Wenn die Nacht stirbt und die Zeit still steht. Lisa Lamp

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Wenn die Nacht stirbt und die Zeit still steht - Lisa Lamp

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Angst vor dem Moment, wenn es still werden würde, kurz bevor die Menge jubelte. Doch sie konnte nicht davor weglaufen. Sie musste stark sein. Auf keinen Fall wollte sie Barthel in seinen letzten Minuten allein lassen. Sie gehörten zusammen seit ihrer ersten Nacht in dem kleinen Hof, als er ihr gesagt hatte, dass er sie liebte. Und sie liebte ihn. Unsterblich. Aber es sollte einfach nicht sein. Der dreizehnzackige Stern auf Barthels Schlüsselbein und die blutroten Diamanten auf ihrem hatten deutlich gezeigt, dass sie unter der jetzigen Regierung nicht lange leben würden. Ein letztes Mal loderte das Feuer auf und Catharina wurde schwarz vor Augen. In dem Moment, in dem Barthel seinen letzten Atemzug machte und die Schreie verstummten, blieb Catharinas Herz stehen und sie wusste, dass das Kind, das sie trug, ihr gemeinsames Kind, niemals das Licht der Welt erblicken würde, weil auch sie die Sonne nicht mehr aufgehen sehen würde.

      

       1580 n. Chr.:

      Maria lag in einem großen Bett mit schwarzem Bettlaken, das genauso dunkel war wie ihre lockigen Haare, die auf dem Stoff zu verschwinden schienen. Ihre grünen Augen leuchteten im Schein des Mondlichts, das durch das Fenster brach und dem Raum Helligkeit spendete. Sie fühlte sich gut, obwohl die andere Bettseite neben ihr leer und kalt war. Doch die Geräusche von Fußsohlen auf dem Boden erinnerten sie daran, dass sie nicht allein war, so wie sie es in den letzten Jahren auch keine Sekunde gewesen war.

      »Schläfst du noch immer, Prinzessin?«, fragte Silverian grinsend und lehnte sich an den Türrahmen, der unter seinem Gewicht leicht knarrte. Zu gern hätte Maria einen Gedanken daran verschwendet, dass sie in wenigen Minuten Gäste erwarten würden, aber nichts lag ihr ferner als aufzustehen oder sich anzuziehen. Nicht mit Silverians nackter Brust vor Augen. Lieber wäre ihr, er würde sich wieder zu ihr legen und sie in die Arme nehmen, obwohl sie sich auch unter seinen verschlingenden Blicken wohlfühlte.

      »Ja, wenn du zurück zu mir ins Bett kommst, mein Gemahl«, säuselte sie und schlug die Decke zurück, sodass ihr Geliebter einen perfekten Blick auf ihren Körper hatte, der sich ihm entgegenstreckte. Sie rekelte sich auf dem Laken und sah ihn auffordernd an. Ein Knurren war zu hören und Maria lächelte triumphierend. Silverian hatte schon immer eine Schwäche für ihre weiche Haut und ihre weiblichen Rundungen gehabt. Sie waren ihm damals im Anwesen der Familie Holl als Erstes aufgefallen, als sie sich begegnet waren, und es hatte sich nicht geändert, als er zu einem ihrer Beschützer wurde, der die Königsfamilie vor allem verteidigen sollte. Noch heute bekam er dieses seltsame Glitzern in den dunklen Augen, wenn er Maria nackt sah. Sie liebte es. Es gab ihr das Gefühl, die schönste Frau auf der Welt zu sein. Genauso wie seine kräftigen Hände, die ihren Oberschenkel massierten, während sich seine Lippen auf ihre legten. Und plötzlich war es still. In Marias Kopf breitete sich eine angenehme Leere aus, die nur Silverian ihr geben konnte. Sie musste über so vieles nachdenken, vieles planen und sie durfte dabei keinen Fehler machen. Sie wusste, dass sie nicht mehr lange Zeit hatte. Immer mehr ihresgleichen wurden eingekerkert und verloren auf dem Scheiterhaufen ihr Leben. Bald würde sie eine davon sein. Silverian ahnte es noch nicht, aber die Göttin persönlich hatte es in Marias Ohr geflüstert, damit sie sich wappnen konnte und dafür sorgte, dass sie irgendwann an einem Ort nicht weit von hier wiedergeboren wurde, um alles in Ordnung zu bringen. Sie würde es schaffen, hatte die Göttin gesagt. Aber Maria war sich nicht sicher, ob sie das konnte. Ob sie stark genug war. Doch sobald Silverian bei ihr war und sie eins wurden, waren alle Aufgaben und Verpflichtungen weit weg. Dann zählte nur das Hier und Jetzt. Und Silverians unvergleichlicher Geruch, von dem sie nicht genug bekam. Maria stöhnte in den Kuss und klammerte sich an ihren Gemahl, wohl wissend, dass jedes Mal das letzte Mal sein könnte, bevor sie an einem anderen Ort zu einer anderen Zeit wieder aufeinandertrafen.

      

      

       Kapitel 1: Blutige Zeiten

      Liebe Mel!

      Es heißt, Träume wären psychische Prozesse während des Schlafes, die aus realistischen Bildern bestehen und unser Erleben fantasievoll widerspiegeln. Wenn das wahr wäre, würde ich von blutenden Raben auf einem Pferdehof träumen, der einer bösen Hexe mit Warzen gehört, die alle Pferde nur für sich haben will, weil sie Angst hat, dass jemand anderer besser reiten lernen könnte als sie. So weit so gut. Doch nichts davon war Teil meiner Fantasien, die sich in meinen Kopf schlichen und mir das Schlafen versüßten. Stattdessen sah ich Liebeserklärungen, Küsse und den Tod. Immer wieder. Ich sah mich. In langen und kurzen Kleidern, mit oder ohne Unterrock, mit gepudertem Gesicht oder bemalten Lippen, arm und reich. Und ich sah Hunter. In jeder Altersstufe, in allen Berufen, mit und ohne farbige Kostüme. Trotz der teilweise lächerlichen Kleidung liebten die Mädchen, die ich zu sein schien, die Männer, die ihm zum Verwechseln ähnlich sahen. Die Pärchen fanden sich auf die verschiedenste Art und Weise, aber das Ende sah jedes Mal gleich aus: Sie starben. Gemeinsam glücklich oder allein unglücklich. Anfangs dachte ich noch, dass ich den Verstand verlieren würde oder mir mein Unterbewusstsein helfen wollte, Hunter zu vergeben, indem es mir schöne Illusionen mit ihm schenkte. Aber dann sah ich das schwarzhaarige Mädchen in der Zeit der Pest, was meine Theorie widerlegte. Daran war überhaupt nichts schön. Schwarze Flecken, Pestbeulen, die sich unter der Haut wölbten, weißer Schaum, der den Toten aus dem Mund tropfte, und von Schmutz übersäte Körper, die genauso erbärmlich aussahen wie die Straßen, in denen es vor riesigen Ratten wimmelte, die herumliegende Leichenteile abnagten. Eine Gänsehaut überzog meine Arme und ein Schauer des Ekels jagte meinen Rücken hinunter. Nicht schön traf es nicht wirklich. Widerlich, abstoßend oder desaströs waren schon passender.

      Als Nächstes spekulierte ich, ob es wirklich nur Träume waren, die Hunter und mich in Situationen hineinmanövrierten, von denen ich gehört oder die ich in Filmen gesehen hatte. Doch dann war da diese rothaarige Monarchin, von der ich schwören könnte, dass sie in meinem alten Geschichtsbuch abgebildet war, die in einem dieser Träume aufgetaucht war. Fiktion war damit auch vom Tisch. Fieberhaft überlegte ich, was es noch sein könnte. Für einen Moment glaubte ich sogar, dass ich mir einbildete, alle Liebenden sähen aus wie Hunter und ich, weil ich besessen von diesem Mann war. Aber dann sah ich Maria zusammen mit Silverian auf dem Bett mit den schwarzen Laken, an die ich mich immer erinnern würde. Ich kannte die Szene. Maria hatte mir vor vielen Monaten denselben Schock versetzt wie jetzt, weil ich mich wie eine Spannerin gefühlt hatte. Es war eine von Marias Mitteilungen an mich gewesen. Damals, als ich gerade eine Hexe geworden war. Ich wusste nicht, was genau an diesem Abschnitt ihres Lebens so wichtig gewesen war, aber Maria hatte diese Nacht alles bedeutet. Ob es die letzte gemeinsame Nacht mit ihrem Geliebten gewesen war? Oder wollte sie mir eine Momentaufnahme ihres Glücks präsentieren, das so vergänglich gewesen war?

      Somit blieb nur noch eine Möglichkeit über, auch wenn ich mir den Kopf zermarterte, um eine andere logische Erklärung zu finden. Es waren Erinnerungen. Meine Erinnerungen. Na gut, nicht meine, aber die meiner Seele und sie war ein Teil von mir. Die Erkenntnis traf mich hart. Nicht dass es mich störte, meine früheren Leben beobachten zu können. Aber die Tatsache, dass ich anscheinend nie ohne Hunter glücklich werden konnte – zumindest nicht bevor ich starb und ihn im nächsten Leben wiedertraf – war ein Schlag in die Magengrube.

      »Read! Read! Wach auf!« Ein Ruckeln an meiner Schulter störte mich in meinen Überlegungen und zog mich aus den Erinnerungen längst vergangener Tage. Die Wärme, die mich eingehüllt hatte, verschwand und ich spürte einen kalten Luftzug auf meiner Haut, der alle Härchen auf meinem Körper gleichzeitig aufstellte.

      »Read, du musst jetzt aufstehen!« Die Stimme klang nervig in meinen Ohren, auch wenn ich mir sicher war, dass ich sie kannte. Ein wenig wie das Geräusch einer Maus, der man auf den Schwanz trat. Aber ich konnte nicht identifizieren, zu wem sie gehörte und es interessierte mich auch nicht. Ich wollte noch nicht aufwachen. Ich wollte wissen, ob irgendein Paar es geschafft hatte, ohne eine Tragödie ihr Leben miteinander zu verbringen und gemeinsam alt zu werden. Maria

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