mir, mein Gewicht in die Höhe zu stemmen, obwohl ich kaum noch Muskeln in den Beinen hatte. Außerdem wusste ich nicht, ob ich froh sein sollte, dass ich saubere Kleidung trug oder nicht. Einerseits war es ein schönes Gefühl, endlich nicht mehr dreckig zu sein. Andererseits wollte ich lieber nicht wissen, wer mich gebadet und angezogen hatte.
»Danke, dass du Read den Rücken freihältst, aber irgendetwas sagt mir, dass du lieber auf deinen aufpassen solltest, wenn du schläfst«, murmelte Tara Nicole zu, bevor sie neben unsere Führerin trat und sie auffordernd ansah. Wieder verdrehte Aletheia die Augen und langsam fragte ich mich, ob sie auch etwas anderes konnte, als genervt zu sein. Unwillig setzte sie sich in Bewegung und führte uns durch Gänge, an denen alle zehn Meter eine Glühbirne brannte. Trotzdem sah ich kaum meine eigene Hand vor Augen und musste aufpassen, nicht über meine Füße zu stolpern. Das Gehen fiel mir schwer. Ich hatte keine Kondition mehr und jeder Schritt verlangte mir alles ab. Meine Knie, die genauso wackelig wie Pudding waren, erschwerten mir jede Bewegung. Das schummrige Licht und Aletheias Stimme, die unablässig sprach, verbesserten meine Konzentration nicht. Dabei erzählte sie nichts, was mich interessierte. Also ignorierte ich sie wieder und wandte mich lieber Nicole zu, die neben mir ging.
»Was läuft hier?«, wollte ich von ihr wissen und sie seufzte schwer, bevor sie mir antwortete: »Wir hatten Angst, dass die uns noch auf dem Schlachtfeld umbringen würden. Wir waren geschwächt und hätten noch einen Kampf nicht überstanden. Aber sie haben uns gefangen genommen und in diese Lagerhalle gebracht, wo wir auf Morena Morgan gestoßen sind.« Die Eisprinzessin achtete darauf, dass Aletheia nichts von unserer Unterhaltung mitbekam, indem wir uns zurückfallen ließen. Nicht weit genug, um sie zu verlieren, aber so, dass sie frei sprechen konnte, ohne Angst vor einer erneuten Auseinandersetzung haben zu müssen.
»Sie ist wirklich Jonathans und Hunters Mutter? Aber sie ist doch eine Hexe?«, fragte ich verwirrt und überlegte, ob ich irgendetwas von dieser Frau wusste. Sie war mit Caleb Morgan verheiratet gewesen und hatte zwei Söhne. Punkt. Mehr war da nicht. Hunter hatte sie kein einziges Mal erwähnt und auch Jona hatte immer nur von seinem Vater gesprochen. Wie konnte es sein, dass ich mir nie darüber Gedanken gemacht hatte, obwohl diese Frau so etwas wie meine Schwiegermutter war?
»Sie ist eine Hexe«, stellte Nicole klar und stockte kurz, als wir von den Gängen in einen großen Raum kamen, den Aletheia als Aufenthaltsraum bezeichnete. Hier war das Licht besser und mehrere Sitzgelegenheiten waren im Saal verteilt, die teilweise besetzt waren. Einige Mädchen, die Aletheia ähnlich sahen, saßen auf einer Couch und starrten in einen Fernseher. Die Szene wirkte schrecklich normal auf mich und tröstend, weil es mich an die vielen Filmabende mit Dir, Tara und Lora erinnerte. Aber sobald ich an Lora dachte, verschwand das Gefühl und ich musste hart schlucken, um nicht zu weinen.
»Wie es aussieht, war nicht nur unsere Schule von Rabianas Plänen betroffen, auch wenn es St. Ghidora am schlimmsten getroffen hat. Rund um den Globus wurde die magische Welt von den Armeen überrannt und abgeschlachtet. Den Jägern blieb das nicht verborgen und zwei ihrer Ausbildungsstätten waren ebenfalls unter Beschuss. Morena hat in dem Chaos ihre Kontakte spielen lassen und die Führung übernommen. Die Jäger und Hexen arbeiten zusammen, um Rabiana zu stürzen, weil der Verlust von beiden Seiten enorm ist und die Jäger ihre einzige Überlebenschance in Morena gesehen haben.«
Auch Nicole betrachtete fasziniert die Einbauküche, die mit flüssigem Wasser funktionierte, und das Buffet, das in der Mitte des Raumes aufgebaut war. Viele Jugendliche belagerten die Essensausgabe und überlegten, was sie essen sollten, während die Älteren bereits auf einem Tisch saßen und aßen. Alle schienen sich zu kennen und unterhielten sich vertraut.
»Das ist doch gut, oder nicht?«, hakte ich verwirrt nach, weil Nicoles Tonfall vermuten ließ, dass ihr an der Situation etwas überhaupt nicht passte. Aber ich konnte mir nicht vorstellen, was das sein könnte. Wenn die Jäger mit uns eine Front gegen Rabiana bildeten, konnte das nur zu unserem Vorteil sein, oder? Für einen Moment lenkte mich das Geräusch von kläffenden Hunden ab, die mit einer Leine an einem Rohr an der Wand festgebunden waren. Sie waren zu dritt und hatten schwarzes Fell. Die abstehenden Ohren ließen sie wie Fledermäuse aussehen, aber die geflügelten Vögel jagten mir weniger Angst ein. Die Köter jaulten und fletschten ihre spitzen Zähne. Im Radius von zwei Metern um die Tiere befand sich keine Menschenseele und ein Junge betrachtete die Hunde mit einem ängstlichen Blick, als er mit genügend Sicherheitsabstand vorbeihuschte, um zu seinem Sitzplatz zu kommen. Blutiges Fleisch lag vor den Mäulern der Viecher. Während zwei fleißig an ihrem Fressen herumkauten, sodass ihnen Reste zwischen den Zähnen stecken blieben und das Blut sich mit ihrem Speichel mischte, sah einer in unsere Richtung und knurrte bösartig, als würde er spüren, dass wir nicht hierhergehörten.
»Klingt zu perfekt, wenn du mich fragst. Ich kenne Morena Morgan und sie war nie für ihre Herzensgüte bekannt. Sie soll nichts von den Machenschaften ihres Mannes gewusst haben, das glaube ich ihr, sie war schließlich nie zuhause, um irgendetwas mitzubekommen. Sie hat ihre